Entdeckungen des Fotografen Bernd Seydel

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Es ist wie ein lebendiges Museum für Theatertechnik und Gestaltung der siebziger Jahre. Es ist Konzertsaal, früher mal ein Kino, Theater und Versammlungsort für Anlässe aller Art: das Kulturhaus in Gotha wurde 1940 eröffnet, 1973 umgebaut und ist seit dieser Zeit mehr oder weniger unverändert erhalten geblieben. Zumindest die Bereiche, die für das Publikum zugänglich sind.

 

Die faszinierende Technik, die sich in den Räumen hinter dem Saal und der Bühne verbirgt, sieht man nicht. Ich (, Bernd Seydel,) hatte Gelegenheit, sie mit meiner Kamera zu dokumentieren.

 

Doch schon der Zuschauerraum birgt so manche Überraschung. Wer nur das Parkett kennt, also die Sitzreihen direkt vor der Bühne, ist verblüfft, wenn er sich in den ersten Stock begibt, also auf den Rang. Noch einmal gut 300 Sitzplätze finden sich dort, so dass insgesamt 795 Zuschauer im Haus Platz haben. Wer von ganz oben bis tief hinein in die Hinterbühne schaut, erlebt, wie groß dieses Kulturhaus ist.

 

Eine weitere Besonderheit ist die mächtige Orgel. Sie ist voll funktionstüchtig und spielbereit. Ihre fast deckenhohen Pfeifen beeindrucken auch optisch und geben dem Saal eine besondere Note.

 

Doch ich werde von Matthias Kulpe, Cheftechniker seit 32 Jahren im Kulturhaus, und seinen freundlichen Mitarbeitern auch in die geheimnisvollen Niederungen des Hauses geführt. Die Unterbühne beherbergt den Antrieb der Drehbühne. Vier Straßenbahnmotoren sorgen für die Rotation. Außerdem lassen sich noch zwei Podeste auf dieser Drehbühne nach oben fahren oder sogar bei Bedarf ankippen.

 

In einem anderen Kellerteil sehe ich eine gewaltige eiserne Hebelkonstruktion. Mit ihr kann die Vorderbühne abgesenkt werden, so dass ein Orchestergraben entsteht. Seit 40 Jahren funktioniert dieses Teil. Nur ab und zu müsse es man mal schmieren, erklärt mir Matthias Kulpe.

 

Noch ein Stockwerk tiefer findet sich die Belüftungsanlage. Sie ist modern und zeitgemäß. Riesige Rohre drängen durch die Decke. 800 Zuschauer brauchen genügend frische Luft und im Winter ausreichend Wärme.

 

Vom Keller geht es hinauf zum Dach. Gut, dass ich keine Höhenangst habe. Also kann ich die steile und schmale eiserne Wendeltreppe an der Seite der Hinterbühne entspannt hochsteigen. Bis zum Schnürboden direkt unter dem Dach sind es neunzehn Meter. Die wollen bewältigt werden. Oben geht man auf Gittern, so dass man bis zum Bühnenboden herunterschauen kann – wieder mal nichts für Höhenängstliche.

 

Auf dieser Etage laufen die Seile zusammen, mit denen die Traversen für die Bühnenbeleuchtung bewegt werden können oder auch die riesigen Vorhänge oder Kulissen, die bei Theaterstücken eingesetzt werden. Ein Rundhorizont steht auch noch zur Verfügung – man muss dann nur darauf achten, dass nicht einige der 240 Scheinwerfer ihn behindern.

 

Direkt unter dem Dach finden sich die großen Entrauchungsklappen. Zu meiner Freude werden sie geöffnet, so dass ich den Ausblick über die Stadtbibliothek hinüber zum Schloss genießen kann. Auf der anderen Seite sehe ich weit über Gotha hinweg bis hin zum Krahnberg.

 

Auf dem Weg zurück zur Bühne mache ich noch einmal Halt auf einer Etage, von der aus die Scheinwerfer für die Bühne eingerichtet werden können. Bis zu 5000 Watt Leistung stehen zur Verfügung – ganz schön hell.

 

Vorhänge und Kulissen werden teils elektrisch, teils noch mit Handaufzügen bedient. Die Techniker wissen genau, mit welchem Seil sie was bewegen. Mir scheint es nur ein großes Durcheinander zu sein.

 

Licht- und Tontechnik wurden im Laufe der letzten Jahre immer wieder modernisiert und ergänzt. Das Kulturhaus ist bei aller äußerlichen Tradition modern geblieben. Doch das bemerken die Zuschauer nicht, denn sie sehen, wie alles funktioniert. Warum das so ist, zeigte mir meine Entdeckungstour durch ein Haus, das ich immer unterschätzt habe. Ich glaube, ich habe ein wenig von seiner eigenwilligen Schönheit gespürt.

Dr. Bernd Seydel