Ein Gespräch mit Ilja Richter

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Seit seinem neunten Lebensjahr ist Ilja Richter in den Medien als Moderator, Sänger, Schauspieler und Synchronsprecher präsent. Besondere Popularität erlangte der Berliner durch die Musiksendung „Disco“, in der Richter von 1971 bis 1982 mit großem Erfolg internationale Stars und heimische Sketche präsentierte. Nun schlüpfte der 60-jährige für den Pixar-Film „Die Monster Uni“ mit seiner unverkennbaren Stimme noch einmal in die Rolle des kugelrunden, einäugigen, grünen Monsters Mike. Wir sprachen mit Richter über Alpträume, Vorbilder, das „Disco“-Erbe und die Entwicklung der Medienlandschaft.

 

Herr Richter, seit Ihrem ersten Einsatz als Mike Glotzkowski sind zwölf Jahre vergangen. Waren es glückliche Jahre für Sie?

Ja. Mein Sohn ist jetzt elf. Zwischen „Die Monster AG“ und „Die Monster Uni“ liegen also die Lebensabschnitte 1 – 11 meines Sohnes. In dieser Zeit bin ich immer wieder mit Mike Glotzkowski konfrontiert worden. Im Kinderzimmer fand Mike genauso statt wie Timon aus dem „König der Löwen“, den ich ja auch sprecherisch betreut habe. Es war eine Überraschung, dass ein neuer Film gemacht wurde. Aber die „monsterlose Zeit“ wurde durch den heranwachsenden Kolja überbrückt, der sich mit Vater oder ohne den Film angeschaut hat.

 

Erinnern Sie sich noch an Ihre allererste Begegnung mit der Figur des Mike?

Als ich ihn zum ersten Mal auf der Leinwand gesehen habe, habe ich gelacht – wie wahrscheinlich die meisten Menschen. Mike ist ein sehr abstruses, komisches Teil. Und dann fing er auch noch zu sprechen an! Zunächst wusste ich nicht, dass das die Stimme von Billy Crystal ist. Ich habe mich sehr schnell in die Figur hineingefunden. Bei der Synchronarbeit macht man die Originalstimme nicht nach, aber man nähert sich ihr stark an. Das ist ein vergnügliches Arbeiten.

 

Mike ist ein hyperaktiver Typ, immer hoch motiviert und auf sein Ziel fokussiert. Sind das Eigenschaften, mit denen Sie sich identifizieren können?

Ja, aber nicht auf diese hektische Weise. Mike Glotzkowski ist ein naives Wesen: kämpferisch, aber naiv. Ich bin kämpferisch, aber nicht naiv.

 

Mike wird im Original von Billy Crystal gesprochen. Schätzen Sie diesen Kollegen?

Ja, sehr. Er ist ein wunderbarer Komödiant. Ich verehre ihn seit „Harry und Sally“.

 

Gab es einen Take, den Sie unendlich oft wiederholen mussten und der Sie beinahe zur Verzweiflung getrieben hat?

Zur Verzweiflung wurde ich nicht getrieben, aber Fallen gibt es schon. Mike Glotzkowski ist eine anspruchsvolle Synchronarbeit, bei der es um viele Details geht. Man strebt natürlich an, den hohen Anforderungen eines Disneyfilms gerecht zu werden. Die Herangehensweise ist nicht alltäglich. Oft wird die Synchronarbeit schnell erledigt, deshalb mache ich es auch so selten. Bis auf Irrfan Khan, den ich in „Life of Pi“ gesprochen habe, bis auf Timon und Mike Glotzkowski gibt es von mir nur wenige Synchronarbeiten. Schnelles Synchronisieren hört sich auch dementsprechend schlecht an. Bei großen Disney-Filmen nimmt man das Casting der Stimmen genauso ernst wie das gesamte Produkt. Ich hatte die Figur schon im ersten Teil gesprochen, aber ich musste vorher noch einmal ein paar Takes aufnehmen. Die Amerikaner sichern sich ab, ob man noch so klingt – oder ob man aufgrund von Alter, Schicksalsschlägen, Alkohol und Drogen eine andere Stimme bekommen hat. (lacht)

 

Welche Dinge haben Ihnen als Kind schlaflose Nächte bereitet?

Ich bin nicht mit Monstern aufgewachsen, es gab sie auch in meinen Träumen nicht. Es waren eher monströse Situationen wie das allein gelassen Werden. Aber das sind Urängste, die wohl jeder Mensch kennt. An solche Ängste erinnere ich mich, Monster haben mich nie aufgesucht.

 

Mikes Idol ist Frank McCay, der im Deutschen von Manuel Neuer gesprochen wird. Welcher Mensch, den Sie im Laufe Ihrer Karriere kennengelernt haben, ist für Sie auf einer menschlichen Ebene zum Vorbild geworden?

Theo Lingen. Er war ein Gentleman, wenn man dieses Wort wirklich begreift und es nicht als einen affektierten, altmodischen Begriff abtut. „To be gentle“: freundlich sein, gradlinig sein. Diese Qualitäten hat dieser Schauspieler gerade in der Nazizeit bewiesen, in der er eine Gratwanderung versuchte und dadurch mit der Familie überleben konnte. Theo Lingen hatte in eine jüdische Familie eingeheiratet. Er selbst hätte durch den Rassismus der Nazis keine Nachteile gehabt, aber er hielt zu seiner Frau und zur Familie. Gleichzeitig war er nicht so angepasst, dass er in Durchhaltefilmen mitspielte. Deshalb habe ich ihm ein musikalisch-komödiantisches Denkmal gesetzt, das Theaterstück „Theo Lingen – Komiker aus Versehen“. Es ist sehr erfolgreich, deshalb gehe ich im Januar wieder damit auf Tournee.

 

Sie sind vielfältig kreativ tätig, Sie schreiben, stehen vor der Kamera, auf der Bühne und im Studio. Geht es für Sie in Ordnung, dass viele Menschen Sie trotzdem noch immer als die „Disco“-Ikone in Erinnerung haben?

In dieser Beziehung kann ich weder mit dem Begriff „trotzdem“ noch mit „noch immer“ etwas anfangen. Diese Fragestellung impliziert sofort, dass mich überhaupt etwas im Zusammenhang mit „Disco“ nerven könnte. Diese Sätze stammen nur aus den Redaktionsstuben und den Gehirnwindungen der Schreibenden. Es fühlt sich fast so an, als hätten sich alle Journalisten dazu verabredet, dass ich mich von meiner eigenen Vergangenheit distanziert habe und von Fragen genervt bin. Dem ist nicht so. Ich mag es nur nicht, wenn sich Gespräche zu neunzig Prozent um die Vergangenheit und nur zu zehn Prozent um Gegenwart und Zukunft drehen sollen – was hier aber nicht der Fall ist.

 

Viele Journalisten haben bei Interviews mit Kindern berühmter Eltern oder ehemaligen Darstellern ikonischer Rollen die Erfahrung gesammelt, dass Fragen nach dem Gestern unerwünscht sind.

Es ist schön, dass Sie mir das mal erklären. Ich habe nämlich keine wirkliche Antwort auf diese Frage. Natürlich ist es ein Unterschied, ob sie mit Kindern berühmter Eltern sprechen und sie zum Boxen mit den Schatten ihrer berühmten Mütter und Väter verführen, oder ob wir von einer Showvergangenheit sprechen. Das kann auch ein großer Schatten sein, aber es kommt darauf an, was man daraus macht. Adelbert von Chamisso hat eine wunderbare Parabel darüber geschrieben, wie Peter Schlemihl seinen Schatten verkaufte. Egal, ob du im Showgeschäft oder in einem Fleischerfachgeschäft tätig bist, es ist sinnlos, seinen Schatten loswerden zu wollen.

Man kann seinen Schatten auch als einen Freund betrachten. Ich betrachte meinen Schatten als einen nicht von mir zu trennenden Kompagnon, so wie es auch mit der so lange zurück liegende Showkarriere ist. Ich selbst bin nicht damit beschäftigt, Reflektionen über die 70-er anzustellen, ich werde nur mehr oder minder charmant dazu gezwungen. Ich glaube, diese Fragen entstehen oft aus einer Sentimentalität der Fragenden heraus, was ihre eigene Vergangenheit betrifft. Ich selbst bin gar nicht sentimental – zumindest in diesen Dingen.

 

Heutzutage würde ein Format, in dem Hardrock, Pop, Schlager und Komik gleichberechtigt koexistieren, schwerlich die Unterstützung durch einen Sender finden. Bedauern Sie die Entwicklung, die die Fernsehlandschaft genommen hat?

Ich beschäftige mich nicht mit der Entwicklung des Showbusiness und der Musikshows im TV. Ich kann diese Frage nur gesellschaftspolitisch beantworten. Ich selbst höre zu 80 Prozent Radio, einfach aus meiner Gewohnheit heraus. Wenn ich dann doch mal durch das Programm zappe – was ich als Tätigkeit nicht so gerne mag – dann stelle ich fest, dass es weitaus mehr Humor und Komik im deutschen Fernsehen gibt als zu jenen Zeiten, in denen ich mich damit abplagte, weil so vieles nicht erlaubt war. Ich durfte mich mit meiner Komik nur bis zu einem bestimmten Punkt vorwagen. Wehe, wenn sie einen Ansatz von Satire, Schärfe oder kabarettistischer Überhöhung hatte!

Dann wurde es schnell wieder zurückgestuft, bis es albern-harmlos war. Das ist heutzutage viel besser geworden, es wird viel scharfes Pulver verschossen. Ich finde es nur schade, dass sich die Familie heutzutage höchstens noch bei Sportveranstaltungen vor dem Fernseher zusammenfindet. Früher hat man sich noch vor dem „Lagerfeuer“ des Fernsehapparates versammelt, auf dem „Dorfplatz“, wenn man so will. Aber die Medienlandschaft hat sich verändert und man sollte das nicht so sentimental sehen. Heute machen sich viele junge Leute ihr Programm selbst.

 

Sie sind vor einiger Zeit 60 geworden und haben ein Buch zum Thema veröffentlicht: „Du kannst nicht immer 60 sein“ – einen Gegenentwurf zur Ratgeber-Kultur. Was möchten Sie Ihren Lesern mit auf den Weg geben?

Es ist das Buch eines gut gelaunten Menschen, der das Altern keineswegs verniedlicht, verharmlost, verkitscht. Gleichzeitig ermuntert er, guter Laune zu sein. Nicht idiotisch-fröhlicher Laune, sondern guter Laune. Gehe gelassen durchs Leben und erfreue dich an dem, was du hast und was du noch erleben darfst. Mit einem Lächeln älter werden eben.

 

Die Fragen stellte André Wesche.