Die dunkle Seite des Mondes – Ein Gespräch mit Schauspieler Moritz Bleibtreu

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Schon als Sechsjähriger stand Moritz Bleibtreu vor der Kamera und präsentierte in einer Kinderserie „Neues aus Uhlenbusch“. Der Sohn zweier Schauspieler arbeitete für TV und Leinwand, bis er sich Ende der 1990-er Jahre ausschließlich auf deutsche („Das Experiment“) und internationale Kinoproduktionen („München“) konzentrierte. Erst 2015 kehrte der 44-jährige mit der Serie „Schuld nach Ferdinand von Schirach“ erfolgreich auf den Bildschirm zurück. In „Die dunkle Seite des Mondes“, der Kino-Adaption eines Romans von Martin Suter, spielt Moritz Bleibtreu nun einen Anwalt, dessen Leben nach einem Experiment mit psychedelischen Pilzen eine dramatische Wendung erfährt. André Wäsche sprach mit dem Schauspieler.

Herr Bleibtreu, fühlen Sie sich verkleidet, wenn Sie einen Maßanzug tragen?

Nee. Also so ganz selten trage ich ja nun auch keinen Anzug. Ich bin zwar kein Schlipsträger im klassischen Sinne, aber verkleidet fühle ich mich damit nicht. Das geht schon. Aber tatsächlich habe ich eine Figur wie diese auch aufgrund meines Alters noch nicht so oft gespielt. In „Schuld“ kam der erste Anwalt, nun kam noch einer. Ich wachse wohl jetzt – Gott sei Dank – in diese „wohlsituierteren, betagteren Charaktere“ hinein. Und dann glaubt man mir sogar einen Juristen. Das ist sehr spannend, weil diese Menschen meiner persönlichen Welt sehr fern sind. Ich habe mit Anwälten zum Glück nicht so viel zu tun.

Bei Martin Suter spielt sich immer sehr viel im Inneren ab, was eine Verfilmung nicht einfach macht. Wer muss das Problem in erste Linie lösen, das Drehbuch oder der Schauspieler?

Grundsätzlich immer das Drehbuch. Wir als Schauspieler sind ja mit gar nicht so viel ausgestattet. Wir können ein bisschen Subtext spielen, wir können traurig sein oder lustig. Aber wenn der inhaltliche Kontext nicht klar erklärt und vorgibt, woraus eine bestimmte Emotion resultiert, dann funktioniert das alles nicht. Es gibt das berühmte Beispiel „Der andalusische Hund“ von Luis Buñuel, ein Film, der das in hervorragender Weise demonstriert. Es geht um die Information. Wenn du die Information nicht hast, wenn sie nicht funktioniert oder nicht stimmt, dann kann ein Schauspieler im Allgemeinen machen, was er will. Es ändert nichts an seinem Talent oder daran, wie gut er ist. Es wird kein stimmiger Film entstehen. Wenn Sie auf die Trip-Sequenzen anspielen, dann hat man als Schauspieler mimisch und gestisch vergleichsweise wenige Möglichkeiten, um eine Innenwelt auszudrücken. Das ist nicht so einfach. Es ist letztendlich ein Fantasiekonstrukt, für das nicht in erster Linie der Schauspieler die Verantwortung trägt. Trotzdem versucht man natürlich, das visuell umzusetzen.

 

In Ihren Filmen spielen Drogen des Öfteren eine Rolle. Sie selbst geben an, kaum Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt zu haben. Wer hat Sie vor Versuchungen bewahrt?

Nee, ich habe nur gesagt, dass ich noch nie auf einem vergleichbaren Trip war. Einmal in meinem Leben habe ich auch Pilze ausprobiert. Ich war noch sehr jung und es war ziemlich lustig. Aber es hatte überhaupt nichts mit so einer schwer halluzinogenen und schon psychotischen Wirkung wie im Film zu tun. So eine Erfahrung fehlt mir gänzlich, dazu habe ich keinerlei Bezug. Aber das ist ja bei vielen Dingen in der Schauspielerei so. Es geht gerade darum, Dinge möglichst glaubhaft zum Ausdruck zu bringen, die man unter Umständen noch gar nicht selbst erlebt hat.

Ein Gehirn ist Chemie und Elektrizität. Existiert der freie Wille?

Ich persönlich denke schon, dass er das tut. Natürlich immer gekoppelt an alle möglichen Einflüsse und sicherlich nur unter der Voraussetzung, dass man in der Phase des Aufwachsens überhaupt Raum dafür geschaffen hat und wenn sich ein freier Wille entwickeln konnte, ohne von allen Seiten beeinflusst zu werden. Im Nachhinein ist wahrscheinlich überhaupt keine Möglichkeit mehr gegeben, noch einen freien Willen zu entwickeln. Natürlich sind wir ein Produkt der Gesellschaft, der Erziehung und all dem. Aber ich glaube schon, dass man durchaus einen freien Willen haben kann, wenn man in Kindheit und Jugend nicht indoktriniert wurde.

Der Protagonist der Geschichte wird mit seinen Abgründen konfrontiert. Das archaische Böse ist bekanntlich in uns allen vorhanden. Verfolgt man die Nachrichten, könnte man meinen, dass es sogar auf dem Vormarsch begriffen ist. Macht Ihnen das manchmal Angst? 

„Angst“ wäre jetzt übertrieben. Aber sicherlich ist das beunruhigend. Man merkt, dass eine Konfliktbewältigung nicht so einfach stattfinden kann. Ich finde es wichtig, dass man in dieser Situation bei sich selbst bleibt. Und dass man nicht an dieser Panik teilnimmt, die überall stattfindet und auch stark durch soziale Medien genährt wird. Einer sagt was, der Andere reagiert darauf und daraus resultiert der nächste Konflikt. Das hat vorher nie so stattgefunden. Das Beste wäre Ruhe für alle. Ich sage nicht gern: „Man sollte dies´ und jenes tun!“. Aber ich glaube, uns allen täte diese Ruhe gut. Vielleicht sollte man gerade in dieser Situation noch einmal darüber nachdenken, ob man die sozialen Medien wirklich in den Mittelpunkt des eigenen Lebens stellen sollte, wie so Viele es tun. Es wäre sicher ein Schritt in die richtige Richtung.             

In „Die dunkle Seite des Mondes“ spielt die Pharmaindustrie mit gezinkten Karten, im wahren Leben betrügen selbst Traditionskonzerne. Die Gier hat über den Anstand gesiegt. Glauben Sie, dass man das irgendwann rückgängig machen kann?

Nein, und das ist das Schlimme. Da geht es um Hemmschwellen. Eine Hemmschwelle ist eine immens wichtige Sache. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch eine natürliche Hemmschwelle davor hat, einen anderen Menschen zu verletzen. Es sei denn, sie wurde ihm in der Jugend genommen. Wenn man über eine solche Hemmschwelle drüber geht, dann vor der nächsten steht und die auch noch überwindet, umso schwieriger wird es, empathisch zu bleiben. Der Verlust von Empathie ist das große Problem unserer Zeit. Das darf uns nicht passieren. Man kann auf diese ganzen Situationen eigentlich nur mit übertrieben viel Liebe reagieren. Eine andere Möglichkeit sehe ich da nicht. Wenn man die Unschuld einmal verloren hat, ist sie weg. Das ist etwas sehr Trauriges. Man kriegt sie nicht zurück. Wenn du in deinem Leben bestimmte Wege einschlägst oder Dinge bewusst tust, ist deine Seele damit beschäftigt, mit diesen Entscheidungen leben zu können, die du getroffen hast. Der Weg zurück bleibt für immer versperrt. Russell Brand hat etwas sehr Schlaues zu diesem Thema gesagt. Wenn man über Daish redet, heißt es oft, dass sie den Tod mehr lieben als das Leben. Darauf hat Russell Brand gesagt: „Dann müssen wir das Leben eben mehr lieben als die den Tod.“. Etwas Treffenderes kann man darüber kaum sagen.

 

Spielt Pink Floyds Platte „The Dark Side of the Moon“, die dem Film den Namen gibt, in Ihrem Leben eine Rolle?

Nicht wirklich. Dafür bin ich fast zu jung. Als „The Wall“ so richtig fett war, war ich schon mit dem 80-er-Jahre Pop beschäftigt. Ich erinnere mich dunkel, dass wir an der Schule mal ein daran angelehntes Theaterstück aufgeführt haben. Aber ich war damals schon eher bei „Duran Duran“, Kim Wilde und so.

Im Film fällt er schöne Satz: „Von Pink Floyd in den Maßanzug“. Entdecken Sie bei sich auch fortschreitende Spießigkeit?

Nö. Wenn man von Pink Floyd und Maßanzug spricht, geht es ja um Werte. Und in dieser Beziehung kann ich das wirklich nicht behaupten, im Gegenteil. Ich gehe eigentlich ziemlich geradeaus. Aber natürlich entdecke ich jeden Tag Veränderungen. Gerade heute habe ich mir wieder drei graue Haare aus meinem Bart gezupft. Aber meine Einstellung zu Dingen und Werten hat sich in den letzten 15 Jahren nicht mehr entscheidend verändert.

Ein großer Teil des Drehs fand unter oft widrigen Bedingungen im Wald statt. Sind Sie ein Naturmensch oder durch und durch Großstädter?

Ich bin absolut auch gerne in der Natur. Aber bitte nicht bei 7 Grad im Regen. Dann in den Wald zu gehen, kann man machen. Muss man aber nicht. Ein Tag ist okay, zwei auch. Aber drei Wochen ist dann – nö. Ich und der Wald waren am Ende nicht mehr so gute Freunde. Ich war sehr froh, als wir dann nach Köln umgezogen sind. Ach, war das schön! Wir haben in Büros und Wohnungen gedreht – hervorragend.      

Ihre Figur macht einen bemerkenswerten Umbruch durch. Lässt sich auch Ihre Karriere in Phasen und Umbrüche gliedern?

Nicht so richtig. Bis jetzt ist da ein roter Faden drin. Meine Einstellung zum Beruf hat sich nicht geändert, seit ich zwanzig bin. Ein paar Sachen haben sich vielleicht relativiert, weil die Zeiten sich ändern. Ich habe zum Beispiel 17 Jahre lang keine Fernsehfilme gemacht. Ich habe das Kino als Raum geliebt: Wenn ich es schaffe, mich darüber zu definieren, dann mache ich das. Aber wenn die guten Geschichten nur noch sehr selten den Weg ins Kino finden, so wie heute, dann muss ich natürlich dahin, wo die guten Geschichten gemacht werden. Die Zeiten haben sich verändert, nicht ich.

Wird es tatsächlich eine Fortsetzung des Kultfilms „Lammbock“ geben?

Ja, die wird es geben. Wenn es Gott und die Förderer wollen.

Wenn Sie an die Dreharbeiten des ersten Teils zurückdenken, woran erinnern Sie sich zuerst?

Das ist mit einer Erinnerung nicht abgetan. Und ich bin der schlechteste Anekdoten-Erzähler der Welt. Ich schaue mit einer kleinen Sentimentalität auf dieses gesamte Ding zurück. Es war eine sehr schöne Zeit und wir hatten eine super Energie. Davon hat der Film auch gelebt. Deshalb freue ich mich nun umso mehr, dass wir das noch einmal angehen dürfen. Mit ein paar grauen Haaren im Bart.

Die Fragen stellte André Wesche.