Dass die Beschäftigung mit der römischen Antike immer wieder für Überraschungen sorgt, zeigt der Darmstädter Professor und Wasserhistoriker Mathias Döring. Er berichtet am Dienstag, dem 22. März, dem „Welttag des Wassers“, ab 19 Uhr im Bürgersaal Tambach-Dietharz über den „längsten Tunnel der Antike“ im Grenzgebiet Jordanien-Syrien.
Dort waren bei der Ausgrabung einer vorgeschichtlichen Siedlung ein 150 m langer Stollen und einige Schächte aufgefallen, deren Bedeutung unklar war. Der 2004 als Experte hinzugezogene Wasserbau-Ingenieur Döring erkannte schnell, dass das Bauwerk nicht bronzezeitlich, wie angenommen, sondern jüngeren Datums war. Zum einen fehlte den Bauleuten des 3. Jahrtausends v. Chr. das Werkzeug, um den harten Kalkstein in diesem Ausmaß zu bearbeiten. Zum anderen zeigte sich, dass hier Wasser in großer Menge über längere Zeit geflossen war. Der Tunnel schien Teil einer bisher unbekannten antiken Fernwasserleitung zu sein.
Um diese zu finden, sondierte man zunächst die nähere Umgebung. Durch hüfttiefes Wasser und halbmeterhohe Engstellen arbeiteten sich die Tunnelforscher vor und fanden in kurzen Abständen weitere Bauschächte, die zugemauert und daher von außen nicht mehr sichtbar waren. Alle waren mit einer Treppe ausgestattet und endeten in einem horizontalen Tunnel. Das bestätigte eine einheitliche und überregionale Planung. Außerdem fanden sich in Reiseberichten des 19. Jahrhunderts Hinweise, wonach sich im südlichen Teil Syriens Fragmente eines oberirdischen Wasserkanals befinden sollten. In der 40 km in Gegenrichtung entfernten antiken Ruinenstadt Gadara war ein kurzer Tunnel mit ähnlichen Abmessungen bekannt.
Sollte es sich womöglich um einen, in Vergessenheit geratenen großen römischen Aquädukt handeln? Das würde bedeuten, dass sich im jordanischen Bergland mit seinen tief eingeschnittenen Tälern eines der großartigsten Bauwerke römischer Wasserbaukunst versteckte. Denn eine leistungsstarke Wasserversorgung, wie sie die reichen Handelsstädte am Kreuzungspunkt der aus dem Jemen kommenden Weihrauchstraße und der Karawanenroute von Babylon zum Mittelmeer brauchten, war bis dahin nicht bekannt.
Die Annahme bestätigte sich im Jahr darauf. Als Döring und seine Studenten das 400 km2 große, in Frage kommende Gebiet systematisch absuchten, wurden sie überraschend schnell fündig. Nach zwei mehrwöchigen Einsätzen waren mehr als 100 Bauschächte bekannt, die einzigen Zugänge zu einem ausgedehnten Tunnelsystem, dessen Abschnitte sich in den folgenden Jahren auf 106 km Länge addierten. In Syrien kamen noch einmal 64 km oberirdische Leitung hinzu.
Wände und Sohle des Tunnels waren über weite Strecken sorgfältig verputzt. Um diesen wasserdicht zu machen, hatten die Erbauer den Mörtel mit Holzkohle vermischt, die Rückschlüsse auf die Bauzeit ermöglichte: zwischen 130 und 210 n. Chr. Kalkablagerungen im Tunnel verrieten die transportierte Wassermenge: etwa 25 000 m³ pro Tag.
Von innen konnte man sehen, dass die meisten der hochgerechnet 2900 Schächte bereits vor 1800 Jahren verschlossen worden waren, um das Trinkwasser zu schützen. Die in zahllosen Kurven geführte Trasse zeigte aber auch, wie schwierig die Orientierung unter Tage gewesen sein musste. Es gab Stellen, an denen man sich zwischen den Bauschächten zunächst nicht getroffen und den Gegenvortrieb mit S-Kurven und in einem Fall mit einem 200 m langen, in Schleifen geführten Stollen suchen musste. Dort, wo die Trasse hoch am Hang verlief, war man mehrfach zu nahe an die Bergflanke geraten, sodass infolge der Schwächung des Felsens ganze Hänge abgestürzt waren und man einen neuen Tunnelabschnitt weiter im Berginnern bauen musste.
Nach der siebten Kampagne im Herbst 2010 stand fest, dass der Aquädukt mit 170 km Länge nicht nur einer der aufwändigsten der römischen Antike war. Mit 106 km ist der unterirdische Teil auch der längste bisher bekannte Tunnel des Altertums.
Der Verein zur Förderung des Archivs zur Geschichte der deutschen Wasserwirtschaft (AGWA) hofft, dass sich mit dem 3. „Tambach-Dietharzer wasserhistorischen Vortrag“ diese Veranstaltungsreihe unweit von Gotha, einem historischen Zentrum der Geo- und Naturwissenschaften, nun fest etabliert. Gemeinsam mit der Stadt Tambach-Dietharz lädt der FöV AGWA zu diesem interessanten Vortrag ein. Der Eintritt ist kostenfrei, um eine Spende für die Projekte des FöV AGWA wird gebeten.
Publiziert: 16. März 2011, 14.20 Uhr