Die Schuld der Wohlmeinenden

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Jena. Mit dem Ende des aktuellen Wintersemesters scheidet Heiner Alwart aus Altersgründen offiziell aus dem Amt eines Professors an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena aus. Aus diesem Anlass hält er am 3. Februar um 16.15 Uhr in der Aula der Universität (Fürstengraben 1) eine öffentliche Abschiedsvorlesung. Sie widmet sich dem Thema „Wie aus alter Schuld neue Schuld erwachsen kann“.
Prof. Alwart möchte das Auditorium davon überzeugen, dass eine nach dem Ende des Nationalsozialismus versäumte Vergangenheitsbewältigung sich heute nicht mehr nachholen lässt. Auch wer es gut meint, kann sich in Ungerechtigkeit und Schuld verstricken. Der Strafrechts-Professor konfrontiert die vielsagende historische Freundschaft zwischen Fritz Bauer und Thomas Harlan mit den fehlgeleiteten Zuschreibungen durch die heutige Justiz etwa im Fall Gröning.
Bei Fritz Bauer handelt es sich um den legendären Frankfurter Generalstaatsanwalt, der in den 1960er Jahren die ersten Auschwitz-Prozesse auf den Weg brachte. Thomas Harlan ist der verzweifelte Sohn jenes Veit Harlan, der 1940 den umjubelten Hetzfilm „Jud Süß“ in die Kinos brachte. Der 95-jährige Oskar Gröning wurde als „Buchhalter von Auschwitz“ wegen Beihilfe zum 300.000-fachen Mord im Jahre 2015 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Vor dem Hintergrund weiterer aktueller „Sündenbockprozesse“ und mit Blick auf die seit 2013 laufende „schreckliche“ NSU-Hauptverhandlung in München warnt Alwart vor einer moralischen Verwahrlosung von Rechtsstaat und Demokratie. Diese Kritik aus der Wissenschaft erscheint ihm umso dringlicher, als die Medien nach seiner Auffassung zu einem Teil des Problems geworden sind. Auch im Kampf gegen Rechtsextreme muss der Liberalismus imstande sein, seine Prinzipien zu wahren. Sonst könnte sogar eine aufgeklärte Zivilgesellschaft wie die von heute schon bald Schaden nehmen, so Alwart. Daher dürfe man hoffen, dass der vom Bundesverfassungsgericht im NPD-Parteiverbotsverfahren kürzlich verkündete „Freispruch“ am Beginn einer vergangenheitspolitischen Veränderung steht. Es wird in Zukunft insbesondere für die jüngeren Generationen entscheidend darauf ankommen, das kulturelle Erbe Europas in seiner ganzen Vielfalt und Größe wieder autonom in Besitz zu nehmen.

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