Wahnsinnsspiel in der „Blauen Hölle“

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Beim Umgang mit Superlativen empfiehlt sich stets ein maßvoller Einsatz. Doch hier und heute darf bedenkenlos aus dem Vollen geschöpft werden. Denn das, was sich gestern in der restlos ausverkauften „Blauen Hölle“ abspielte, war sensationell. Die vierte Partie des thüringischen Playoff-Viertelfinales bot all das, was aus einem Basketball-Spiel ein unvergessliches Erlebnis für alle Beteiligten macht: große Emotionen, Einsatz ohne Ende, packende Duelle, fantastische Stimmung und kaum zu überbietende Spannung von der ersten bis zur letzten Sekunde.

Es war zweifelsfrei eine denkwürdige Schlacht, die sich die Oettinger Rockets und Science City Jena gestern lieferten. Das bessere und gewiss auch etwas glücklichere Ende hatten dabei die Gothaer auf ihrer Seite. Sie triumphierten in einer Begegnung auf Augenhöhe mit 55:51 (25:24) und schrieben BiG-Geschichte. Schließlich verwandelten sie ihren zweiten Matchball, entschieden die Serie gegen den Kontrahenten aus Ostthüringen mit 3:1 für sich und zogen somit erstmals seit dem Aufstieg in die 2. Basketball-Bundesliga ProA im Jahr 2012 in das Halbfinale der Playoffs ein.

Kein Wunder also, dass beim Ertönen der Schlusssirene alle Dämme brachen: Spieler, Trainer, Fans, Sponsoren, Unterstützer und Helfer lagen sich jubelnd in den Armen, sangen, tanzten vor Freude und kosteten den Erfolg in vollen Zügen aus.

„Es war ein hartes Stück Arbeit und sicher auch ein glücklicher Sieg, denn Jena hat uns einmal mehr einen bravourösen Fight geliefert“, sagte Head Coach Chris Ensminger, der unmittelbar nach Spielende zum zweiten Mal in seiner Trainer-Karriere einen ausgelassenen Freudentanz im Mittelkreis zelebrierte. „Aber unterm Strich ist das alles egal: Hauptsache, wir haben gewonnen und für die vorläufige Krönung unserer bis dato erfolgreichsten ProA-Saison gesorgt. Ich bin verdammt stolz auf die Jungs, die heute einmal mehr Charakter bewiesen haben, auf unsere Fans, die uns zum Sieg getragen haben, und natürlich auch auf alle, die einen Anteil an diesem großartigen Erfolg haben!“

Der Schlüssel zum fünften Derby-Sieg der laufenden Saison, der den Weg ins Halbfinale der Playoffs ebnen sollte, war unbändiger Wille gepaart mit Können und dem berühmten Quäntchen Glück. Denn beide Seiten lieferten sich vom Tip-Off an einen hoch intensiven Schlagabtausch, in dem die Führung insgesamt neunmal wechselte und sehr schnell klar war, dass es um alles Mögliche ging, nur nicht um einen Schönheitspreis. So prägte von Anbeginn die Defense das Geschehen. Packende Zweikämpfe gab’s in Hülle und Fülle. Spielerische Highlights und Punkte blieben hingegen Mangelware. Letzteres spiegelte sich in den ausbaufähigen Trefferquoten und der knappen Pausenführung (25:24) für die Rockets wider.

Auch nach dem Seitenwechsel konnte sich zunächst kein Team entscheidend absetzen. Die erste etwas deutlichere Führung ging auf das Konto der Gäste, die sich zu Beginn des vierten Viertels auf sechs Punkten absetzten (38:32 / 33.).

Doch auch in der Phase, in der die Partie zu entgleiten drohte, hielten die Rockets mit aller Macht dagegen. Was auch immer die Saalestädter versuchten – die Hausherren ließen sich nicht abschütteln. Punkt für Punkt kämpften sie sich wieder heran, ehe sie mit einigen Big Shots – insgesamt vier Dreipunktwürfe in kurzer Zeit – die Entscheidung erzwangen.

Zunächst war es Brad Lösing, der mit einem Dreier auf 41:42 (37.) verkürzte. Nur 17 Sekunden später setzte Albert Kuppe zu einem Doppelschlag vom Perimeter an. „AK 47“ versenkte zwei Dreier innerhalb einer Minute zum 47:46 (38.). Somit schoss er die Rockets erstmals seit dem 27:26 (23.) wieder in Führung und auf die Siegerstraße. Schließlich war es Christopher Razis, der neun Sekunden vor Ultimo den letztlich entscheidenden Dreipunktwurf zum 53:48 und die „Blaue Hölle“ in ein Tollhaus verwandelte.

„Dass wir diese Big Shots im vierten Viertel gemacht haben, gab letztlich natürlich den Ausschlag“, sagte Chris Ensminger. Er lobte am Ende vor allem die unerschütterliche Moral und den Teamgeist seiner Mannschaft, aus der statistisch gesehen lediglich die drei Spieler herausragten, die zweistellig punkten konnten: Top-Scorer Brad Lösing (16 Punkte), Carlton Guyton (11) und Center Will Reinke, der im bis dahin wichtigsten Spiel des Jahres sein fünftes Double-Double (10 Punkte / 11 Rebounds) in dieser Saison auflegte.

Indes bewies Gäste-Coach Björn Harmsen in der Stunde der Niederlage großen Sportsgeist. Er gratulierte seinem Kollegen zum Erfolg und würdigte das, was in Gotha unter Dirk Kollmar aufgebaut wurde und nun erfolgreich fortgesetzt wird. Zudem schüttelte Jenas Trainer beim Verlassen der Halle jedem einzelnen Spieler der Rockets die Hand und wünschte viel Glück fürs Halbfinale. Dort treffen die Gothaer ab Samstag auf die s.Oliver Baskets aus Würzburg.

„Heute feiern wir, morgen haben wir einen freien Tag, und übermorgen beginnen wir mit der Vorbereitung auf unseren nächsten Gegner“, sagte Chris Ensminger am Ende der Pressekonferenz. Beim Verlassen des Presseraumes blickte er lange auf eine Collage mit Bildern, die an Dirk Kollmar erinnern. Und erhob still sein Oettinger-Siegerbier.