Ein Interview mit Beratungsstelle und Ermittlungsdienst der Jenaer Polizei

0
1801

Stalking – ein Interview mit Steffen Pönisch, dem Leiter der Polizeilichen Beratungsstelle, und Nicole Baxmann, Mitarbeiterin im Ermittlungsdienst der Jenaer Polizei.

Die Bearbeitung von Anzeigen und Beratung von Opfern der sog. Nachstellung, besser bekannt als Stalking, gehört zu den Tätigkeitsfeldern von Nicole Baxmann und Steffen Pönisch.

Nicole Baxmann, seit 1996 bei der Jenaer Polizei, bearbeitet seit zehn Jahren Anzeigen im Ermittlungsdienst. Vor drei Jahren hat sie sich auf die Bearbeitung von Stalking und Delikte aus dem Bereich der „Häuslichen Gewalt“ spezialisiert. Durch dieses Aufgabenfeld, ist sie auch in außerpolizeilichen Netzwerken, wie das „Jenaer Netzwerk gegen Häusliche Gewalt“ tätig.

Steffen Pönisch kann auf eine 27-jährige Karriere bei der Polizei zurückblicken. Nachdem er einige Jahre im Streifendienst eingesetzt war, studierte er am Fachbereich Polizei der Thüringer Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung (ThüVFHS). In den folgenden 20 Jahren war er in der Kriminalpolizei tätig, bis er 2010 die Leitung der Beratungsstelle übernahm. Steffen Pönisch ist seitdem für das gesamte Spektrum der Polizeilichen Kriminalprävention zuständig. Seine Schwerpunkte liegen in der technischen Prävention – dem Einbruchschutz, in verhaltensorientierter Prävention und im Opferschutz.

 

Frau Baxmann, sie bearbeiten u.a. Stalkingdelikte. Ab wann spricht der Gesetzgeber von Nachstellung?

Die Nachstellung ist in § 238 StGB geregelt und als „Nachstellung, Beeinträchtigung der Lebensgestaltung“ überschrieben:

Wer einem Menschen nachstellt, in dem er beharrlich

  1. seine räumliche Nähe aufsucht,
  2. unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht,
  3. unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen,
  4. ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahestehenden Person bedroht oder
  5. eine andere vergleichbare Handlung vornimmt


und
dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Demnach muss der Täter die Nachstellung beharrlich begehen und dadurch eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers verursachen.

Ein Täter handelt beharrlich, wenn er ständig wiederkehrend und über einen längeren Zeitraum (einzelfallabhängig zu definieren) mindestens eine der Handlungen aus Nr. 1-5 des § 238 StGB vornimmt. Eine Beeinträchtigung der Lebensgestaltung wird üblicher Weise in den Fällen ange-nommen, wenn das Opfer den Wohnort nachweislich auf Grund der Nachstellung gewechselt hat. Eine psychische Beeinträchtigung des Opfers muss dieses durch entsprechende Atteste nachweisen.

 

Wenn jemand eine Anzeige wegen Nachstellung erstattet, welche Prüfungshandlungen nehmen Sie, Frau Baxmann, vor und welche Maßnahmen leiten Sie ein?

Besteht der Verdacht der Nachstellung, werden die im § 238 StGB aufgeführten Tatbestandmerkmale mit dem Opfer durchgesprochen und beurteilt. Dies ist notwendig, da das allgemeingültige Verständnis des Stalkings oft nicht mit dem Straftatbestand des §238 StGB übereinstimmt.

Ich hinterfrage die Stalking-, also Tatzeiträume und grenze diese ggf. ein – Beginn der Nachstellung, bis wann wurde dem Opfer nachgestellt oder dauert die Tat noch an. Weiterhin prüfe ich, auf welche Weise der Täter dem Opfer nachstellt, also dessen Vorgehensweise.

Da Stalking regelmäßig in Begleitung weiterer Straftaten wie Beleidigung, Übler Nachrede oder Bedrohung erfolgt, befrage ich das Opfer auch in diese Richtung.

In jedem Fall nehme ich eine Anzeige auf.

Bereits bei der Anzeigenaufnahme weise ich die Opfer bzw. Betroffenen auf weitere Möglichkeiten hin. Beispielsweise, dass sie bei Gericht einen Beschluss nach dem Gewaltschutzgesetz erwirken können. In diesem kann ein Kontakt- bzw. Annäherungsverbot in jeglicher Form über einen gewissen Zeitraum verankert sein.

 

Wie und welche Beweise sichert die Polizei in Fällen der Nachstellung?

Die Taten finden regelmäßig unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Somit ist es wichtig, dass Opfer selbst Beweise sichern. Briefe, E-Mails oder sonstige Nachrichten sollten Opfer speichern und nicht löschen oder entsorgen. Sind dem Opfer Zeugen bekannt, können diese durch Polizei/Staatsanwaltschaft vernommen werden, um weitere Beweise zu schaffen.
Sofern sich Sachbeweise beim Täter und/oder Zeugen befinden, kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Durchsuchung und Sicherstellung/Beschlagnahme anordnen.

 

Wie geht es für die Opfer nach der Anzeigenerstattung weiter?

Nachdem ich die Anzeige aufgenommen habe, sind die meisten Betroffenen/Opfer zunächst erleichtert. Allerdings ist die Anzeige nur ein erster Schritt und noch nicht automatisch das Ende der Nachstellung. Ich rate den Betroffenen, selbst aktiv zu werden. Neben den bereits erwähnten gerichtlichen Maßnahmen, sind es oft auch einfache Mittel und Möglichkeiten, dem Täter die Nachstellung zu erschweren oder deren Ende zu erreichen. Dies kann das Opfer beispielsweise durch das Anlegen neuer und nichtöffentlicher Accounts in sozialen Netzwerken oder den Wechsel der Telefonnummer u.ä. erreichen.

 

Herr Pönisch, welche Möglichkeiten hat die Polizei, die Opfer zu unterstützen?

Neben der Anzeigenaufnahme und der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens können wir aktiv werden. In konkreten Bedrohungssituationen können die eingesetzten Kollegen Maßnahmen der polizeilichen Gefahrenabwehr treffen. Ein Gespräch mit dem Täter, eine sogenannte Gefährderansprache, oder aber auch ein Platzverweis oder eine Gewahrsamnahme sind Möglichkeiten, das Opfer zu schützen und zu unterstützen.

Des Weiteren habe ich die Möglichkeit, eine Beratung im Sinne des Opferschutzes und in Zusammenarbeit mit Opferhilfsorganisationen wie beispielsweise „Weißer Ring“ durchzuführen oder zu initiieren.

 

Gibt es noch andere Stellen, an die sich ein Stalkingopfer wenden kann?

Ja. Beim zuständigen Amtsgericht kann das Opfer weitere Schritte beantragen. Hier kommen beispielsweise ein Annäherungsverbot oder eine Unterlassungsverfügung in Betracht.

 

Wer sind die Täter? Sind sich Täter und Opfer üblicher Weise bekannt oder sind die Stalker eher Fremde? Wie verhalten sich die Täter, Frau Baxmann?

Aus meiner Erfahrung heraus handelt es sich bei den meisten Tätern der Nachstellung um ehemalige Partner. Vereinzelt befinden sich unter den Tätern Arbeitskollegen. In den wenigsten Fällen sind die Täter unbekannt. Je nach Tätertyp (ehemaliger Partner, Arbeitskollege oder Unbekannter) unterscheiden sich auch die Verhaltensmuster.
Der Arbeitskollege bzw. ein Unbekannter versucht regelmäßig, durch die entsprechenden Verhaltensweisen eine Beziehung aufzubauen. Beim ehemaligen Partner ist dies in der ersten Phase meist ebenso. Wenn dies jedoch keinen Erfolg verspricht, wandelt sich das Verhalten in Aggression und Rache. Es folgt häufig eine Verunglimpfung des Opfers (beispielsweise bei Freunden und Arbeitgebern) bis hin zum Angriff auf die Person.

 

Muss jeder damit rechnen, möglicherweise Stalkingopfer zu werden? Herr Pönisch!

Diese Frage kann ich nicht pauschal beantworten. Aber, wer viel von sich preis gibt, beispielsweise in sozialen Netzwerken im Internet, setzt sich einem erhöhten Risiko aus, Stalkingopfer zu werden.

 

Wann wenden sich die Opfer an die Polizei und damit an Sie, Frau Baxmann? 

Ich erlebe regelmäßig, dass die Opfer einer Nachstellung nicht sofort zur Polizei kommen, sondern erst, nachdem ein gewisser Zeitraum vergangen ist. Dieser Zeitraum liegt erfahrungsgemäß zwischen 3 Tagen bis zu 3 Monaten. Es kommt hierbei auf die Schwere der Nachstellung und die unterschiedliche Wahrnehmung des Opfers an.
Manche Opfer fühlen sich bereits bei mehreren Nachrichten per Handy über einen Zeitraum von 3 Tagen gestalkt. Wobei hier rechtlich gesehen, der Straftatbestand des § 238 StGB nicht erfüllt ist. Jedoch werden die entsprechenden Nachrichten auf andere Delikte, wie Beleidigung oder Bedrohung, geprüft. Erforderlichenfalls erfolgt eine Anzeigenaufnahme.

 

Immer wieder hört man davon, dass Menschen sich gegenseitig einer Straftat beschuldigen, obwohl objektiv kein Straftatbestand erfüllt worden ist. Herr Pönisch, kommt das im Deliktsbereich der Nachstellung auch vor?

Nicht selten kommt es vor, dass sich Menschen gestalkt fühlen, ohne Vorliegen der im Gesetz genannten Merkmale. Wie ich bereits erläutert habe, ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass hier andere Straftatbestände in Betracht kommen könnten – beispielsweise Nötigung oder Beleidigung.

Ein anderer Fall liegt vor, wenn jemand bewusst falsche Angaben macht, um anderen zu schaden. Diese machen sich dann selbst strafbar. In Betracht kommen u.a. Falsche Verdächtigung, Vortäuschen einer Straftat, Verleumdung.

 

eFrau Baxmann, Sie haben teilweise sehr engen Kontakt mit den Opfern, können Sie von einem Beispiel berichten, das Ihnen Kopfzerbrechen bereitet hat?

Jeder Fall bringt seine eigenen Besonderheiten mit sich. Aber der Fall einer Studentin mit Migrationshintergrund, ist mir besonders im Gedächtnis geblieben.

Sie kam in Begleitung einer Vertrauensperson zu mir. Und das nur, weil sie „überredet“ wurde, bei der Polizei eine Anzeige zu erstatten. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits Lehrer, Freunde und Nachbarn mitbekommen, was da mit ihr passiert.

Sie war bereits seit mehreren Monaten Opfer schweren Stalkings, das bis hin zu körperlichen Übergriffen reichte.

Der Täter, ein Mann, ebenfalls mit Migrationshintergrund, und die junge Frau lernten sich in Deutschland kennen. Er wollte sofort eine Beziehung mit ihr eingehen. Dies lehnte sie ab und gab ihm das auch mehrfach zu verstehen. Der Mann wollte die Zurückweisung nicht wahrhaben und begann, ihr nachzustellen.

Er schrieb sich in die gleichen Sprachkurse ein, sprach Freunde von ihr an, verfolgte sie, wartete jeden Tag vor dem Unterricht auf sie, besuchte sie zu Hause. Er nahm sich hierbei auch Freunde zu Hilfe, die ihm verschiedene Beobachtungen mitteilten. Beispielsweise ihre Gesprächspartner im Unterricht, mit wem sie sich getroffen hat und ähnliches.

Der Täter gelangte in die Wohnung der jungen Frau, bedrohte sie und wollte sie zu Handlungen nötigen, die sie nicht wollte. Es kam zu körperlichen Übergriffen.

Nachdem ich die ersten Anzeigen aufgenommen und den Mann zur Polizei vorgeladen hatte, verschlimmerten sich dessen Handlungen. Er ging soweit, sie auf öffentlichen Plätzen lautstark anzusprechen, dass sie seine Freundin sei und bedrohte die junge Frau.

Er sagte zu ihr, dass ihr etwas passieren könnte, wenn sie die Anzeige bei der Polizei nicht zurück zieht und weiterhin drohte er seinem Opfer an, ihrer Familie Informationen weiterzugeben, die für die junge Frau einen großen Ehrverlust bedeutet hätten.

Aufgrund des guten Verhältnisses, das ich bei den vorhergehenden Gesprächen mit der Frau aufgebaut hatte, rief sie mich in akuten Fällen immer an und ich konnte beruhigend auf sie einwirken und dazu bringen, zur Polizei zu kommen. In Zusammenarbeit mit dem Jenaer Frauenhaus und dem Weißen Ring konnte die junge Frau im Frauenhaus aufgenommen und die Kosten gedeckt werden.

Die junge Frau brach all ihre sozialen Kontakte ab und wechselte den Ausbildungsort.

Die einzelnen Verfahren wurden bei der Staatsanwaltschaft Gera zusammengefasst und der Mann in Untersuchungshaft genommen.

Abschließend möchte ich noch an alle Opfer appellieren: Erstatten Sie Anzeige und lassen Sie sich helfen! Weitere Informationen und Hilfsangebote zum Thema finden Sie auch online auf www.polizei-beratung.de

 

Die Fragen stellte Antje Weißmann von Landespolizeiinspektion Jena

 

Bild: Nicole Baxmann, Mitarbeiterin im Ermittlungsdienst der Jenaer Polizei.