5 Jahre Leben – Ein Gespräch mit Murat Kurnaz

0
1116

Der türkischstämmige Bremer Murat Kurnaz war 19 Jahre alt, als er im Dezember 2001 in Pakistan festgenommen wurde. Es folgten fünf Jahre der Verhöre und der Folter durch das US-amerikanische Militär, zunächst in Afghanistan, später im berüchtigten Gefangenlager Guantánamo auf Kuba. Der Verdacht terroristischer Ambitionen erhärtete sich zu keinem Zeitpunkt. Der Spielfilm „5 Jahre Leben“ (DVD-Start: 29. November) erlaubt erschütternde Einblicke in Kurnaz´ Martyrium. Ein Gespräch.

Herr Kurnaz, wie hat es sich angefühlt, zum ersten Mal den Film „5 Jahre Leben“ anzuschauen?

Spannend. Natürlich hat mich sehr interessiert, wie ich dargestellt werde. Mir war klar, dass es kein Hollywood-Film ist. Trotzdem gefällt mir gut, wie alles rübergebracht wird.

 

Der Film geht manchmal an die Grenze des Erträglichen, trotzdem spart er im Gegensatz zu Ihrem Buch manche Härte aus.

Ja, viele Folterszenen wurden weggelassen. Ich selbst bezeichne Faustschläge und Tritte nicht als Folter, wenn es um Guantánamo geht. Klar ist auch das Folter, aber für die Häftlinge dort beginnt Folter erst bei Elektroschocks, Waterboarding und solchen Geschichten. Das alles ist nicht im Film drin, das hat mich erst mal irritiert. Aber je öfter ich mit Leuten über den Film rede, umso mehr stelle ich fest, dass der Film schon jetzt intensiv genug für den Zuschauer ist.

 

Waren Sie am Prozess des Filmemachens beteiligt?

Ich habe den Regisseur ganz bewusst nach seinen Vorstellungen arbeiten lassen. Wir haben uns öfter getroffen und uns unterhalten, er hat mein Buch gelesen. Bei den Dreharbeiten war ich nicht dabei, weil ich nichts beeinflussen wollte. Ich glaube, dafür waren mir Regisseur und Schauspieler sehr dankbar. Wenn es nach mir ginge, würde ich tausend Sachen anders machen, klar. Aber ich bin kein Regisseur und mein Film würde wahrscheinlich keinem gefallen. Ich bin mit dem Film zufrieden.

 

Ist es Ihnen schwer gefallen, Ihre Lebensgeschichte in fremde Hände zu legen?

Nein, gar nicht. Ich gehe ja damit an die Öffentlichkeit und erzähle darüber. Hätte ein Mensch, den ich liebe, so etwas mitgemacht, würde es mir wahrscheinlich schwerfallen, darüber zu sprechen. Aber ich habe es am eigenen Körper erlebt. Dann ist das Reden darüber ein Witz. Ich erzähle es deshalb in der Öffentlichkeit, weil es Guantánamo heute immer noch gibt. Nach Amnesty International existieren weltweit etwa 21 Geheimgefängnisse, in denen Menschen gefoltert werden. Ich hoffe, dass durch diesen Film viele Menschen realisieren werden, dass Folter heute noch stattfindet. Sie gehört nicht längst vergangenen Zeiten an. Setzen sich die Politiker ein, um so etwas zu verhindern? Ganz im Gegenteil: diese Geheimgefängnisse werden von Politikern geplant und geführt. Die Politik spielt auf zwei Seiten, in der Öffentlichkeit und im Geheimen. Ich habe die Hoffnung, dass ich ihnen dieses Spiel ein bisschen schwerer machen kann.

 

Ist das Reden über Ihr Schicksal auch ein Stück Therapie für Sie?

Nein. Ich bin damit nicht an die Öffentlichkeit gegangen, um irgendetwas zu verarbeiten. Nach meiner Entlassung wollte ich ein, zwei Mal öffentlich darüber reden und es dann gut sein lassen. Bei meinen ersten Interviews habe ich festgestellt, dass selbst einigen der besten deutschen Journalisten nicht bekannt ist, was da wirklich abgelaufen ist. Das KSK macht in Afghanistan Einsätze mit und unterstützt die Amerikaner aktiv. Die Öffentlichkeit in Deutschland weiß davon gar nichts. Mir wurde klar, dass ich noch sehr oft an die Öffentlichkeit gehen muss. Als wenig später die Fotos des KSK mit den Totenköpfen in der „Bild“-Zeitung erschienen, war das vielleicht ein kleiner Erfolg meiner Arbeit mit den Journalisten. In Zukunft werden sie wahrscheinlich verantwortungsbewusster arbeiten müssen.

 

Was hat Ihnen die Kraft gegeben, diese Torturen zu überstehen?

Auf der physischen Seite habe ich versucht, mich körperlich durch Liegestütze, Schattenboxen oder Dehnübungen fit zu halten. Ich habe seit meinem siebenten oder achten Lebensjahr immer Kampfsport gemacht. Man ist in dieser Situation verloren, wenn man keinen Halt hat. Da spielt der Glaube die wichtigste Rolle. Ich habe Gott darum gebeten, mir diese Kraft zu geben und mich überleben zu lassen. Und ich bin Gott dafür dankbar, dass er mich erhört hat. In der Bibel und im Koran findet man die Geschichten von Menschen, denen auf ihrer Reise Schlimmes widerfährt. Ich kannte diese Geschichten und wusste, dass sie heil wieder herausgekommen sind. Hinterher ging es ihnen oft besser als vorher. Ich war in Guantánamo ja in diesem System drin. Da muss man einsehen, dass man auch sterben kann. Man muss damit rechnen, dass jeder Tag der letzte sein kann. Offiziell sind es bis heute nur zehn Gefangene, die in Guantánamo gestorben sind. In Wirklichkeit sind es wahrscheinlich viele mehr, ich muss nur die zählen, die angeblich entlassen wurden, aber nie zuhause ankamen. In Guantánamo lebt man mit dem Tod zusammen. Ich habe Leute gesehen, die vor meinen Augen bis zum Tode gefoltert worden sind. Da wurde mir natürlich klar, dass mir das auch widerfahren, dass ich der Nächste sein kann. Man kann sterben, man kann auch überleben und wieder nach Hause kommen. Oder man kann für immer dort bleiben.

 

Können Sie das Gefühl beschrieben, als Ihnen klar wurde, dass Sie tatsächlich nach Hause kommen?

Ich habe es nicht glauben wollen. Ich wusste, was die dort für Nummern abziehen. Man erzählt den Häftlingen, dass sie frei kommen. Dann fliegt man mit ihnen eine Runde über Guantánamo und dann wacht man wieder in der Zelle auf. Es wird einem erzählt, dass einen die Regierung nicht mehr wiederhaben will und man hierbleiben muss. Dadurch sind viele Leute kaputtgegangen. Deshalb wollte ich nicht daran glauben, bis ich mich selbst in Deutschland sehe. Als ich mit dem Flieger in Stuttgart auf dem Militärstützpunkt angekommen bin, war auch wieder alles amerikanisch beschriftet. Ich wusste nicht einmal, ob ich überhaupt in Deutschland bin. Vielleicht war ich ja auch in den USA und würde weitere Jahre festgehalten werden? Dann kamen die Deutschen und brachten mir einen Brief von meiner Mutter. Ich bekam einen vorläufigen Personalausweis. Als wir den Militärstützpunkt verlassen haben und auf den Plakaten und überall alles auf Deutsch stand, fühlte ich mich fast frei. Oder würde ich gleich wieder in Haft kommen, weil ich doch noch in Guantánamo war?

 

Die Amerikaner wussten viele sehr persönliche Details aus Ihrem Privatleben. Glauben Sie, dass man Sie heute noch überwacht?

Ich weiß, dass Telefongespräche abgehört werden. Wenn sich das System einschaltet, hört man das auch. Die Stimmen verdoppeln sich und es rauscht im Hintergrund. Das einzige, was mich daran stört, ist die schlechtere Qualität des Telefongesprächs. Ich habe nichts zu verheimlichen.

 

Die Bundesregierung hätte sich wesentlich früher für Ihre Freilassung stark machen können. Eine Entschuldigung lässt auf sich warten. Haben Sie je erwogen, Deutschland den Rücken zu kehren? 

Wohin hätte ich gehen sollen? Ich bin in Bremen geboren, ich bin Bremer. Meine Familie lebt in Deutschland. Die Türkei kenne ich nur aus dem Urlaub. Ich lasse mir das Leben hier nicht von irgendwelchen Leuten schwer machen. Ich lebe mein Leben und pflege meine Hobbys. Der Wiedereinstieg ins Berufsleben war nicht einfach. Ich hatte keine Krankenversicherung, gar nichts. Und die Medien haben mir auch einiges kaputtgemacht. Ich galt als möglicher Terrorist. Steinmeier hat es so dargestellt, als ob man mich nicht rausgeholt hätte, weil ich gefährlich bin. Deshalb sind Leute auf Arbeit auf Abstand zu mir gegangen. Selbst wenn der Chef mich einstellen wollte, gab es Leute in der Firma, die Angst vor mir hatten. Das ist heute immer noch so.

 

Haben Sie Alpträume von Guantánamo?

Nee. Komischerweise habe ich sehr selten von Guantánamo geträumt. Ich schlafe sehr gut. Ich trainiere auch viel, zweimal am Tag, wenn es sich einrichten lässt. Danach bin ich so kaputt, dass ich eigentlich nur noch gut schlafen kann. Und je mehr ich an Guantánamo denke, umso besser schlafe ich. Ich habe jahrelang auf einer Metallplatte geschlafen. Wenn ich heute im Bett liege, auf einer bequemen Matratze, mit meinem weichen Kissen und einer warmen Decke, dann denke ich, alles ist gut. Und ich schlafe sofort ein.

 

Die Fragen stellte André Wesche.  

 

 

André Wesche hat sich den Film „5 Jahre Leben“ angesehen. Seine Kritik lesen Sie hier.

 

 

 

Fliesenstudio Arnold