Pharmazeuten der Uni Jena klären Wirkmechanismus von Arzneistoffen mit auf und publizieren in „Nature Chemistry“

0
1226

Antibiotika-resistente Keime, gefährliche Viren, Krebs: Für viele Krankheiten werden neue und bessere Arzneimittel gebraucht. Eine vielversprechende Inspirationsquelle dafür ist die Natur. Eine computerbasierte Methode hilft nun, den Wirkmechanismus von Naturstoffen vorherzusagen. Das berichtet ein Forscherteam der ETH Zürich sowie der Universitäten Jena, Frankfurt und Saarbrücken in der aktuellen Ausgabe des renommierten Fachmagazins „Nature Chemistry“ (doi:10.1038/nchem.2095).

Die Medizin driftet auf ein großes Problem zu: Es gibt immer mehr Bakterien, gegen die kein bekanntes Antibiotikum mehr hilft. Ärzte brauchen dringend neue Mittel gegen solche multi-resistenten Krankheitserreger. Um dem Problem zu begegnen, wendet sich die Pharmaforschung wieder der Quelle zu, aus der die meisten unserer Arzneimittel ursprünglich kommen: der Natur.

Es sind zwar Hunderttausende aus der Natur stammende Wirkstoffe bekannt, wie sie genau wirken, ist bei den meisten jedoch nicht klar. Das Forscherteam, an dem auch Prof. Dr. Oliver Werz (Bild; Foto: Günther/FSU) von der Friedrich-Schiller-Universität Jena und seine Arbeitsgruppe beteiligt sind, hat nun eine computerbasierte Methode entwickelt, um den Wirkmechanismus solcher Naturstoffe vorherzusagen. Damit hoffen die Wissenschaftler auf neue Ideen, um Arzneistoffe zu generieren. „Natürliche Wirkstoffe sind meist sehr große Moleküle, die man chemisch oft nur in langwierigen Prozessen synthetisieren kann“, sagt Studienleiter Gisbert Schneider, Professor für Computergestütztes Wirkstoffdesign der ETH Zürich. Wenn man verstehe, wie genau ein Naturstoff wirke, könne man kleinere, einfachere Moleküle entwerfen, die sich leichter synthetisieren lassen. Sobald ein Stoff chemisch synthetisierbar wird, lässt er sich auch für den medizinischen Einsatz optimieren.

Um den Wirkmechanismus von Naturstoffen zu verstehen, untersuchen Forscher, mit welchen Bestandteilen eines Erregers der Naturstoff wechselwirkt, um beispielsweise sein Wachstum zu hemmen. Bisher dienten dazu aufwendige Laborversuche, und meistens erkannten die Wissenschaftler dabei nur diejenige Zielstruktur eines Stoffs, mit der er am stärksten interagiert. Diese eine Wechselwirkung allein kann aber oft nicht die gesamte Wirkung eines Naturstoffs erklären.

Mithilfe ihrer neuen computerbasierten Methode konnten die Forscher nun eine Vielzahl möglicher Zielstrukturen von 210.000 bekannten Naturstoffen vorhersagen. Die Software arbeitet dabei mit einem Trick: Anstatt von der kompletten, oft komplexen chemischen Struktur der natürlichen Stoffe auszugehen, zerlegt sie diese in kleine Fragmente. Diese benutzt ein Algorithmus als Grundlage, um chemische Datenbanken nach möglichen Interaktionspartnern zu durchforsten.

Die Forschenden prüften ihre Methode an einem Wirkstoff, der das Wachstum von Tumorzellen bremst: Archazolid A. „Von dieser Substanz war bereits bekannt, mit welcher Zielstruktur sie in der Krebszelle wechselwirkt“, erläutert Prof. Werz. Es gab jedoch Hinweise, dass auch die Interaktion mit weiteren Zellbestandteilen eine Rolle für die Anti-Tumor-Wirkung dieser Substanz spielen muss. Welche diese anderen Faktoren sind, konnten die Forscher nun mithilfe der Software identifizieren. „Anschließend haben wir hier in Jena den Beweis erbracht, dass der Naturstoff Archazolid A die vorhergesagten Zielstrukturen auch tatsächlich beeinflusst“, so Werz weiter.

Dabei stellten die Wissenschaftler überraschend fest, dass Fragmente des Archazolid A einem einfachen Molekül ähneln, der Arachidonsäure, die bei einer Vielzahl von Entzündungsreaktionen eine zentrale Rolle spielt. „Diese Entdeckung hat uns veranlasst, die Wirksamkeit der Substanz unter dem Gesichtspunkt der Entzündungshemmung zu beleuchten, da die Mehrzahl der vorhergesagten Zielstrukturen die Arachidonsäure binden und wichtige Schlüsselmoleküle der Entzündung darstellen“, sagt Oliver Werz. Der Pharmazeut hofft, dass die Methode künftig genutzt werden kann, um auch für andere biologisch hochaktive Naturstoffe Hinweise auf ihren Wirkungsmechanismus zu erhalten.