Die wichtigen Dinge. Ein Abend mit Geflüchteten und Einheimischen im Melanchton-Haus

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Freitagabend, kurz nach 18.00 Uhr, der Gemeindesaal des Melanchton-Hauses füllt sich, eine halbe Stunde später sind alle hundert Plätze besetzt. Lange Tische, dezent dekoriert mit grünen Tischdecken und filigranen Blumensträußen, Teelichter flackern, die Musiker um Tayfun Guttstadt stimmen ihre Instrumente. Die Bürgerstiftung Jena hat Geflüchtete, ihre Paten und weitere Engagierte zu einem gemeinsamen Fest geladen. Zum Jahresausklang sollen die Menschen Gelegenheit haben, bei syrischem Essen und arabischer Musik über die Erlebnisse des letzten Jahres ins Gespräch zu kommen und sich über ihre Erfahrungen beim Ankommen und Begleiten in Jena auszutauschen. Die Gäste kommen u.a. aus Syrien, Somalia, Afghanistan, Tschetschenien, Eritrea, der Türkei und natürlich aus Jena.

Die Musik setzt ein, Tayfun Guttstadt, Elias Abound und Ghays Mansour verwandeln den Raum mit ihrer Musik in einen quirligen Basar, einen melancholischen Garten, eine lärmende Teerunde. Viele Lieder sind bekannt, die Gäste singen mit, klatschen im Takt. Nach dem Konzert ist es Zeit, die syrischen Köstlichkeiten zu probieren, die Noor, Mustafa und Lamis zuvor mit viel Mühe zubereitet haben.

Beim Essen kommt man leichter ins Gespräch über den neuen Alltag und die damit verbundenen Hürden. Für die meisten Geflüchteten bedeutet das Einleben am neuen Ort zuallererst, die Sprache zu lernen und die administrativen Angelegenheiten zu regeln. Für das junge Paar aus Somalia, das mit seiner kleinen Tochter zu dem Fest gekommen ist, heißt das unter anderem, die fehlenden Geburtsurkunden zu beschaffen, ihre Ehe zu legalisieren, Deutsch zu lernen und Schulabschlüsse nachzuholen. Keine ganz leichte Aufgabe, wenn man im Heimatland gerade einmal drei Jahre zur Schule gegangen ist. Dass ohne Sprache keine Kontakte und kein Austausch möglich sind, bestätigt auch die Großfamilie aus Damaskus, die am Nachbartisch sitzt. Die Brüder Ahmad und Rias sind im vergangenen Jahr mit ihren Frauen und zwei Söhnen nach Jena gekommen. Der Rest der Familie hat es vorerst nur bis in die Türkei geschafft. Mühsam bringen die Männer ihren Namen und ihr Herkunftsland zu Papier, Deutsch fällt ihnen noch sehr schwer. Umso wichtiger sind die Dienste des Sohnes Liath, der das Dolmetschen übernimmt und die Fragen an die Familie, statt sie zu übersetzen, gleich selbst beantwortet. Seine Mutter hängt stolz an seinen Lippen.

Amira (12) und Ahmed (10) haben mit dem Deutschen weniger Schwierigkeiten. „Wir haben die Sprache schnell gelernt. Deutsch ist ja auch nicht sehr schwer“, erklären sie lässig, während sie warten, bis sie von der Körpermalerin Caroline Marquardt, die sich an diesem Abend mit ihrer Schminkkunst den Bedürfnissen der Kinder annimmt, aufgerufen werden. Die Kinder können sich von der Künstlerin alle erdenklichen Masken aufs Gesicht zaubern lassen. Nach drei Stunden angestrengten Malens tummeln sich Zauberer, Vampire, Schmetterlinge und Königinnen der Nacht auf dem Fest und werden von ihren Eltern kaum wiedererkannt.

Seit Beginn dieses Jahres widmet sich die Bürgerstiftung Jena in drei Projekten der Arbeit mit geflüchteten Menschen. In den Projekten „Brücken bauen – Gutes tun“ und „Teilhabe durch Engagement“ versuchen die Projektleiter Jannis Lemke und Claudia Dathe, Geflüchtete und ehrenamtliche Vereine für die gemeinsame Arbeit und gemeinsame Projekte zu gewinnen.

Im Projekt „Ankommenspaten“, das Agnès Arp, die Organisatorin des Festes, kuratiert, steht die praktische Eingewöhnung der Geflüchteten im Mittelpunkt. Die neuen Jenaer Mitbürgerinnen und Mitbürger sollen mit Hilfe von Ankommenspaten die Stadt kennenlernen und erste Schritte in ein integriertes Leben vollziehen. Dafür treffen sich die Tandems aus Einheimischen und Geflüchteten mindestens drei Mal. Seit letzter Woche steht als Unterstützung für die Orientierung auch die Broschüre Willkommen in Jena zur Verfügung, die von Agnès Arp zusammengestellt und von der Grafikerin Sandruschka liebevoll illustriert wurde. Dass aus den Treffen oft langfristige Beziehungen entstehen, ließ sich am Freitag im Melanchton-Haus sehr gut beobachten: Gut die Hälfte der ausländischen Gäste war mit ihren Paten gekommen und verbrachte den Abend mit ihnen gemeinsam.

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