Ein Interview mit der Erfurter Arbeitsagentur-Chefin Beatrice Ströhl 

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2003
Die Agentur für Arbeit in Erfurt startet eine „Aktionswoche der Ausbildung“. Wie sind die Chancen auf dem Ausbildungsmarkt? Sollten auch Abiturienten über eine Berufsausbildung nachdenken? Wie finde ich überhaupt den richtigen Beruf? Was sind Chancenberufe?
Im Interview dazu Beatrice Ströhl, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Erfurt.
Die Agentur für Arbeit Erfurt veranstaltet ab heute eine Aktionswoche zur Ausbildung. Was sind die Höhepunkte?
Ströhl: Wir haben in dieser Woche Veranstaltungen für Eltern, Schüler und Unternehmen geplant. Am Mittwoch laden wir Eltern zum Elternabend unter dem Titel „Das Beste für mein Kind – Berufswahlunterstützung für Eltern“ ein. Für Abiturienten bieten wir von Dienstag bis Donnerstag in Erfurt, Weimar und Ilmenau Beratungen zur Ausbildung an. Am Donnerstag können sich junge Menschen zu Berufen in der Lebensmittelbranche informieren. Darüber hinaus führen wir mit der Jugendberufsförderung eine Berufsorientierungsmesse für Jugendliche mit Lernbeeinträchtigungen durch und laden am Freitag zum Unternehmensbrunch ein, um Arbeitgebern angehende Facharbeiter vorzustellen.
Sie bieten Beratungen für Abiturienten zur Berufsausbildung an. Warum sollten sich Gymnasiasten für eine Ausbildung interessieren?
Ströhl: Die Zahlen der Studienabbrecher zeigen es deutlich: Nicht jeder, der Abitur hat, ist für das Studium geeignet. Wer schon während der elften und zwölften Klasse Schwierigkeiten in der Schule hat, sollte sich genau überlegen, ob sofort studiert wird. Denn auch das duale Studium oder die duale Berufsausbildung bieten vielfältige Arbeitsmarktchancen. Jugendliche erlernen einen praktischen Beruf im Unternehmen, bekommen eine Ausbildungsvergütung, sammeln Erfahrungen und wachsen. Und wer sagt denn, dass man unmittelbar nach dem Abi studieren muss? Etliche Unternehmen bieten Nachwuchskräften die Möglichkeit, nach dem Ausbildungsabschluss zu studieren. Mit dem praktischen Erfahrungshintergrund und dem Sicherheitsnetz durch den Betrieb fällt ein Studium dann viel leichter.
Und was ist mit der Bezahlung? Wird man mit einem Hochschulabschluss nicht viel besser bezahlt?
Ströhl: In den meisten Fällen, vor allem im gewerblich-technischen Bereich, richtet sich die Bezahlung nach den Anforderungen der Arbeitsstelle. Für den Betrieb spielt es in erster Linie eine Rolle, dass der Bewerber die Fähigkeiten und Kenntnisse hat, die im Arbeitsalltag erwartet werden. Ob der Kandidat dann einen Facharbeiterabschluss mit jahrelanger Berufserfahrung, eine Weiterbildung zum Techniker oder einen Bachelorabschluss hat, ist für das Unternehmen zweitrangig.
Was wird auf dem Markt denn gesucht? Mit welcher Ausbildung habe ich in Mittelthüringen die größten Chancen auf dem Arbeitsmarkt?
Ströhl: Vor allem in der Metall- und Elektrobranche, in Gesundheits- und Pflegeberufen, im Baugewerbe, in der Lebensmittelbranche und in Tier- und Landwirtschaft finden Unternehmen bereits jetzt zu wenig Nachwuchs. Auch im Verkauf, in Hotels und Gaststätten sowie in der Unternehmensorganisation sind die Ausbildungsmarktchancen gut. Doch es reicht nicht, nur nach dem Markt zu schauen. Der Beruf muss zum jungen Menschen passen. Der Azubi sollte gern zur Arbeit gehen und sich wohl fühlen. Welcher Ausbildungsberuf das ist – gilt es in den letzten Schuljahren individuell herauszufinden.
 
Wie findet man denn heraus, welcher Beruf passt?
Ströhl: Berufswahl ist ein Prozess. Die wenigsten wachen früh auf und wissen, was sie werden wollen. Es geht darum, herauszufinden, wo die eigenen Stärken liegen, welche Kompetenzen und Fähigkeiten ein junger Mensch hat und welches Arbeitsumfeld passt. Es spielen dabei soziale, gesundheitliche und persönliche Faktoren eine Rolle. Und natürlich sind Informationen zu Berufsbildern und zum Arbeitsmarkt wichtig. Leider überlassen viele diese Entscheidung dem Zufall, dabei ist die Wahl des passenden Berufes eine der wichtigsten Entscheidungen und eine spannende Reise zu sich selbst. Begleitung und Unterstützung finden junge Menschen bei den Berufsberatern in individuellen und neutralen Beratungsgesprächen. Aus unseren Erfahrungen gibt es meist nicht nur einen einzigen Wunschberuf. Für die meisten Jugendlichen passen zehn bis 15 Ausbildungsberufe.
In dem Alter sind aber viele Jugendliche mit anderen Themen beschäftigt. Da geht es um den ersten Freund, Freunde in Netzwerken und wenig um die Berufswahl.
Ströhl: Den Jugendlichen ist es schon wichtig, eine Ausbildung zu machen, die Chancen auf dem Markt bietet. Auch die Höhe der Ausbildungsvergütung und die Bekanntheit des Ausbildungsbetriebs spielen eine große Rolle. Doch in einigen Fällen lassen sich junge  Menschen – die ja erst 15 oder 16 Jahre alt sind – stark davon leiten, was der beste Freund oder die beste Freundin macht. Welcher Beruf im Familienkreis angesehen ist oder gerade im Freundeskreis angesagt ist. Besser ist es, sich auf die eigenen Stärken zu verlassen und den eigenen Weg zu gehen.
Was empfehlen Sie jungen Menschen, damit genau das nicht passiert?
Ströhl: Sie sollten sich in den letzten Schuljahren unabhängig beraten lassen. Die Berufslandschaft ist im Laufe der Jahre immer komplexer und unübersichtlicher geworden. Die Entscheidung für den Job ohne professionelle Unterstützung anzugehen, wäre leichtsinnig. Wenn sie alle Möglichkeiten abklopfen und praktische Erfahrungen im Unternehmen sammeln, können sie bewusst und frei entscheiden.
Infos und Veranstaltungen zur „Aktionswoche der Ausbildung“ auf www.arbeitsagentur.de/erfurt