Förderpreis für Schmerzforschung an Jenaer Wissenschaftler

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Die Wissenschaftler PD Dr. Ingo Kurth vom Uniklinikum Jena und Dr. Enrico Leipold vom Zentrum für Molekulare Biomedizin der Jenaer Uni wurden mit dem Förderpreis für Schmerzforschung geehrt. In ihrer mit dem ersten Preis in der Kategorie Grundlagenforschung ausgezeichneten Arbeit  beschreiben sie eine Veränderung im Gen SCN11A, die zu einer Überaktivität eines Natriumkanals und in der Folge zur Schmerzunempfindlichkeit führt. Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. vergibt den von der Grünenthal GmbH gestifteten Förderpreis jährlich auf dem Deutschen Schmerzkongress, der in diesem Jahr in Hamburg stattfindet.
 
Ausgangspunkt der vom Humangenetiker PD Dr. Ingo Kurth geleiteten Studie war der Fall eines kleinen Mädchens, das keine Schmerzen empfindet, obwohl beide Eltern völlig gesund sind. Was zunächst nicht nach einer Erkrankung klingt, ist eine schwerwiegende funktionelle Störung: Die Schmerzfreiheit führte zu unbemerkten, teilweise selbst verursachten Hautverletzungen und Knochenbrüchen, die wegen der fehlenden Schmerzwarnung auch schlecht heilten.

Die Analyse des gesamten Exoms des Mädchens und seiner Eltern, also aller Proteine verschlüsselnden Abschnitte des Genoms, ergab eine Mutation im Gen SCN11A. „Die Mutation war nur bei dem Kind vorhanden, musste also spontan entstanden sein“, so Ingo Kurth. In Zusammenarbeit mit Kollegen aus dem In- und Ausland stießen die Forscher auf exakt dieselbe Mutation bei einem schwedischen Patienten. Beide Patienten hatten eine sehr ähnliche Krankengeschichte – neben der fehlenden Schmerzwahrnehmung litten beide an übermäßigem Schwitzen, leichter Muskelschwäche und Störungen der Darmtätigkeit.

Dem Biophysiker Dr. Enrico Leipold gelang es, den Mechanismus der Erkrankung zu rekonstruieren: Das Gen SCN11A enthält die Information für den Natriumkanal NaV1.9, der bei der Schmerzweiterleitung zum Zentralnervensystem eine entscheidende Rolle spielt. „Die Mutation steigert die Aktivität des NaV1.9-Kanals, was paradoxerweise die Ausbildung von Aktionspotentialen und in der Folge die Signalübertragung ins Gehirn eingeschränkt“, so Enrico Leipold, Erstautor der Studie. Diesen Ablauf konnten die Wissenschaftler schließlich experimentell im Tiermodell nachweisen.

Die ausgezeichnete Studie der Jenaer Wissenschaftler zeigt eine neue Qualität des Zusammenhangs zwischen der angeborenen Unfähigkeit, Schmerz zu empfinden, und einer Fehlfunktion von Natriumkanälen. Bislang ging man davon aus, dass der Verlust des Schmerzempfindens ausschließlich durch eine Verringerung der Kanalaktivität hervorgerufen wird. Dass auch die erhöhte Aktivität eines Natriumkanals die Schmerzwahrnehmung hemmen kann, ermöglicht den Wissenschaftlern neue Einblicke in die Funktionsweise der Schmerzempfindung. „Unser Ergebnis macht den SCN11A-Kanal auch als Angriffsziel für neue Schmerzmedikamente interessant“, so Ingo Kurth, „dazu müssten wir ihn aber selektiv und zielgerichtet beeinflussen können und das kann sich außerordentlich schwierig gestalten.“