Führung aus der Hand gegeben

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Frankfurt am Main. Im Augenblick des Abpfiffs bleibt Claudia van den Heiligenberg wie angewurzelt auf dem Rasen stehen. Nach vorne gebeugt, die Hände auf die Knie gestützt. Ihre Mitspielerinnen, die selbst mit hängenden Schultern vorüber gehen, klopfen der niedergeschlagenen Jenaerin aufmunternd auf die Schulter. Schließlich nimmt Torhüterin Kathrin Längert die Niederländerin in die Arme und spendet Trost.

Die Ursache für diese ausdrucksstarke Szene liegt in der 64. Spielminute: Längert fischt einen Ball aus der Gefahrenzone und beendet damit einen Frankfurter Sturmlauf. Die Gastgeberinnen drehen ab und der FF USV Jena beginnt mit dem Spielaufbau. Van den Heiligenberg führt das Spielgerät und legt auf Höhe der Strafraumgrenze plötzlich quer. Anstelle der erwarteten Mitspielerin, lauert im Zentrum jedoch die frei stehende FFC-Angreiferin Mandy Islacker. Die schaut kurz und schießt unhaltbar für Längert aus kurzer Distanz ins linke Eck. Ausgleich. Das Tor ist eine Zäsur: Bis zu diesem Augenblick hatte Jena das Spiel in der zweiten Halbzeit dominiert. Nach dem torlosen ersten Durchgang, in dem beide Mannschaften aber Chancen hatten, drängten die Thüringerinnen nach dem Wiederanpfiff auf die Führung. In der 49. Minute erobert Marie-Luise Herrmann den Ball im Zentrum. Nach einem Doppelpass mit Kapitänin Julia Arnold setzt Herrmann auf der linken Außenbahn zur Flanke an. Doch der Schuss landet mit voller Wucht im Gesicht der herangeeilten Frankfurterin Marith Prießen, die mit blutender Nase zu Boden geht – der Ball kullert derweil ins Seitenaus. Nach der Behandlungspause führt Claudia van den Heiligenberg den Einwurf, den Amber Hearn im Strafraum mit dem Kopf verlängert, aus. Aus der Box gelangt der Ball zurück auf die linke Seite, von wo Julia Arnold die Kugel beherzt aus der Luft im hohen Bogen im langen Eck versenkt (51.). Die Spielerin dreht jubelnd in Richtung des Fanblocks ab. Und an der Seitenlinie entlädt sich die Freude von Trainern und Betreuern ebenfalls lautstark. Das Führungstor verleiht den Jenaerinnen enormen Rückenwind. Eine Minute nach dem Führungstor erobert Dolores Da Silva den Ball im Mittelfeld, steckt rasch auf die nach vorn enteilte Hearn durch, die den Ball aus vollem Lauf jedoch am Tor vorbei schießt. Erneut nach einer Minute erobert diesmal Arnold den Ball. Sie steckt auf Da Silva durch, die die Kugel mit Wucht ans Außennetz drischt. Zwar liegt das zweite Jenaer Tor in der Luft. Es fällt aber nicht. In dieser Phase kommen die Frankfurterinnen wieder besser ins Spiel; das Ausgleichstor ist dennoch eine Überraschung – für beide Seiten.
In der 73. Minute fällt in dem von der goldenen Herbstsonne gefluteten Stadion am Brentanobad die Entscheidung: Jackie Groenen dringt mit dem Ball am Fuß in den Jenaer Strafraum ein, lässt die erste Verteidigerin links, die zweite rechts liegen und vollstreckt schließlich aus 15 Metern zur Führung. Die Fußballerinnen aus dem Saaletal starten weitere Angriffe, kommen aber nur noch einmal vor das Frankfurter Gehäuse: Nach einem Freistoß von Claudia van den Heiligenberg hechtet Julia Arnold dem Ball erst mit dem Kopf voran entgegen und versucht es sodann noch einmal mit einem Volleyschuss in Seitenlage. Ein paar Mal noch wechselt der Ball die Seiten. Dann ist nach 93. Spielminuten Schluss. Trainer Christian Franz-Pohlmann muntert seine Spielerinnen in einer ersten Ansprache auf dem Rasen auf: „Lasst euch nicht hängen, nehmt die Köpfe nach oben – Stärke zeigen!“ Doch das fällt schwer in diesem Augenblick. Selbst der Cheftrainer kann seine Niedergeschlagenheit nicht verbergen. In Gesprächen mit Fans und Journalisten wiederholt Franz-Pohlmann immer wieder eine bestimmte Geste mit der Hand: der kleine Abstand zwischen Zeigefinger und Daumen soll symbolisieren, dass es knapp war. Er sagt treffend: „Wenn wir hier das zweite Tor machen, gehen wir sicher nicht als Verlierer vom Platz.“
Die bittere Niederlage gegen den Rekordmeister und bisherigen Tabellennachbarn müsse nun aber raus aus den Köpfen. „Jetzt gilt es Ruhe zu bewahren und nach vorn zu schauen“, sagt Franz-Pohlmann. In zwei Wochen kommt Aufsteiger Mönchengladbach zum Duell ins Ernst-Abbe-Sportfeld. Das Spiel gegen die Borussinnen wird für die seit vier Ligaspielen sieglosen Jenaerinnen zur Richtungsentscheidung.

FF USV Jena: Längert – Melhado, Utes, Hearn, Sedlackova (78. Luis), Da Silva, Seiler (78. Weiß), Herrmann (88. Graser), van den Heiligenberg, Hausicke, Arnold.

1. FFC Frankfurt: Schumann – Störzel, Hendrich, Nagasato, Islacker, Schmidt, Prießen, Groenen (90.) Pawollek, Munk (46. Matheis), Bartusiak, Nietgen.

Tore: 0:1 Arnold (51.) / 1:1 Islacker (64.), 2:1 Groenen (73.)

Gelbe Karte: Da Silva (69.) / Islacker (92.)

Besondere Anmerkungen: Kathrin Längert spielt ihr 150. Bundesligaspiel; Maren Tellenbröker (16 Jahre) zum ersten Mal im Kader der Bundesliga-Elf.

Schiedsrichterin: Franziska Haider (Roth)

Zuschauer: 1.670

Text: Benedikt Bernshausen

H&H Makler