Ein Gespräch mit Regisseur François Ozon

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François Ozon, der am 15. November seinen 46-sten Geburtstag feiert, gehört zu den renommiertesten französischen Filmemachern der Gegenwart. Werke wie „8 Frauen“, „Swimming Pool“ oder „Das Schmuckstück“ unterscheiden sich extrem in Stil und Form, in aller Regel aber sind es faszinierende Frauen, die im Mittelpunkt von Ozons Geschichten stehen. So auch in seinem neuesten Drama, dem überwiegend positiv aufgenommenen Cannes-Beitrag „Jung & Schön“. Ein Gespräch. 

 

Monsieur Ozon, vielen Dank, dass der lausige Liebhaber in Ihrem Film ein Deutscher ist. Genießen wir in Frankreich tatsächlich diesen Ruf?

Es ist schon komisch, dass mich so viele Deutsche darauf ansprechen. Der Typ ist kein guter Liebhaber, das stimmt schon. Aber ansonsten ist er doch völlig unproblematisch. Im Originaldrehbuch war er ein Engländer. Es ist beinahe schon ein Klischee in unseren Filmen, dass französische Jugendliche Sex mit englischen Jungs oder Mädchen haben. Aber dann traf ich in Paris diesen netten deutschen Schauspieler namens Lucas Prisor. Und ich dachte, dann ist es eben ein Deutscher. Aber „Jung & Schön“ ist gewiss kein Film, der deutsche Liebeskünste in Frage stellt. (lacht)

 

Der Film erzählt von der 17-jährigen Isabell, die sich völlig ohne Not prostituiert. Was hat Sie an diesem Thema interessiert?

Eines der Hauptprobleme der Filmfigur besteht darin, dass sie Sexualität und Gefühle völlig voneinander trennt. Sie muss ihre eigene Sexualität erst erkunden, um herauszufinden, was sie wirklich will. Die Lebensphase, in der man sich selbst entdeckt, ist eine sehr schwierige. Oft ist man sich der großen Gefahren gar nicht bewusst, die damit einhergehen. In unserem Film prostituiert sich das Mädchen, aber sie könnte auch Drogen nehmen, magersüchtig werden oder Selbstmordgedanken hegen. Isabelle richtet Gewalt gegen ihren eigenen Körper.

 

Ist sie sich bewusst, was sie sich antut?     

Ich denke schon. Spätestens der Tod ihres Freiers macht es für sie real. Ich wollte keine Geschichte erzählen, die generalisiert. Der Film zeigt meine ganz eigene Vision vom Erwachsenwerden. Viele französische Filme zu diesem Thema sind entweder sehr nostalgisch oder Klamauk im Stile von „American Pie“. Ich wollte dem eine neue Facette hinzufügen und zeigen, wie schwer diese Zeit sein kann.

 

Wie haben Sie selbst diese Zeit erlebt?

Für mich gestaltete sich die Zeit des Erwachsenwerdens äußerst schwierig. Ich habe meine eigene Sexualität entdeckt und meine Sehnsüchte erforscht. Die ganze Scheinheiligkeit der Erwachsenenwelt wurde mir schmerzlich bewusst. Es war wichtig für mich, dass meine Trennung vom Elternhaus dann auf eine sehr heftige Weise erfolgte. Meine erste Idee war es, den Film mit einem männlichen Protagonisten zu machen. Aber ein homosexueller Junge, der sich prostituiert, wäre irgendwie zu viel gewesen.

 

Wie schwierig war es, Sex- und Masturbationsszenen mit dieser jungen Schauspielerin zu drehen?  

Marine war während der Dreharbeiten 21 Jahre alt. Als Model stand sie stark im Einklang mit ihrem Körper. Vor dem Dreh haben wir intensiv über diese Szenen gesprochen und ich habe klar gemacht, was wir zeigen würden und was nicht. Ich hätte es nicht interessant gefunden, in diesem Film etwas Pornografisches zu zeigen. Ich wollte zeigen, dass dieses Mädchen zu Beginn gar nichts empfindet. Es ist eine Erfahrung, die wohl die meisten in ihrem Sexleben schon einmal hatten.

Man hat Sex mit jemandem, aber man hat das Gefühl, man ist ganz woanders und beobachtet sich selbst. Ich wollte nicht vulgär werden, auch wenn es die Situation mit den Freiern manchmal war. Ich wollte den Filmcharakter respektvoll behandeln. Marine wusste genau, was auf sie zukommt. Es war sehr einfach. Wenn man Sexszenen inszeniert, mögen die Schauspieler nicht viele Wiederholungen. Manchmal ist schon die erste Einstellung die richtige. Damit es schnell vorbei ist, geben sich alle große Mühe.

 

Ist Schönheit gefährlich?

Selbstverständlich! Ich habe in Paris mit einem Psychoanalytiker gesprochen, der sich den Film angeschaut hat. Er erzählte mir vom „Schönheits-Syndrom“. Mädchen, die besonders schön sind, haben häufig den Wunsch, schmutzig zu sein. So wie Catherine Deneuve in „Belle de Jour“. Es ist eine zu große Last, so schön zu sein. Deshalb suchen sich solche Frauen auch oft fragwürdige Männer aus.

 

Stimmt es, dass der Psychologe im Film ein echter ist?

Ja. Ich habe ihn getroffen, weil er auf Teenager spezialisiert ist. Ich habe ihm mein Drehbuch gegeben und ihm viele Fragen gestellt. Ich wollte wissen, ob es plausibel ist, dass ein Mädchen diesen Weg einschlägt. Er hat das bestätigt und berichtete mir von etlichen Fällen. Oft kamen die Mädchen aus sehr religiösen Elternhäusern, in denen sie sehr streng behandelt wurden. Häufig stammten sie auch aus sehr reichen Verhältnissen. Ich habe ihn gefragt, wie er reagieren würde, wenn ein Mädchen ihm anböte, ihn mit angeschafftem Geld zu bezahlen.

 

Was hat er entgegnet?

Er gab mir genau die Antwort, die sich jetzt im Film wiederfindet. Er war sehr clever und ich mochte sein Gesicht. Nachdem viele prominente Schauspieler vergebens für die Rolle vorgesprochen hatten, fragte ich ihn, ob er es nicht gleich selbst machen möchte. Er gestand, dass er am liebsten Schauspieler geworden wäre. Es war also perfekt. Ich war zunächst irritiert, weil er die ganze Zeit über lächelte. Ich erinnerte ihn daran, dass er der Psychologe und nicht der Patient sei. Er hat mich daraufhin aufgeklärt, dass er genau so arbeitet. Die meisten Jugendlichen kommen nicht aus eigenem Antrieb zu ihm, sie werden gezwungen. Deshalb muss er sie dazu verführen, sich schnell zu öffnen und eine Verbindung zu ihm herzustellen. Also ließ ich ihn lächeln, aber nur ein bisschen.

 

Welche Meinung haben Sie von realem Sex vor der Kamera, wie ihn Lars von Trier oder Michael Winterbottom zeigen?

Warum nicht? Ich habe es für „5 x 2“ bereits ausprobiert. Zu Beginn war es noch „6 x 2“. Ich dachte an eine Szene mit explizitem Sex in der Mitte des Filmes. Wir haben das mit professionellen Porno-Darstellern getestet, deren Körperbau dem der echten Filmschauspieler entsprach. Wir haben ein paar Szenen gedreht, aber sie waren so langweilig, dass ich mich dazu entschlossen habe, die Idee zu verwerfen. Es hat mich einfach nicht interessiert. Ich muss keine pornografischen Szenen filmen. In Filmen anderer Regisseure kann das durchaus interessant sein. Aber oft ist es einfach zu schockierend und verstörend, wenn es in einem klassischen Film stattfindet. Aber wer weiß? Vielleicht werden Sie eines Tages eine pornografische Szene in einem meiner Filme sehen. Ich habe jedenfalls kein Tabu in dieser Richtung.

 

Berlin ist Ihnen sehr vertraut. Was für eine Beziehung habe Sie zu dieser Stadt?

Vor langer Zeit, als die Mauer noch stand, hatte ich sehr gute Freunde hier. Mittlerweile komme ich nur noch aus beruflichen Gründen nach Berlin. Zuletzt war ich 2012 in der Jury der Berlinale, das war ein hartes Stück Arbeit. Ich könnte mir durchaus vorstellen, eines Tages in Berlin zu drehen. Bislang fehlt mir aber noch die zündende Idee.

 

Aber zeigen Sie uns dann bitte einen guten deutschen Liebhaber.

Okay, gerne doch. Dann üben Sie mal noch ein bisschen. (lacht)

 

Gespräch: André Wesche