Schuldnerberatung setzt Beratungstätigkeit fort

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Man sollte das Angebot der Schuldnerberatung nutzen, bevor der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Foto: Andrea Piacquadio/Pexels

Landkreis (red/aw, 8. Februar). Mit 110.000 Euro fördert der Landkreis Gotha auch im Jahr 2021 die Arbeit der hiesigen Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstelle in Trägerschaft des Thüringer Arbeitslosenverbands. Der Betrag dient zur Finanzierung von Lohn- und Sachkosten, damit die Einrichtung ihre Tätigkeit fortsetzen kann.

„Jeder kann einmal – egal ob mit oder ohne eigenes Zutun – in die Schuldenklemme geraten. Umso wichtiger ist es, dann auf kompetente und unabhängige Hilfe zählen und diese auch kostenlos in Anspruch nehmen zu können“, sagt Landrat Onno Eckert. Seit 1992 finden ver- oder überschuldete Haushalte und Einzelpersonen in der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstelle des Thüringer Arbeitslosenverbands e. V. einen Anlaufpunkt, der unentgeltlich und neutral Hilfe anbietet. Die Mitarbeiterinnen sind in der August-Creutzburg-Str. 17 sowie telefonisch unter der 03621 403208 erreichbar.

Das aktuelle deutsche Pfandsiegel (2013): Foto: Hermine Tuzzi/Wikipedia

Zahl der verschuldeten Haushalte bleibt stabil
Die Zahl der verschuldeten Haushalte in Beratung ist im Landkreis Gotha im Jahr 2020 stabil geblieben bei 882 Fällen (2019: 896, 2018: 913, 2017: 898, 2016: 878). Das geht aus dem Jahresbericht der Beratungsstelle hervor. Die gewährte Unterstützung bezog sich mehrheitlich auf die allgemeine Schuldenberatung (551 Haushalte); weitere 331 Haushalte wurden im Rahmen der Insolvenzverfahren begleitet. Wie intensiv das Team um Petra Gierke mit den Klientinnen und Klienten arbeitet, lässt sich an Zahlen ablesen: So wurden 1.308 Beratungsgespräche persönlich sowie weitere 2.800 am Telefon geführt. Dabei war die Beratungsstelle aufgrund der Pandemiesituation vom 18. März bis zum 26. April 2020 geschlossen. Die freie Sprechstunde für Erstgespräche sowie Beratungen fanden telefonisch (80 %) oder per Mail (20 %) statt. Seit Ende April ist die Beratungsstelle unter Einhaltung strenger Hygieneregeln wieder geöffnet und arbeitet nach Terminvergabe. Viele Beratungen finden weiterhin per Telefon oder online statt, was den Verwaltungsaufwand deutlich erhöht hat.

Für 148 Haushalte konnte im vergangenen Jahr die Beratung beendet werden – darunter für 38 Klienten nach erfolgreicher Gesamtregulierung, für 46 weitere nach erfolgreicher Teilregulierung. 64 von den 148 Haushalten wurden im Insolvenzverfahren begleitet.

Viele Bescheinigungen für Pfändungsschutzkonten ausgestellt
2020 hat die Beratungsstelle 235 Bescheinigungen für ein Pfändungsschutzkonto ausgestellt (vgl. 2019: 212 und 2018: 196, 2014: 157) und damit fast 10 % mehr als im Vorjahr. Diese Steigerung ist auf die Zahlung des Kinder-Bonus im Herbst 2020 zurückzuführen. In diesem Zusammenhang verlangten die Banken vom Schuldner eine aktuelle Bescheinigung über die im Haushalt lebenden Kinder. In den meisten Fällen handelte es sich hier jedoch nicht um Neupfändungen, vielmehr waren es alte Pfändungen, die sich schon lange auf dem Konto des Schuldners befanden. Im Zuge des gezahlten Kinder-Bonus verwiesen nun die Banken an die Schuldnerberatung, damit eine Bescheinigung über die Erhöhung des monatlichen Grundfreibetrages ausgestellt wird.

Die Zahl derer, die die Beratungsstelle für ein Erstgespräch aufsuchen, stieg auf 352 im gesamten Jahr 2020.
Daraus ergeben sich folgende Vergleichswerte:
2020: durchschnittlich 9,20 neue Ratsuchende pro Woche
2019: durchschnittlich 7,92 neue Ratsuchende pro Woche
2018: durchschnittlich 8,48 neue Ratsuchende pro Woche

Bei den Neuaufnahmen ist ein erheblicher Anstieg von Arbeitslosengeld 1-Empfängern zu verzeichnen (von 4,29 % in 2019 auf 11,66 % in 2020). Im Gegenzug suchten 12,27 % weniger Arbeitnehmer als im Vorjahr Rat. Hilfebedürftig nach SGB II und SGB XII waren im vergangenen Jahr 31,28 % der neu aufgenommenen Klienten, 1,84 % mehr als im Vorjahr. Auch das ist ein Indiz dafür, dass keinerlei Überschüsse vorhanden sind, um Schulden zu tilgen.

Im 2. Halbjahr beobachteten die Beraterinnen eine steigende Kontaktaufnahme von Klienten wegen Wohnungskündigung und Stromsperre. Deutlich steigt die Zahl der Ratsuchenden mit Schulden beim aktuellen Vermieter aufgrund reduzierten Einkommens (Kurzarbeit, Kündigung, Trennung vom Partner, verspäteter Beantragung von ALG II-Leistungen) oder hoher Nebenkostennachzahlungen und Nichtzahlung der Mieterhöhung.

Zahl der Ratsuchenden im mittleren Alter steigt
Die Zahl neuer Ratsuchender im mittleren Alter (40+) steigt. Ältere Schulden, mit denen sich bisher leben ließ, beginnen in dem Moment wieder zu „drücken“ bzw. werden vollstreckt, wenn z. B. bisher „bescheinigte“ Kinder den Haushalt verlassen. Der große psychische und wirtschaftliche Schaden zu diesem späten Zeitpunkt hätte möglicherweise durch eine frühzeitige nachhaltige Lösung vermieden werden können.

Ebenfalls nahmen Neuaufnahmen in der Gruppe der 50-59-Jährigen, die in den nächsten Jahren zumindest teilweise in den Ruhestand gehen werden, zu (202: 15,96 % Anteil, 2019: 13,5 % Anteil). Auch der Anteil von Rentnern/Pensionären (10,66 %) ist weiter steigend (2019: 10,11 %). Gerade diese Altersgruppe geht oft noch einer geringfügigen Beschäftigung nach, da die Rente allein nicht reicht. Pandemiebedingt sind viele dieser zusätzlichen Einnahmequellen im letzten Jahr weggebrochen. Folgend fehlen finanzielle Mittel zur Absicherung des Lebensunterhaltes. 15,18 % unserer Klienten sind über 60 Jahre. Altersüberschuldung und Altersarmut „gewinnt“ weitere Bedeutung. Der Doppeltrend zu Altersarmut und Altersüberschuldung hält an.
Die anteilmäßig größte Gruppe (31,75 %) bilden weiterhin die besonders wirtschaftsaktiven 30-39-Jährigen.
Etwa 71 % der Klienten geben an, aus Eigeninitiative das Beratungsangebot anzunehmen. 4,65 % werden von Ämtern/Behör-
den in die Beratung vermittelt. Ein großer Teil wird durch Bekannte und Angehörige auf die Beratung aufmerksam gemacht (ca. 14 %).

Arbeitslosigkeit als ökonomischer Auslöser und längerfristiges Niedrigeinkommen blieben auch im zurückliegenden Jahr mit 23,35 % Hauptursache der Verschuldung. Coronabedingte Entlassungen treffen besonders Beschäftige des Niedriglohnbereiches und Personen, für die ein Minijob die Haupterwerbsquelle war und die keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben.

Wenn auch noch keine Häufung von Fällen zu verzeichnen ist, deren Überschuldung allein aus der Corona-Pandemie herrührt, rechnen die Beraterinnen mit einem erhöhten Beratungsbedarf, weil viele Ratsuchende die dann aufgelaufenen und durch Moratorien nur aufgeschobenen finanziellen Probleme rasch lösen müssen.
Ein besonders hohes Armuts- und Verschuldungsrisiko haben Alleinerziehende, im zurückliegenden Jahr 15,87 % der Klienten.
Entgegen dem deutschlandweiten Trend steigt die durchschnittliche Gläubigerzahl in der Beratungsstelle Jahr für Jahr an. So hat jeder Haushalt durchschnittlich 15 Gläubiger (2019: 14, 2014: 9).

Entwicklungstendenzen
• weiterhin hohe Zahl von neuen Klienten mit dem Ziel, die Regulierungsmöglichkeiten eines Insolvenzverfahrens in Anspruch nehmen
• erhöhte Nachfrage nach Insolvenz durch zu erwartende Gesetzänderung
• verstärkte Nachfrage von Klein- und Soloselbständigen
• Zunahme bei Neuaufnahmen von Ratsuchenden mit Hintergrund Insolvenzberatung in der Altersgruppe 20-29 Jahre (4,21 %) sowie 50-59 Jahre (um 5,78 %)
• damit bleibt das Thema Altersüberschuldung weiterhin aktuell
• auffälliger Anstieg des Anteils gescheiterter Immobilienfinanzierungen (12,24 %, 2019: 4,55 %)
• 30-39-Jährige bleiben trotz sinkendem Anteil die größte Gruppe (22,05 %, 2019: 34,67 %)
• durchschnittliche Schuldenhöhe pro Haushalt von 37.085,51 € (2019) auf 58.034,45 € gestiegen

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