Der ganz eigene Rückblick auf die Thüringen-Ausstellung in Erfurt

0
1232

Wenn ein Bundesland seinen Einwohnern zeigen will, dass es noch existiert, das alles im Land ganz toll ist und jeder es mag, dann veranstaltet es auf einer freien Fläche oder in schlecht gelüfteten Messehallen eine Landesaustellung. Und das auch noch jährlich. Alle Firmen dürfen hier ausstellen, die ansonsten mit viel Aufwand und ungewöhnlichen Gewinngarantien vorwiegend die Rentner in Busse locken und zu Verkaufsausstellungen karren, bei knappen Essen und schalem Bier.

Nun also fand in der Todeszone für Skifahrer, in Erfurt, die Thüringenausstellung statt. Damit jeder Thüringer weiß, wann er zu erscheinen hat, sind die Tage fest eingeteilt. Da gibt es den Familientag mit kleinen schreienden Kindern, mit Oma und Opa im Schlepptau und mit schnell genervten Eltern, die all die Zäune, Mauern und Farbtopfaufschichtungen gar nicht sehen wollen.

Der Montag heißt Seniorentag und ich war dabei. Schon auf der Schnellstraße gen Landeshauptstadt hätte ich stutzig werden und abbrechen sollen, denn an jeder gelben Ampel wurde bis zum nächsten gelb gewartet und dann ganz langsam angefahren. Aus silbergrauen Kleinwagen starrten ältere Damen und feist grinsende Männer mit Hut aus den Autofenstern teilnahmslos auf die grauen und nicht bestellten Felder. Zu sagen hatten sie sich schon lange nichts mehr, nur dass die Parkgebühren immer höher werden, was es morgen zum Mittag gibt und man hoffentlich seine angespitzte Krücke mit in die Messehallen nehmen konnte. Aus allen Richtungen des Freistaates krochen langsam und hupend Autolawinen auf die Parkplätze rund um die Messehallen.

Gleich nachdem die netten Damen wegen des erhöhten Eintrittspreises runderneuert waren, gab es ein großes stoßen, drängeln und Platz freischaufeln. Als einzige Partei hatte sich die FDP eine Nische gesucht, um die alten Leute mit Geschenken zu ködern. Herrliche gelb-blaue Jutebeutel, auslaufende Kugelschreiber und das Parteiprogramm bekamen schnell handelnde Senioren in die wulstigen Hände gedrückt.

Auf  bettelnde Nachfrage wechselten sogar Autogrammkarten der Stars Westerwelle und Rößler den Besitzer. Auch wenn die alten Leut` bei der nächsten Wahl wieder die Linken oder die CDU wählen, einen hässlichen Beutel mit dem Teufelszeichen FDP kann man immer gebrauchen. Dann gab es da noch den Stand des Bundestages mit herrlichen grauen Jutebeuteln, auslaufenden Kugelschreibern und komischen Broschüren, die mit der Verfassung bedruckt waren. Ach, wird dieses Altpapier in den Kaminen brennen.

Als man dann die Bundeswehr ignoriert hatte, die den alten, aber mit strahlenden Augen ausgerüsteten, Leutchen die neuen Panzer, Raketen und Maschinengewehre näher bringen wollte, gab es Kaffefahrtware in allen Farben, Größen und Ausführungen. Jetzt konnte das Hauen und Stechen beginnen. Wer will die extrastarken Messer, die wunderbaren ultraviolett leuchtenden Matratzen, die muffigen, von gelackten Damen, präsentierten Fellmäntel oder die Gemüseraspeln und Schaumschläger. Ein Ausstellungsstück entpuppte sich hässlicher als das andere, zum Verkauf bestens geeignet.

Thüringen zeigte sich von der besten Seite: Von hinten, am Arsch. Ein ewiger grauer Strom schob sich durch die drei Messehallen, die nach angebrannten, sehr fettigen Thüringer Rostbratwürsten stanken und vom Geschrei der Händler angefüllt war.

Wer von den Hausbesitzern wieder eine Mauer bauen wollte, der konnte bei „Stein-Bau“ fündig werden. Hier gab es die neuesten Muster, über drei Meter hoch, flott in grau gehalten und mit einigen Verzierungen versehen. Wasserbetten, Ruhestühle und Massagesessel wurden im Minutentakt von strak humpelnden Menschen besprungen und jüngere Leute von den Bierbänken verjagt. Krücken, Rollstühle und Gehilfen auf Rädern kamen immer wieder zum Einsatz, denn damit konnten die Senioren an ihrem Tag den Weg freischaufeln, Lustwandelnden in die Hacken fahren und frechen Buben mit Todschlag drohen. Wer nicht aufpasste, flog in die Blumengestecke, stolperte über Holzbeine oder verlor sein Getränk im Nacken des Vordermannes. Vier Bier gekauft, eins getrunken. Immer wusste man als Unbeteiligter, wo es Beutel und Kugelschreiber umsonst gab, denn da watschelten die grauen Panther hinzu, da gab es kein durchkommen mehr.

Gerne genommen wurden riesige Brillenputztücher zum kleinen Preis, scharfkantige Messer, saure Gurken und natürlich überteuerte Staubsauger, ausgehangene Lederjacken vom Kunsttier und Sessel, die sich schüttelten und hervorragend zum furzen geeignet sind. Immer wieder lenkten die Besucher die Gespräche auf die alte, leider aufgegebene Heimat, auf Rücken, Plattfüße und Kniegelenk, lose Zähne, offene Beine und geschlossene Bäckerläden. Man zog über den ahnungslosen Arzt her und freute sich über Ministerin Lieberknecht, die doch wirklich eine Bohrmaschine für ihren Mann besorgte.

In die Mägen landeten nach altem Brauch pünktlich um 12 Uhr meterlange Bratwürste, viele Tonnen Kartoffelklöße, bitter schmeckende Schnäpse und immer wieder kostenlose Probierstücke von ominösen Käsebauern aus Bayern und Österreich. Riesige Schinken von Gen manipulierten Schweinen landeten in den vorne stolz getragenen Bauchsäcken.

Wer aber wegen der arbeitenden Bevölkerung gekommen war, der steuerte Messehalle 2 an. Hier standen gegelte und gestylte Handwerker an ihren Aufbauten herum, logen sich aus langer Weile die Taschen voll über bombastische Umsätze, exklusive Verträge und nur von ihnen geschaffene Werte. Endlich konnten sich die Hausbesitzer über Neues kundig machen, um ihre Mieter noch besser in Schach halten können. Spitze Zäune, Verbotsschilder, feste Schlösser und Alarmanlagen galten als die Renner, wie in jedem Jahr.

Am Ende des Rundgangs saßen alle Senioren einträchtig im „Messe-Cafe“, um ihre kostenlos gehamsterten Schätze, die Söhne und Töchter in einigen Wochen entsorgen müssen, zu vergleichen und neue Bustouren zu besprechen.

Die Messe mit ihren Abteilungen Gesundheit, Wellness und Essen/Trinken hatte sich gelohnt, denn Lahme konnten plötzlich wieder sehen, Blinde wieder stehen und Taube sich im Kreise drehen.

Im nächsten Jahr sind alle wieder dabei, theoretisch.

Die Aussteller in den Verbindungsgängen waren nach einigen Stunden schon wieder geflohen, denn sie wurden von den rüstigen Senioren gnadenlos in die Enge getrieben, umgehumpelt und ausgekauft.

Die Bundeswehr war immer präsent. Sie musste den alten Leuten ja zeigen, mit was für toller Technik sie in Afghanistan beschützt werden, mit was sie bald im Iran einmaschieren und wo so mancher Rentengroschen versickert.

Wer nicht mehr laufen konnte, der wurde auf neuartige Folterinstrumente gespannt, mit Werbung dauerberieselt und schließlich sportlich über den Tisch gezogen.

Ihr Thomas Behlert