Ein Gespräch mit Schauspielerin Jella Haase

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Für ihren starken Auftritt im Jugenddrama „Lollipop Monster“ wurde sie mit dem Bayerischen Filmpreis geehrt, in der Milieustudie „Kriegerin“ überzeugte sie als Teenager, der in die Neonazi-Szene abgleitet. Die größte Popularität erlangte Jella Haase allerdings mit der Schulkomödie „Fack Ju Göhte!“. Als bildungsferne, aber liebenswerte Chantal stahl die junge Schauspielerin den Hauptdarstellern die Show, die Handlung der  Fortsetzung wurde speziell auf den Publikumsliebling zugeschnitten. Im Drama „4 Könige“ zeigt die 23-Jährige nun ebenso komische wie ernsthafte Facetten. Sie spielt eine von vier Jugendlichen, die Weihnachten in der Psychiatrie verbringen. Wir trafen Jella Haase in Berlin zum Gespräch.     

Jella, was hat Ihr Interesse an diesem Filmprojekt geweckt?

Ich weiß noch, dass ich das Drehbuch im Flieger gelesen habe. Ich musste weinen, weil es mich so berührt hat. Die Geschichte wird von den vier Jugendlichen und ihrem Dr. Wolff getragen und jeder einzelne Charakter ist interessant. Manchmal bekommt man eben Drehbücher, von denen man sagt: „Das ist es! Das will ich machen!“. Ich habe mich sofort in der Rolle der Lara gesehen und wollte sie unbedingt spielen.

Wieviel Aufwand betreiben Sie, um sich für eine solche Rolle zu präparieren?

Das ist immer unterschiedlich. In diesem Fall haben wir uns sehr intensiv auf die Rollen vorbereitet, nachdem wir gecastet wurden. Einen ganzen Tag lang sind wir mit einem Schauspielcoach und der Regisseurin unsere Rollen durchgangen, jeder einzeln. Es wurde ein psychologisches Rollenprofil erstellt, das über die Filmhandlung hinausreicht. Das war eine sehr intensive Erfahrung. So haben wir ein Fundament geschaffen und dann darauf aufbauend geprobt. Wir mussten ganz viel im Vorfeld schaffen, denn wie immer hatten wir beim Dreh wenig Zeit. Es ist kein ganz großer Kinofilm mit einem Millionen-Sponsoring. Aber wir waren gut vorbereitet und haben am Drehtag funktioniert.

Haben Sie in eine echte psychiatrische Einrichtung hineingeschnuppert?

Nein.

Woher holen Sie Ihre Figuren? Beobachten Sie Ihre Mitmenschen genau? 

Auch, aber das geschieht wohl eher unterbewusst. In diesem Fall war die Vorlage aufgrund des Rollenprofils sehr gut. Sonst bin ich da sehr intuitiv. Ich stelle mir vor, wie ich als die Figur handeln würde und versuche das so authentisch wie möglich ´rüberzubringen. Ich glaube schon, dass man als Schauspieler viele Dinge unterbewusst macht, zum Beispiel Leute beobachten. Man speichert das ab und holt es zu gegebener Zeit wieder vor. Aber die Rolle der Lara ist nicht bewusst auf jemanden angelegt.

Müssen Sie eine Figur mögen, um sie zu spielen?

In gewisser Weise, ja. Aber als ich mir „Kriegerin“ angeschaut habe, war ich sehr überrascht, weil mir Svenja total unsympathisch war. Ich fand diese Rolle plötzlich superdoof, das hatte ich beim Drehen gar nicht so gemerkt. Ich persönlich muss eine Rolle schon mögen, um sie zu spielen. Ich muss sie irgendwie lieb haben und zu ihr eine Verbindung aufbauen. Und das Wichtigste ist, dass ich ihr Handeln nachvollziehen kann.

Denkt man bei einer Figur wie Svenja oder Lara darüber nach, ob das eigene Leben eine ähnliche Wendung hätte nehmen können, wenn man irgendwo falsch abgebogen wäre?

So habe ich das noch nicht betrachtet. Theoretisch ist alles möglich, klar. Aber ich habe das Glück, aus einem sehr behüteten Elternhaus zu kommen. Ich bin sehr geerdet. Ich bin in meiner Jugend nicht Gefahr gelaufen, in die rechte Szene abzurutschen oder mich so heftig auszuprobieren, dass mein Weg in die Psychiatrie führt. Ich habe einfach ein gutes Umfeld.

Glauben Sie, dass Menschen als unbeschriebene Blätter zur Welt kommen und nur durch Erziehung und Umfeld geprägt werden? Oder gibt es das geborene Böse? 

Ich glaube daran, dass alle Menschen erst einmal gut sind. Kinder haben nichts Böses vor. Alles hängt davon ab, wie man erzogen wird und wieviel Liebe man bekommt. Natürlich gibt es auch ganz krasse Psychopaten. Aber so intensiv habe ich mich mit dem Thema noch nicht beschäftigt, um das beurteilen zu können. Ich möchte gern in dem Glauben verweilen, dass die Menschen erstmal gut sind.

Im Film bekommt der aggressive Timo noch einmal eine neue Gelegenheit, sich zu integrieren. Hat jeder eine zweite und vielleicht auch dritte Chance verdient? 

Ich glaube, ja. So lange man jung ist, hat man viele Chancen verdient. Im Leben ist der Weg das Ziel. Und manchmal verirrt man sich. Eine Gesellschaft sollte offen sein und den Menschen viele Chancen ermöglichen. Natürlich kommt es auch darauf an, wie schwerwiegend es war, was man getan hat.

Kennen Sie aus Ihrem persönlichen Umfeld Jugendliche, die die Kurve nicht gekriegt haben?

Natürlich sind mir ein paar Leute begegnet, die schwer auf Drogen sind. Und manche Leute können einfach keine Autoritäten akzeptieren und geraten immer wieder in Trouble. Einer meiner besten Freunde zum Beispiel. Nach außen hin ist eher wie Timo, ein wahnsinnig harter Typ. Aber er hat einen total weichen Kern. Er ist ein liebevoller Mensch, aber das trägt er nicht nach außen.

Sie haben sehr früh mit der Schauspielerei begonnen. Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Ihr Interesse an diesem Beruf geweckt hat?

Ich hatte schon immer diesen Spieltrieb in mir. Als Kind habe ich Theater gespielt. Meinen ersten Film „Der letzte Rest“ haben wir in einer Schwimmhalle gedreht. Ich war im Becken und die allererste Klappe wurde geschlagen. Und plötzlich hatte ich so eine Sicherheit und wusste genau, dass es das ist, was ich machen will. Es war wie eine kleine Offenbarung.

Waren Ihre Eltern von Ihren Plänen begeistert oder hätten sie gern gesehen, dass Sie auch Zahnärztin werden?

Ich habe nicht überstürzt die Schule abgebrochen, um Schauspielerin zu werden. Es hat sich so eingeschlichen. Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Sie haben mir außerdem vermittelt, dass es auch okay ist, wenn man mal scheitert. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wie ich aus meinem Freundeskreis weiß. Wenn ich es ausprobiert und es nicht geklappt hätte, dann hätte ich eben etwas anderes gemacht. Mein Elternhaus hat mir alle Möglichkeiten gegeben, mich frei zu entfalten und Interessen zu entwickeln.

Gab es einen Plan B?

Es gibt viele Dinge, die mich interessieren. Ich würde gern nebenbei studieren und mich weiterbilden. Wenn die Schauspielerei ganz schlecht laufen würde, würde ich wohl Kindergärtnerin werden. Ich liebe Kinder und ich möchte gern meinen Teil zur Gesellschaft beitragen. Das fängt bei den Jüngsten an. Wenn man die ins Leben führt und ihnen Liebe mitgibt, ist das wirklich wichtig.

Momentan läuft es im Hauptberuf allerdings richtig gut. Haben Sie das enorme Potential von „Fack Ju Göhte“ schon vorher erkannt?

Nein, überhaupt nicht. Ich hatte im Gegenteil Angst, dass man mir die Chantal nicht abnehmen würde, weil ich persönlich sehr weit weg von der Rolle bin. Ich wusste, dass es ein größeres Publikum geben würde. Und so einem Publikum hatte ich mich noch nie gestellt. Ich hatte Bedenken, ob ich auch kommerziell funktionieren würde.

Werden Sie oft auf der Straße erkannt?

Ja, schon. Aber es geht. Vor allem die ganz jungen Kiddies sind da sehr schnell, sie kucken dich an und wissen es sofort. Man kann das schon auch beeinflussen, durch Kleidung zum Beispiel. Und ich muss ja nicht zur Stoßzeit auf dem Ku´damm langlaufen.

Hat man in der Branche versucht, Sie auf die Rolle der Proll-Tussi festzulegen?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin sehr glücklich, dass ich weiterhin sehr facettenreiche Rollen angeboten bekomme. Natürlich gab es das eine oder andere Angebot, das in diese Richtung ging. Aber das habe ich bewusst abgelehnt. Ich habe mich ja zum Glück schon vorher beweisen können, in „Kriegerin“ oder „Lollipop Monster“. Man brachte mich also schon mit ernsteren Thematiken in Verbindung. Deshalb bekomme ich nach wie vor spannende Drehbücher.

In den Großstädten der USA gehört es zum guten Ton, zum Therapeuten zu gehen. Warum ist es bei uns noch häufig ein Tabu? 

Ich glaube, das ist eine Generationsfrage. In meiner Generation geht man sehr offen damit um. Ich habe viele Freunde, die zur Therapie gehen und wir sprechen alle sehr offen darüber. Meine Eltern gehen nicht zum Psychiater, aber ich glaube, in ihrer Generation ist das noch verpönt. Die Kriegsgeneration hat ja überhaupt nicht reflektiert, was damals geschehen ist. Man hatte ein Mann zu sein, man hat nicht geweint und darüber geredet, was einem passiert ist. Mit den Jahrzehnten ist das aber immer mehr aufgebrochen. In meinem Alter geht man total frei damit um. Es ist normal, sich helfen zu lassen. Es gilt nicht mehr als schwach, sondern vielmehr als stark, wenn man sich eingesteht, dass man Fehler hat und Hilfe braucht. Aber wir sind auch ohne Krieg aufgewachsen. Unsere Großeltern hatten ganz andere Geschehnisse zu verarbeiten. Über die kann man vielleicht gar nicht sprechen.

Träumt man insgeheim von großen, internationalen Produktionen?

Man kann ja immer träumen. Und Träume sollen fliegen lernen. Ich mache mir keinen Druck, aber ich bin für alles offen. Was passiert, passiert. Aber wer träumt als Schauspieler nicht davon, mit Tarantino oder Woody Allen zu drehen? Natürlich sind das Träume. Aber warum nicht?

Sind Sie ein Weihnachtsmensch?

Ja, absolut.

Wie sieht Weihnachten bei Ihnen aus?

Heiligabend feiern wir bei meiner Oma, mit Kartoffelsalat und Würstchen. Für mich gibt es natürlich vegetarische Würstchen. Danach treffen wir uns als Freundeskreis. Dann gibt es auch etwas zu trinken und es geht immer ganz schön ab. Am 25. ist man dementsprechend müde. Den zweiten Weihnachtsfeiertag verbringen wir bei meinem Opa. Der macht immer zwei Gänse und für mich ein vegetarisches Schnitzel. In unserer schnelllebigen Gesellschaft freue ich mich auf diese weihnachtlichen Rituale, die sich nicht verändern. Man rüttelt nicht am Kartoffelsalat mit Würstchen oder an den Gänsen. Das finde ich einfach mal schön.

Die Fragen stellte André Wesche.