„Magersucht zu bekommen wäre echt schlimm. Zum Glück haben wir in unserer Schule gelernt, nicht wie Barbie zu werden.“

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PD Dr. Uwe Berger, Psychologe am Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie des UKJ und Projektleiter der Studie LooP präsentierte die Studienergebnisse zusammen mit den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen am UKJ Luise Adametz, Dr. Felicitas Richter und Julia Mühleck. (v.l.n.r.) Foto: UKJ/Kotlorz

Jena (ukj/tak). Thüringens Schülerinnen, die zur Vorbeugung von Essstörungen an den Programmen „PriMa“ und „Torera“ teilnahmen, haben einen stabileren Körperselbstwert. Das ist ein Ergebnis der Langzeitstudie LooP („long-term effects of school based prevention programs related to eating behavior and the development of eating disorders“), die mit einem Abstand von gut zehn Jahre nach Beginn der Präventionsprogramme vom Universitätsklinikum Jena (UKJ) durchgeführt wurde.

„Ein sinkender Körperselbstwert während der Pubertät ist normal und einer der Hauptrisikofaktoren für Essstörungen. Deshalb ist für uns die Stabilität des Körperselbstwertes in den Projektgruppen ein sehr ermutigendes Ergebnis, um Essstörungen wirkungsvoll vorzubeugen“, resümiert PD Dr. Uwe Berger, Psychologe am Institut für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie des UKJ und Projektleiter der Studie LooP. Das ist ein positives Fazit und auch eine Bestätigung für die Schulen, die Programme zur Vorbeugung von Übergewicht und Essstörungen anbieten.

Dabei wurden 1.000 ehemalige Schülerinnen zu einer wissenschaftlichen Befragung eingeladen. Mehr als 100 beantworteten insgesamt 67 Fragen zum Essverhalten und zur Wahrnehmung des eigenen Körpers. Darunter waren Fragen wie: „Mich beschäftigt der Wunsch, dünner zu sein.“, „Nachdem ich gegessen habe, fühle ich mich deswegen sehr schuldig“, „Ich neige dazu, meinen Körper zu verbergen“. Ein Ergebnis: Die heute 19- bis 20-Jährigen, die damals an den Präventionsprogrammen teilnahmen, haben einen stabileren Körperselbstwert als Gleichaltrige ohne Programmteilnahme.

Für die Untersuchung von Langzeiteffekten wurden auch anonymisierte Daten der unterstützenden Krankenkassen BARMER und AOK PLUS für das LooP-Projekt ausgewertet. BARMER Landesgeschäftsführerin Birgit Dziuk: „Junge Mädchen werden schon sehr früh mit vermeintlichen Schönheitsidealen konfrontiert. Ein gefestigtes Selbstbewusstsein und Körpergefühl sind der beste Schutz. Vielleicht sollte man aber auch einmal überlegen, die Modeindustrie an der Finanzierung von Präventionsprogrammen zu beteiligen. Hier sind wir alle gefragt, was wir schön finden, bestimmen wir alle als Gesellschaft mit.“ Mit der Ernährungsinitiative „Ich kann kochen“, der bundesweit größten Kampagne zur Ernährungsbildung von Kita- und Grundschulkindern, hat es sich die BARMER zum Ziel gesetzt, 2.800 Genussbotschafterschulungen durchzuführen und 1,4 Mio. Kinder erreichen.

Igor Kästel, Regionalgeschäftsführer der AOK PLUS erklärt: „Die Ergebnisse sind auch für uns als Gesundheitskasse interessant und bestätigen uns: Seit 2014 setzen wir beispielsweise mit unserem Präventionsprogramm JolinchenKids bereits im Kindergartenalter bei den Jüngsten an, um sie für einen gesunden Lebensstil zu begeistern. Dabei werden nicht nur Ernährung und Bewegung thematisiert, sondern auch das seelische Wohlbefinden in den Mittelpunkt gerückt.“

Essstörungen sind schwerwiegende Erkrankungen des Jugendalters. Sie sind schwer behandelbar und verlaufen oft chronisch. Vor allem die Magersucht endet bei etwa zehn Prozent der Betroffenen tödlich. Unter Essstörungen leiden vor allem junge Mädchen. Insgesamt sind rund fünf Prozent der Mädchen und ein Prozent der Jungen im Alter von 14 bis 24 Jahren in Deutschland erkrankt. Es wird zwischen drei verschiedenen Essstörungen unterschieden. Die Magersucht (Anorexie) ist gekennzeichnet durch eine starke Gewichtsabnahme bei anhaltendem Gefühl, zu dick zu sein. Die Ess-Brech-Sucht (Bulimie) und die Binge-Eating-Störung äußern sich durch extreme Essanfälle, wobei bei der Bulimie gegenregulierende Maßnahmen wie z.B. Erbrechen ergriffen werden, um eine Gewichtszunahme zu verhindern. „Allen drei Störungen gemein ist jedoch der geringe Körperselbstwert. Figur und Körpergewicht haben große Bedeutung für die Selbstbewertung“, erklärt Luise Adametz, wissenschaftliche Mitarbeiterin im UKJ.

Wie erkennen Jugendliche oder Eltern eine Essstörung?

„Wir unterscheiden zwischen auffälligem Essverhalten und Essstörungen, wobei der Übergang meist fließend ist. Auffälliges Essverhalten ist gekennzeichnet durch einzelne Denk- und Verhaltensweisen, wie z.B. häufiges Diäthalten und Unzufriedenheit mit dem Gewicht“, sagt Dr. Felicitas Richter, wissenschaftliche Mitarbeiterin im UKJ. Bei einer Essstörung sind Symptome wie Hungern oder intensives Erbrechen so stark ausgeprägt, dass das Leben der Betroffenen bereits sehr eingeschränkt ist. Es treten z.B. in der Schule Konzentrationsschwierigkeiten, fehlende Energie und sozialer Rückzug auf. Häufig zusätzlich vorhanden sind psychische Erkrankungen wie Depression und Ängste. Trotz starker Schuld- und Schamgefühle erkennen die Betroffenen selten die Notwendigkeit für eine Behandlung.

„In Thüringen wurde 2014 bei einem Prozent der weiblichen Versicherten der Krankenkassen AOK PLUS und BARMER im Alter zwischen elf und 25 Jahren die Diagnose einer Essstörung gestellt. Nur ein Viertel der Betroffenen mit der Diagnose Essstörung erhielt eine ambulante psychotherapeutische Behandlung“, berichtet Julia Mühleck, wissenschaftliche Mitarbeiterin im UKJ. Die Präventionsprogramme „PriMa“ und „Torera“ setzen daher bereits vor dem Ausbruch einer Essstörung im Alter von elf bis 13 Jahren an. Die Mädchen lernen auf spielerische Art und Weise, sich mit relevanten Themen wie z.B. Schönheitsidealen auseinander zu setzen. Zusätzlich fördert dies ein positives Klassenklima und einen vertrauensvolleren Umgang zwischen Schülern und Lehrkräften. Auch werden die Lehrkräfte darin unterstützt, den Beginn einer Essstörung besser zu erkennen und weitere Hilfsangebote zu initiieren, z.B. Beratungsangebote der psychosomatischen Station der Psychiatrie des Uniklinikums Jena. Auch zehn Jahre nach der ersten Durchführung der Programme „Prima“ und „Torera“ erachten viele der befragten Lehrkräfte die Prävention von Essstörungen als ein wichtiges Thema. Es braucht jedoch engagierte Schulleiter, Projektlehrkräfte oder andere pädagogische Fachkräfte und unterstützende Eltern, um die Programme auch langfristig und regelmäßig in die Schule zu integrieren.

Hintergrund:

Der Freistaat Thüringen hatte es sich seit 2004 zur Aufgabe gemacht, Programme zur Prävention von Essstörungen für den Unterricht in den Schulen zu etablieren. So wurden Mädchen der sechsten Klassen unter anderem in „PriMa“, (Primärprävention Magersucht), sowie Mädchen und Jungen in den siebten Klassen in „Torera“ (von span. Stierkämpferin) zur Vorbeugung von Essstörungen durch gesundes Essen und Bewegung unterrichtet. Jungen der sechsten Klassen führten parallel dazu das Programm „TOPP“ durch. Das steht für „Teenager ohne pfundige Probleme“. Insgesamt nahmen mehr als 1.300 Thüringer Schülerinnen im Alter von elf bis 13 Jahren an über 60 Schulen an den Programmen teil, ca. 1.200 Schülerinnen an 40 Schulen füllten zur Kontrolle bis zu 5-mal die umfangreichen Fragebögen aus.
Im Vorfeld zu LooP fand eine Untersuchung zur kurzfristigen Wirkung der Programme statt, gefolgt von der Untersuchung der Langzeiteffekte. Beide Forschungsprojekte wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit insgesamt 500.000 Euro unterstützt. Alle Präventionsprogramme stehen als druckfertige pdf-Dateien auf der Homepage des Instituts für Psychosoziale Medizin und Psychotherapie (www.mpsy.uniklinikum-jena.de) zum kostenlosen Herunterladen für pädagogische Fachkräfte zur Verfügung.

Zitate der Schülerinnen:

„Dass viele offen geredet haben und wir erkannt haben: Hungern wegen Stress mit Eltern ist nicht gut. Außerdem haben wir das Poster nachgespielt, das war cool!“

„Ich finde es gut, dass unsere Lehrerin, wenn wir Probleme haben, auf uns gut eingeht.“

„Der Unterricht heute war schön. Ich wünschte, er würde den ganzen Tag gehen, also sechs Stunden. Dass keine Jungs dabei sind, finde ich gut, denn die würden sowieso nur lachen!“

„Das Plakat hat mich zum Nachdenken gebracht.“

Zitate der Lehrkräfte:

„Diese Einflüsse [Wirkung der Programme] habe ich schon während des Projektes gemerkt. Wir starten ja mit dem Projekt, indem sie [die Schülerinnen] ihren eigenen Körper zeichnen und gute und schlechte Dinge mal ankreuzen. Und am letzten Tag des Projektes, wenn wir noch unter uns sind, dann reden wir wieder drüber. Und dann merke ich, dass die roten Kreuze, also die negativen Dinge, weniger werden. Sie sind nicht gänzlich verschwunden, aber sie werden weniger.“

„Und was ich dann zum Schluss immer gemacht habe, ist, den Schülerinnen dann die weiterführenden Informationen, Flyer und alle möglichen Ansprechpartner mitzugeben. Und das habe ich den Eltern dann auch nochmal gezeigt, dass wenn sie ein Problem haben, sie wissen, an wen sie sich wenden können.“

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