Virtuelle Renaissance

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Jena (FSU/US) Wer ins Museum geht, der darf vor allem eines: anschauen. Die Ausstellungsstücke aus der Vitrine nehmen, anfassen, umdrehen, von allen Seiten beleuchten und betrachten – das geht in der Regel nicht. Erst recht nicht, wenn es sich um historisch wertvolle, einmalige Kulturschätze handelt. Auch als Wissenschaftler bekommt man solche Objekte nur selten tatsächlich in die Hand. „Und wenn, meist nur nach langer Wartezeit, an einem bestimmten Ort und nur für einen begrenzten Zeitraum“, weiß Dr. Andreas Christoph von der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU). Viele Forschungsfragen lassen sich so nur unzureichend oder gar nicht beantworten.

Neue Form der Dokumentation von Kulturgütern
Doch das wird sich, so die Überzeugung des Jenaer Wissenschaftshistorikers, in naher Zukunft ändern. In einem zu Jahresbeginn gestarteten Forschungsprojekt will Dr. Christoph vom Ernst-Haeckel-Haus der FSU gemeinsam mit Informatikern, Physikern, Kultur- und Museumsexperten eine neue Form der Dokumentation und Erschließung von Kulturgütern etablieren. Das Projekt „Digitales Kultur- und Sammlungsmanagement in 3D“ wird in den kommenden drei Jahren dafür mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), vom Freistaat Thüringen und der Universität Jena mit insgesamt fast einer Million Euro gefördert. Neben Einrichtungen der FSU sind die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB), die Fraunhofer-Institute für Angewandte Optik und Feinmechanik (IOF) sowie für Graphische Datenverarbeitung (IGD), der Museumsverband Thüringen und weitere Partnerinstitutionen beteiligt.

„Unser Ziel ist es, Kulturgüter aus Museen und Sammlungen möglichst realistisch in 3D darzustellen“, sagt Projektleiter Dr. Christoph. Dazu gehöre nicht nur ihre äußere Form, sondern vor allem die Farbe der Objekte. Hierfür wollen Christoph und seine Mitstreiter im Laufe der kommenden Monate einen mobilen 3D-Scanner und eine stationäre 3D-Scanbox in Betrieb nehmen und unterschiedliche Objekte erfassen und visualisieren.

Ein Globus aus der Gründerzeit der Jenaer Universität
In einer ersten Pilotstudie möchte Andreas Christoph historische Globen dreidimensional vermessen. „In Thüringer Kultureinrichtungen gibt es eine Vielzahl solcher alter Weltenmodelle, die zum Teil aus dem 15. Jahrhundert stammen“, berichtet der Wissenschaftshistoriker. Jedes Stück habe seine eigene Geschichte. Etwa der wohl älteste: ein Globus des Mathematikers und Astronomen Johannes Schöner aus dem frühen 16. Jahrhundert, der heute zum Bestand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar gehört. Die rund 30 Zentimeter große Weltkugel kam einst mit der „Bibliotheca Electoralis“ von Uni-Gründer Johann Friedrich I. aus Wittenberg nach Jena. Einige Jahrhunderte später veranlasste Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach seinen Minister Johann Wolfgang von Goethe den Globus nach Weimar zu holen, wo er bis heute aufbewahrt wird. Hier nahm ihn unter anderem Alexander von Humboldt in Augenschein, als dieser im Dezember 1826 in Weimar Station machte.

„Solche Schätze einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sie zeitgemäß zu präsentieren und für wissenschaftliche Fragestellungen zur Verfügung zu stellen“, nennt Dr. Christoph die wesentlichen Ziele seines Projekts. Für eine solche „virtuelle Renaissance“ bedarf es – neben der Scan-Technik – vor allem geeigneter Möglichkeiten zur Speicherung und Präsentation der 3D-Daten. Diese zu entwickeln, ist ein weiteres Ziel der gemeinsamen Arbeit. Die künftigen Nutzer sollen in einem Minimum an Zeit ein Maximum an Information über die Kulturgüter erhalten. Und mehr noch: Solche Daten lassen sich natürlich auch nutzen, um detailgetreue Repliken der Objekte per 3D-Druck zu erstellen und sie so dem Betrachter tatsächlich in die Hand geben zu können.

Weitere Informationen sind unter www.ehh.uni-jena.de zu finden.

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