Familienbegleiter betreuen Familien mit lebensbedrohlich erkrankten Kindern

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Seit zwei Jahren ist Kerstin Ritzmann ausgebildete Familienbegleiterin. Die gelernte Sozialpädagogin ist Ehrenamtliche der ersten Stunde im Kinder- und Jugendhospiz Tambach-Dietharz. Eine Annonce in der Zeitung war ihr Impuls zu sagen: „Ich wußte sofort, das ist meine Chance, in diesem Bereich mitzuwirken und zu helfen. Um fachmännisch und korrekt helfen zu können, braucht man eine Ausbildung, damit man den Familien wirklich mit Rat und Tat zur Seite stehen kann.“ Familienbegleiter wie sie betreuen schwerstkranke Kinder, unterstützen Familien und Angehörige ganz praktisch im Alltag, dem Haushalt und der Freizeit. Im Gespräch mit Reporterin Livia Schilling stand Kerstin Ritzmann für die Oktober-Ausgabe des Oscars Rede und Antwort:


Was macht eine Familienbegleiterin?

Ein bis zwei Tage im Monat verbringe ich mit der Familie, die ich betreue. Mein „Schützling“ Gunnar ist 12 Jahre alt, lebt in Erlau nahe Suhl und leidet unter spinaler Muskelatrophie. Ich nehme der Familie Gunnar ab oder beschäftige mich mit seinen Geschwistern. Zu den Eltern habe ich inzwischen ein freundschaftliches Verhältnis.


Wie viele Familien betreuen Sie?

Grundsätzlich sollte es nur eine Familie sein, weil es miteinander passen muss. Schließlich baut sich eine Beziehung zueinander auf, lernt man, gelassen miteinander umzugehen, trinkt auch einfach nur mal einen Kaffee. Ich rechne keine Kilometer oder gar Geschenke ab.


Welche Kernkompetenzen sollte ein Familienbegleiter mitbringen?

Voraussetzung ist ein hohes Maß an sozialem Verständnis. Man darf Schicksale trotzdem nicht zu nah an sich heranlassen. Man sollte sich dieser Aufgabe gewachsen fühlen, ein Herz für die Familien haben und nicht nur Mitleid, sondern vor allem auch viel Freude rüber bringen. Eltern und Kind begleiten zu können, heißt, stark sein zu müssen. Zum Umgang mit Kindern und Familien gehören schließlich auch Tränen und Zweifel. Ich vermeide es aber, vor den Kindern zu weinen. Es ist eben eine Mischung aus Helfersyndrom, sozialem Engagement und Distanz.


Wie erfolgt die Ausbildung?

Die Ausbildung zur Familienbegleiterin fand im Kinderhospiz in Tambach.Dietharz statt, sie wird komplett über Spenden finanziert. Wir hinterlegten jedoch eine Art Kaution, um zu gewährleisten, dass ein Abschluss gemacht wird. Letztendlich spendete ich das Geld dem Kinderhospiz. Der Abschluss ist staatlich anerkannt. Zukünftige Familienbegleiter beschäftigen sich vor allem intensiv mit sich selbst. Sie müssen ja schließlich anderen helfen können. Das setzt diesen Weg voraus, der wirklich hart ist und auch schmerzhaft. Aber wer dieses Jahr geschafft hat, geht danach mit sich und seinem Umfeld wesentlich

gelassener um.


Werden Sie nicht auch gefragt: „Wie kannst du das nur aushalten?“

Manche glauben, meine Familie müsse darunter leiden, es bleibe was liegen. Es ist aber nicht so schlimm, wie man es sich vorstellt. Gunnar, seine Familie und ich – wir genießen die Zeit. Schließlich geht es doch darum, Zuversicht zu geben, Freude zu bereiten. Ich kann jetzt mit dem Schicksal von Menschen positiver umgehen. Dabei wird Gunnar aber nicht anders behandelt als seine beiden Geschwister. Mitleid ist hier fehl am Platz.

Wie unterschiedlich empfinden die Kinder, Geschwister, Eltern und Betreuer

Ein solches Schicksal?

Gunnars Eltern gehen sehr offen damit um. Ich schiebe seine begrenzte Lebenserwartung von mir weg, denke nicht darüber nach. Mein Ziel ist es, die Zeit mit Gunnar und seiner Familie zu genießen. Für Gunnar und seine Geschwister zählen genau diese Momente, die Augenblicke des Glücks. Ich weiß, dass ich Gunnar irgendwann loslassen muss. Man wächst mit diesem Bewusstsein auch mit der Familie zusammen und redet offen darüber.


Was hilft Ihnen bei der Verarbeitung, beim Abschalten?

Einmal im Monat treffen wir Familienbegleiter uns zur Supervision, besprechen unsere

Sorgen und den Umgang mit Konflikten, die es auch gibt. Nicht nur, weil wir es ebenfalls lernen müssen, mal „nein“ zu sagen. Abschalten kann ich beim Schwimmen, Wandern. Ich fahre einfach mal ein paar Tage an die Ostsee. Mein Zuhause, meine Familie – das ist mein Ruhepol.


Was gefällt Ihnen besonders am Kinderhospiz in Tambach-Dietharz?

Hier sind wir immer noch in der Anlaufphase. Geplant ist zum Beispiel ein „Garten der Erinnerung“ an die verstorbenen Kinder. Ich frage mich oft, warum es früher so etwas nicht gab. Kinder dürfen hier Kinder sein, machen Urlaub mit ihren Eltern. Hier wird wirklich viel gelacht. Und auch so erleichtern wir den Familien die Zeit, wenn der Abschied von den Kindern naht.


Was würden sie sich von der Gesellschaft wünschen?

Ich erhoffe mir einfach mehr Akzeptanz. Niemand sollte den Kinder mitleidig hinterherschauen. Vor allem die Eltern schwer erkrankter Kinder erhoffen sich mehr Barrierefreiheit und Verständnis. Auf Einladungen können betroffene Familien nicht so spontan reagieren wie wir, da braucht es mehr Rücksicht.