Lokale Perspektive auf die Urkatastrophe

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Das Attentat von Sarajevo kennt man, auch Städtenamen wie Verdun, die sich infolge grausamer Schlachten ins historische Gedächtnis eingebrannt haben. Doch wie wirkte sich der Erste Weltkrieg in der Heimat aus? Dieser Frage geht eine Ausstellung des Kreisarchivs nach, die ab heutigem Montag im Landratsamt Gotha während der regulären Öffnungszeiten zu sehen ist.

In sieben Schautafeln präsentiert das Archiv Originalquellen aus den Jahren 1914 bis 1918; hinzu kommen historische Akten, einige militärische Auszeichnungen sowie eine Sammlung von Zeichnungen und Skizzen, die ein Kriegsteilnehmer aus Catterfeld während seiner Zeit in Frankreich angefertigt hat.

Die ausgestellten Objekte haben alle einen spezifisch lokalen Blickwinkel: So kann der geneigte Betrachter etwa die Sonder­ausgaben des Thüringer Waldboten, einer seinerzeit in Ohrdruf und Umgebung verlegten Tageszeitung, zu den einzelnen Kriegserklärungen studieren. Der Mobilmachungsbefehl, der an die Gemeinde Remstädt ging, ist ebenfalls erhalten geblieben wie auch die Anweisung des Herrenhöfer Bürgermeisters, den Jahreswechsel 1914/15 nicht ausgelassen zu feiern angesichts der Situation der Söhne der Gemeinde an den verschiedenen Fronten. Dank ausgestellter Feldpostkarten erfährt man, was die Soldaten im Schützengraben bewegte. Die Schattenseiten des Krieges werden nicht zuletzt in den Todesanzeigen, Kondolenzschreiben und heroisierenden Benachrichtungen an die Familien überdeutlich. Wie sehr die Zivilbevölkerung unter den Entbehrungen litt, lässt sich an verschiedenen Quellen sehr gut nachvollziehen: So wird einerseits in offiziellen Aufrufen um Gold- und Metallspenden gebeten, während andererseits Erlasse des damaligen herzoglichen Landratsamts Ohrdruf die Erfassung der gesamten Pilzernte (1917) oder die Verwertung von Kastanien und Eicheln als Nahrungsmittel (1916) festlegen. Bewegend ist auch das Schreiben einer Remstädter Ehefrau und Mutter an die Kompanie ihres vermissten Mannes mit der Bitte, den Sold weiterhin zu überweisen, damit sie sich und die vier Kinder versorgen kann.

Die Ausstellung berührt den Betrachter aufgrund ihrer Nähe direkt: Die Ortsnamen sind vertraut, auch die Familiennamen mancher in den Vermissten- und Gefallenenlisten geführten Soldaten. Damit werden die 100 Jahre zurückliegenden Ereignisse erstaunlich fassbar und abstrakt erscheinende Geschichte wird plötzlich lebendig“, sagt Landrat Konrad Gießmann. Fest stehe: Sämtliche folgenden Ereignisse des 20. Jahrhunderts seien ohne den Ersten Weltkrieg aus heutiger Perspektive nicht denkbar. Umso wichtiger sei es, an den Kriegsausbruch vor genau einem Jahrhundert – am 28. Juli erklärte Österreich-Ungarn dem Königreich Serbien den Krieg – zu erinnern. Gießmann dankt der Leiterin des Kreisarchivs, Andrea Hartwich, sowie deren Mitarbeiter Wolfgang Machts für die akribische Recherche und Zusammenstellung der Ausstellung.

Vorangegangen war ein öffentlicher Aufruf des Kreisarchivs im Jahre 2013, um Dokumente, Objekte und Nachlässe aller Art aus den Jahren 14/18 vor der Vernichtung zu bewahren. Erstaunlich viele Bürgerinnen und Bürger überließen dem Archiv ein großes Konvolut von Erinnerungsstücken aus ihrer Familie. Etwa auch Rosemarie Ullrich aus Catterfeld: Sie stellte Skizzen und Zeichnungen ihres Großvaters Erich Schmidt zur Verfügung. Dieser nahm 1917 und 1918 als junger Kanonier einer Artillerieeinheit an verschiedenen Schlachten in Nordfrankreich teil, wo die Mehrzahl der nun erstmals präsentierten Bildnisse entstand.

Die Ausstellung steht allen Interessenten voraussichtlich bis Jahresende offen.