Europas politische Eliten und die Krise der europäischen Integration

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Dr. Lars Vogel, Institut für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, aufgenommen am 12.01.2017. Foto: Anne Günther/FSU

Jena (16.01.17) Der Europäische Integrationsprozess steht vor gewaltigen Herausforderungen, denkt man allein an den angekündigten Brexit, die massiven Migrationsbewegungen, die gewalttätigen und kriegerischen Auseinandersetzungen in der Nachbarschaft der EU und die in vielen Mitgliedstaaten erstarkenden rechtspopulistischen Bewegungen. Aber auch die Wirtschafts- und Haushaltssituation ist in vielen Mitgliedstaaten weiterhin angespannt, während die Austeritätspolitik mit erheblichen sozialen und politischen Verwerfungen einherging.
„Krisenzeiten wie diese sind die Stunde politischer Eliten, weil dabei herkömmliche, insbesondere institutionelle Regelungen nicht mehr wirksam sind und diese Akteure neue Problemlösungsstrategien entwickeln, ja improvisieren müssen“, sagt Dr. Lars Vogel von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Daher hat der Soziologe die politischen Eliten analysiert und die Ergebnisse in einem Sonderheft der Zeitschrift „Historical Social Research“, das Vogel gemeinsam mit einem spanischen Kollegen herausgibt, veröffentlicht. Untersucht wurden die politischen Eliten in zehn Mitgliedstaaten der EU. Die Analysen basieren auf drei repräsentativen Befragungen von Parlamentsabgeordneten, die im Rahmen der internationalen Forschungsverbünde IntUne und ENEC in den Jahren 2007, 2009 und 2014 realisiert wurden. „Wir haben damit die Zeit kurz vor der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 untersucht und ihre weitere Entwicklung zur Staatsschuldenkrise, die eine Krise der Eurozone hervorrief und sich schließlich zu einer politischen Krise der gesamten EU ausweitete“, ergänzt Vogel. Im Mittelpunkt stehen die grundlegenden Einstellungen, Wahrnehmungen und Handlungsstrategien der politischen Eliten zum Europäischen Integrationsprozess und deren Entwicklung.

Die Haltung zur europäischen Integration wird nicht allein durch Krisen bestimmt

Die Ergebnisse zeigen, dass die Haltung der Eliten zur Europäischen Integration davon abhängt, inwieweit entsprechende Krisen ihre jeweiligen Länder betreffen. Auch die Erwartungen, welches Problemlösungspotenzial supranationale Institutionen im Vergleich zu nationalen Institutionen haben, beeinflussen die Haltung der Politiker. Daneben erweist sich die generelle Bewertung der Europäischen Integration durch die Eliten auch in den Krisenzeiten als stabil pro-europäisch, während Fragen nach der konkreten Ausgestaltung des Integrationsprozesses stärkeren Veränderungen unterliegen. Diese grundlegende Befürwortung hat sich allein in den Mitgliedstaaten verringert, in denen euroskeptische Parteien Wahlerfolge erzielen. Dieser Kontrast zwischen den stabil pro-europäisch orientierten politischen Eliten und ihrer im Verlauf der Krisen zunehmend europakritisch gewordenen Bevölkerung hat die Entwicklung hin zu einer politischen Krise des gesamten Integrationsprozesses entscheidend geprägt, resümiert Vogel eines der zentralen Ergebnisse des Sonderhefts.
Das Sonderheft ist hier (http://www.soziologie.uni-jena.de/soziologie_multimedia/Downloads/LSBest/HSR_41_4_full.pdf) online zugänglich.

Bibliographische Angaben:
Lars Vogel, Juan Rodriguez-Teruel (Hg.) (2016) National Political Elites and the Crisis of European Integration, Country Studies 2007-2014, (=Special Issue of Historical Social Research 41.4). Preis: 15 Euro.

H&H Makler

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