Warum die Oscar am Freitag-Redaktion die AfD bei der Berichterstattung nicht negiert

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Liebe Leser,

in dieser Woche, in der die erste Ausgabe von Oscar am Freitag im Jahr 2020 erscheint, beginnen wir mit einer Lokalfernseh-Interview-Reihe mit allen Landratsabgeordneten, die hier im Landkreis ihren Wirkungskreis haben. Der erste Gesprächspartner ist Birger Gröning von der AfD.

Das wird bei unseren Lesern und Zuschauern für Diskussionen sorgen.

Lassen wir an dieser Stelle den SPIEGEL-Journalisten Hasnain Kasim zu Wort kommen. Der machte am 1. November des vergangenen Jahres nach – so schrieb es die ZEIT – „vielen geduldigen Korrespondenzen mit rechten Hatern eine ebenso klare wie umstrittene Twitter-Ansage“: Es gehe nicht darum, „AfD-Wählerinnen und AfD-Wähler zu ‚erreichen’“, so schrieb er. Es gehe vielmehr darum, „sie auszugrenzen, zu ächten, ihnen das Leben schwer zu machen, sie dafür, dass sie Neonazis und Rassisten den Weg zur Macht ebnen wollen, zur Verantwortung zu ziehen“.

Kazim, Wien-Korrespondent des SPIEGEL, erhält als AfD-kritischer Publizist und Deutscher mit indisch-pakistanischen Wurzeln seit Jahren Hasspost und Morddrohungen. Seine Antwort auf diese Bedrohung ist – auch hier sei die ZEIT zitiert – „ein radikales und aus persönlicher Betroffenheit durchaus hart formuliertes Bis-hierher-und-nicht-weiter – ein Appell, den sozialen Gegendruck zu erhöhen und kulturelle Hemmschwellen zum Schutze all jener zu errichten, die nach Ansicht von AfD-Anhängern nicht dazugehören, stören und im Zweifelsfall ‚entsorgt‘ werden müssen.“

Kazims Standpunkt kann ich als Redaktionsleiter von Oscar am Freitag nachvollziehen. Und dennoch teile ich ihn nicht. Dabei ist die Frage, ob beispielsweise der Landtagsabgeordnete Birger Gröning für unsere Leser nun ein rechter Propagandist im bürgerlichen Gewand oder ein erzkonserva­tiver Politiker sein könnte, für unsere Redaktionsleitung bei der Interview-Entscheidung nicht die entscheidende Frage.

Oscar am Freitag mag eine kleine publizistische Stimme in Thüringen sein – und dennoch erreichte unsere Redaktion in Gotha und Jena mehr als 100.000 Haushalte. Unsere Redaktion arbeitet seit 2002 und sieht sich durchaus als unabhängiger Chronist des Zeitgeschehens. Und das Thema Meinungsfreiheit ist uns wichtig – absolut wichtig. Ohne verschiedene Meinungen zu kennen, kann sich niemand eine eigene Meinung bilden. Meinungsfreiheit gehört zum Fundament einer funktionierenden Demokratie. Entscheidend ist, dass die Ausübung der Meinungsfreiheit andere Rechte nicht verletzt, wie zum Beispiel die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die Religionsfreiheit.

Ich sehe nicht, dass Birger Gröning die in welcher Art auch immer bisher verletzt hätte. Doch auch er wird sich in Zukunft – natürlich – an seinen eigenen Worten messen lassen (Zum Interview kommen Sie HIER). Wie alle anderen auch.

M. Schulz

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