Die Orientreisen des Naturforschers Carl Haussknecht virtuell nachverfolgen

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Prof. Dr. Frank H. Hellwig und Kristin Victor (beide am Institut für Spezielle Botanik der Friedrich-Schiller-Universität Jena) halten eins von 15 Tagebuchheften in der Hand, die der Gründer des hiesigen Herbariums Carl Haussknecht (1838-1903) auf seinen Orientreisen in den 1860er Jahren mit allerhand Informationen zu Flora, Fauna, Land und Leuten füllte. Diese sollen in einem von der DFG-geförderten Projekt in den kommenden 3 Jahren ausgewertet werden.Im Hintergrund ein Porträt Carl Haussknechts sowie an den Seiten historische Karten seiner Reiseroute.Aufgenommen in Jena am 27.04.2017. Foto: Anne Günther/ FSU

Jena (AB) Wer heutzutage verreist, bringt immer neue Erfahrungen und oft auch Souvenirs nach Hause. Als Carl Haussknecht (1838-1903) in den Jahren 1865 und 1866 zu zwei Reisen ins Osmanische Reich und nach Persien aufbrach, dauerten diese nicht nur insgesamt rd. drei Jahre, er brachte auch mehrere Tausend „Souvenirs“ mit. Der Naturforscher fand und sammelte Pflanzen, die einen wesentlichen Teil des Herbariums Haussknecht bilden, das, 1896 in Weimar gegründet, seit langem zur Friedrich-Schiller-Universität Jena gehört. Haussknecht legte dadurch nicht nur den Grundstock der heute mit 3,5 Millionen Pflanzenbelegen weltweit berühmten botanischen Sammlung, er leistete damit auch einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der Orientbotanik.
Doch Haussknecht brachte noch mehr mit: 15 eng in Kurrentschrift beschriebene Oktavhefte mit insgesamt fast 1.000 Seiten zu seinen Reiseeindrücken und den Pflanzen. Diese Reistagebücher, die im Institut für Spezielle Botanik der Universität Jena vorliegen, werden jetzt in einem großen orts- und fächerübergreifenden Projekt herausgegeben und kommentiert. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das auf drei Jahre angelegte Projekt, an dem auch die Universitäten Halle-Wittenberg und Marburg mitarbeiten, mit rd. 400.000 Euro.

Reisetagebücher sind kulturhistorische Dokumente

„Wir wollen zum einen mehr über unsere Sammlung erfahren“, nennt Institutsdirektor Prof. Dr. Frank H. Hellwig ein Ziel des Projekts. Denn bislang ist der genaue Umfang der Haussknechtschen Sammlung nicht bekannt. Außerdem helfen die Tagebücher dabei, die Bezeichnungen für manche Pflanzen zu erforschen und abzuleiten. „Die bisherigen Sichtungen belegen zudem, dass die Informationen in den Tagebüchern, die über die reine Botanik hinaus ein weites Spektrum an Disziplinen wie Geologie, Geografie, Kartografie, Zoologie, Landeskunde, Sozial- und Kulturgeschichte bedienen, für die Einordnung und Interpretation des botanischen Materials von Bedeutung sind“, sagt Projektleiter Hellwig. „Das macht die Tagebücher zu kulturhistorischen Dokumenten.“
Wichtig für diese kulturelle Dimension ist auch, dass Haussknecht die Tagebücher nie zur Veröffentlichung vorgesehen hatte, sie daher sehr persönliche Gedanken und Einschätzungen von Menschen und der politischen Lage enthalten. Die Jenaer Projektmitarbeiterin Kristin Victor wird somit nicht nur die von Haussknecht gesammelten Pflanzenbelege, sondern auch eine Vielzahl weiterer Archivmaterialien, darunter ein Stammbuch und Visitenkarten-Fotografien, einbeziehen. „Die kritische Auswertung der Tagebücher ermöglicht die Kontextualisierung der Gründungssammlung des Herbariums sowie die nationale und internationale Würdigung der Persönlichkeit Haussknechts und seines Beitrags zur systematischen Botanik wie zur Entwicklung der Orientbotanik“, ist sie überzeugt. Denn Haussknecht, ergänzt Prof. Hellwig, gehörte damals zu den führenden europäischen Köpfen in der Orientbotanik und machte Thüringen zu einem Zentrum dieses Fachgebiets.

Haussknechts Schrift lesen, transkribieren und kommentieren

Kristin Victor und ihre Kollegen aus den beteiligten Universitäten stehen zum einen vor der Herausforderung, die Kurrentschrift Haussknechts zu entziffern und zu „übersetzen“. Sie brauche inzwischen nur noch 45 Minuten für eine Seite, sagt Victor, die bereits im Vorfeld des neuen Projekts rd. 350 Seiten transkribiert hat. Zu den Aufgaben des Projektteams gehören die Identifizierung und kritische Kommentierung von Pflanzennamen, geografischen Bezeichnungen, lokalen Verhältnissen und Begebenheiten sowie die Einordnung von deren wissenschafts- und kulturgeschichtlicher Relevanz; dabei stehen ihnen externe, aber auch weitere Partner aus der Uni Jena zur Seite.
Die nächste Anforderung besteht darin, die kommentierten Schriften weltweit zugänglich zu machen. Dafür wird das Team durch die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena unterstützt, die ihre professionelle Infrastruktur zur Verfügung stellt. Der Jenaer Wissenschaftshistoriker Dr. Andreas Christoph verantwortet schließlich die Ausgestaltung der digitalen Präsentation der Forschungsergebnisse. Der Digitalisierungs-Experte von der Uni Jena betont, dass die Web-Edition eine virtuelle Schnittstelle von Einträgen in den Reisetagebüchern zu weiteren Sammlungsobjekten sowie Archiv- und Bibliotheksmaterialien bieten wird. Der umfassende Webauftritt soll, so die Pläne des Teams, bereits vor Ende des Projekts im Jahr 2020 online gehen und kontinuierlich – Heft für Heft – befüllt werden.

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