Internationales Projekt unter Jenaer Leitung

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Die Einheiten der Waffen-SS zogen während des Zweiten Weltkriegs durch ganz Europa eine Spur des Todes und der Vernichtung. Doch nicht nur Deutsche trugen Totenkopf und Runen an der Uniform: In zahlreichen europäischen Ländern wurden Einheimische zwangsrekrutiert oder meldeten sich freiwillig zur Waffen-SS. Sie kämpften an der Front, wurden als Wachmannschaften in den Konzentrations- und Vernichtungslagern eingesetzt und vielfach selbst zu Tätern in Vernichtungskrieg und Holocaust.

Woher kamen diese Männer, was bewog sie zur Kollaboration? Welches Selbstbild hatten sie? Was geschah mit ihnen nach Kriegsende?

Fragen wie diese möchte das internationale Verbundprojekt „Non-Germans in the Waffen-SS: A Cultural History“ erforschen, das jetzt gestartet wurde. Geleitet wird es von Dr. Jochen Böhler vom Imre-Kertész-Kolleg der Universität Jena und Prof. Dr. Robert Gerwarth von der School of History des University College Dublin. Die Gerda-Henkel-Stiftung in Düsseldorf stellt für das Projekt knapp 200.000 Euro zur Verfügung.

„Wir wollen die Perspektive der ausländischen SS-Männer in den Blick nehmen“, sagt Dr. Jochen Böhler. Es gebe zwar diverse Arbeiten über die Waffen-SS und ihre Hilfstruppen, doch vieles davon sei unwissenschaftlich und nicht selten gar revisionistisch. „Gerade ehemalige SS-Leute geben ein verzerrtes Bild wider“, so Böhler. Überhaupt sei bis heute die europäische Dimension des Einsatzes der Waffen-SS im „Kampf gegen den Bolschewismus“  nicht angemessen vergleichend untersucht worden. Geschehnisse wie das Massaker von Oradour seien kein Einzelfall gewesen. An der Vernichtung des französischen Dorfes durch eine Einheit der Waffen-SS im Juni 1944 waren zahlreiche Elsässer beteiligt – also deutschstämmige Franzosen. Bis heute für Frankreich ein Trauma, wie Böhler sagt.

In dem auf zwei Jahre angelegten Projekt wird Dr. Franziska Zaugg aus Bern über „Muslim Volunteers – the Case of South-East-Europe“ forschen. Dr. Jacek Andrzej Młynarczyk aus Toruń beschäftigt sich mit „The Trawniki Camp Guards: A History of Eastern European Waffen-SS men in the Shadow of the Holocaust“. Ins Blickfeld der Historiker rücken dabei also Muslime aus Südosteuropa, die in der Waffen-SS dienten, und jene Männer, die als „Trawniki“ bekannt sind. Diese „Trawniki“ wurden vornehmlich aus den Reihen sowjetischer Kriegsgefangener rekrutiert und im gleichnamigen Lager nahe Lublin ausgebildet, es waren überwiegend Ukrainer, sogenannte Volksdeutsche aus der Sowjetunion sowie Männer aus den baltischen Ländern.

„Wir wissen nur wenig über die Einheimischen in der Waffen-SS“, sagt Jochen Böhler. Spannend sei etwa zu erfahren, warum sich manche Männer freiwillig meldeten, was sie sich erhofften und wie ihr Verhältnis zu den deutschen Vorgesetzten und Kameraden war. Als Quellen nutzen die Historiker Archive in den Heimatländern der SS-Leute, Memoiren und Prozessakten.
Bis heute gelten die einstigen SS-Männer in ihren Heimatländern entweder als Helden oder als Verdammte, sagt Böhler. In Frankreich würden sie als sogenannte „Malgré-Nous“ (Gegen unseren Willen) zu tragischen Gestalten stilisiert, im Baltikum gebe es dagegen einen regelrechten Kult um die einheimischen Söldner der Waffen-SS, sogar Denkmale erinnerten an sie. Nun soll diesen Zuschreibungen eine wissenschaftliche Sicht entgegengestellt werden.

Ausgangspunkt des neuen Forschungsprojekts war eine Tagung im Mai 2014, die das Kertész-Kolleg gemeinsam mit der Universität Toruń ausgerichtet hat: „Himmler’s Supranational Militia: Indigenous Participation in SS and Police Units in the Context of the Second World War.“ Ein Sammelband zur Konferenz erscheint in Kürze in deutscher, englischer und polnischer Sprache. Außerdem wird Franziska Zaugg ihre Dissertation „For you, my dear Albanians, this march is the way back home – Recruitment Strategies of the Waffen-SS in Southeastern Europe“ am Montag (2. Februar) im Rahmen des Kolloquiums des Imre-Kertész-Kollegs in Jena vorstellen. Gäste sind herzlich willkommen.

(Bild: Rekruten der Waffen-SS-Division Galizien warten auf den deutschen Kreishauptmann (1943). Foto: Muzeum Historyczne Sanok)

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