"5 Jahre Leben" – Eine Filmkritik von André Wesche

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In ihrem bei der Oscar-Verleihung geflissentlich übersehenen Meisterwerk „Zero Dark Thirty“ zeigt Regisseurin Kathryn Bigelow explizit, wie amerikanische CIA-Agenten Gefangene foltern, um ihnen Informationen zu entlocken. Die Meinungsbildung überlässt der Film dem Urteilsvermögen des Publikums. 

In Deutschland hat der Fall des Murat Kurnaz Schlagzeilen gemacht. Der türkischstämmige Bremer war kurz nach den Anschlägen vom 11. September auf den Gedanken gekommen, ausgerechnet in Pakistan den Koran zu studieren. Auf der Heimreise wurde der damals 19-jährige von pakistanischen Sicherheitskräften festgenommen und als verdächtiges Subjekt an die US-Truppen verkauft. Es folgten erste Verhöre in Afghanistan und schließlich der Abtransport nach Guantánamo. Erst im August 2006 wurde Kurnaz freigelassen, jeder Terror-Verdacht hatte sich da schon lange zerschlagen.

Der Film „5 Jahre Leben“ von Stefan Schaller zeichnet den Leidensweg des Gefangenen nach, der im Film von Sascha Alexander Geršak dargestellt wird. Die Geschichte konzentriert sich dabei auf die Verhöre durch den Spezialisten Gail Holford (diabolisch: Ben Miles), der symbolisch für hunderte Staatsdiener steht, die den Gefangenen im Laufe der Jahre vernahmen. Der Film endet, lange bevor Kurnaz´ Martyrium zu Ende geht. Der Zuschauer wird Zeuge brutaler Gewalt und unfassbar grausamer Psychospielchen. Das ist nicht nur für den Hauptdarsteller eine beinahe unzumutbare Tour de Force, auch der Zuschauer wird an seine Grenzen geführt. Und doch, so betont Kurnaz, war die Realität noch schlimmer. Das ist nicht „SAW“, ähnliches geschieht vermutlich gerade in diesem Moment wieder.

Stefan Schaller hat sicherlich keinen perfekten Film gemacht, aber er vermittelt im Rahmen begrenzter finanzieller Möglichkeiten einen tiefen und bleibenden Eindruck vom Geschehen. Am Ende steht eine erschütternde Erkenntnis. Die wahren Feinde der westlichen Welt, die unsere Gesellschaft bedrohen, haben ein wichtiges Etappenziel erreicht, sie haben das Schlechteste in uns zutage gefördert. Eigentlich wollte Präsident Barack Obama Guantánamo dichtmachen. Aber die Realität hat dem mächtigsten Mann der Welt die Grenzen aufgezeigt.

 

Ein Interview von André Wesche mit Murat Kurnaz lesen Sie hier.

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