Universität Jena rehabilitiert mit einem Festakt am 9. November

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Ein symbolischer Akt

Der lange Schatten der Vergangenheit: In der NS-Zeit wurde zahlreichen Wissenschaftlern der Friedrich-Schiller-Universität Jena der Doktortitel aberkannt. In den meisten Fällen geschah das im Zuge der Ausbürgerung von NS-Verfolgten, die Deutschland verlassen hatten. Den Emigranten erkannte man die deutsche Staatsbürgerschaft ab und die Universitäten wurden angewiesen, den Promovierten den Doktortitel zu entziehen. In einem symbolischen Akt wird der Senat der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) am 9. November die damals getroffenen Entscheidungen der Fakultäten aufheben.
„Grundlage dieser sogenannten Depromotionen waren die Promotionsordnungen der Fakultäten“, sagt Prof. Dr. Achim Seifert von der Universität Jena. Der Jurist war Mitglied einer Kommission, die vom Präsidenten der FSU ins Leben gerufen worden war, um diese spezielle Form von NS-Unrecht zu untersuchen. Dieser Kommission gehörten weiter an: Prof. Dr. Walter Rosenthal, der Präsident der Friedrich-Schiller-Universität, der Zeithistoriker Prof. Dr. Norbert Frei, der Leiter des Universitätsarchivs Prof. Dr. Joachim Bauer und der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Dicke.

Öffentlich sichtbarer Akt der Rückbesinnung und des tiefen Bedauerns

„Wir können das begangene Unrecht nicht ungeschehen machen, aber wir werden mit einem öffentlich sichtbaren Akt der Rückbesinnung und des tiefen Bedauerns die Entscheidungen der damaligen Universitätsgremien zurücknehmen“, sagt Präsident Prof. Dr. Walter Rosenthal.

Insgesamt konnten 61 sogenannte Depromotionen im Universitätsarchiv Jena  nachgewiesen werden. Nach gründlichem und zeitintensiven Aktenstudium hat die Kommission Kriterien entwickelt, um die einzelnen Fälle beurteilen zu können. Richtschnur war die Frage, ob die Entziehung des Doktortitels als NS- Unrecht anzusehen ist oder nicht. So unterlagen jene Wissenschaftler, die aus Deutschland nach 1933 emigrieren mussten, dem Verdikt der „erwiesenen Unwürdigkeit des Inhabers aufgrund seines späteren Verhaltens“; der Unwürdetatbestand, der während des Nationalsozialismus in sämtliche Promotionsordnungen der Fakultäten der FSU eingefügt worden war, bildete die Rechtsgrundlage für die Entziehung der Doktorgrade von NS-Verfolgten.

In anderen Fällen erfolgte die Entziehung des Doktorgrades in der Folge einer strafgerichtlichen Verurteilung. In diesen Fällen sei zu prüfen gewesen, ob die Urteile als NS-Unrecht anzusehen sind, erläutert Prof. Seifert. Die Kommission habe insbesondere Verurteilungen wegen „Rassenschande“, „widernatürlicher Unzucht“ (Homosexualität) und „gewerbsmäßiger Abtreibung“ als NS-Unrecht qualifiziert und eine Aufhebung der aufgrund dessen erfolgten Entziehungsentscheidungen empfohlen. Das gelte gleichfalls für Urteile, die für Verstöße gegen das „Heimtückegesetz“ oder die sogenannte Reichsfluchtsteuer verhängt worden sind.

Bei der Verurteilung wegen anderer Straftatbestände sei zu prüfen gewesen, ob einzelne Aspekte des Verfahrens als Unrecht anzusehen sind, etwa wenn Zeugen unter Druck gesetzt worden waren. „Wir haben deshalb die Vorgänge intensiv geprüft und zwar Fall für Fall“, sagt Achim Seifert.

Nicht alle Fälle ließen sich abschließend klären

Bei einer öffentlichen Gedenkveranstaltung am 9. November ab 18 Uhr in der Aula der Friedrich-Schiller-Universität (Fürstengraben 1) werden die Namen jener Wissenschaftler verlesen, denen posthum der Doktortitel wieder zuerkannt wird. Auf Beschluss des Senats wird die Entziehung des Titels bei 26 Wissenschaftlern symbolisch aufgehoben. Zudem wird die Rehabilitierung von 20 Betroffenen bekräftigt, denen der Doktortitel bereits im Sommer 1945 wieder zuerkannt wurde. In weiteren vier Fällen konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob von NS-Unrecht beim Entzug des Doktorgrades ausgegangen werden muss. In drei Fällen konnte eine abschließende Klärung wegen fehlender Akten nicht erfolgen.
Der Festakt in der Universitäts-Aula wird von Prof. Dr. Walter Rosenthal eröffnet. Danach stellt Prof. Dr. Achim Seifert den Bericht der Untersuchungskommission vor. Im Anschluss spricht Prof. em. Dr. Dr. h. c. mult. Michael Stolleis vom Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main über „Der 9. November 1938 – offenes Unrecht im ‚Doppelstaat’“. Gäste sind herzlich willkommen, der Eintritt ist frei. Ab 16 Uhr wurde für Angehörige der Universität ein Dies academicus ausgerufen.