Miss Sixty

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Die beliebte Schauspielerin Iris Berben ist seit 45 Jahren ununterbrochen auf deutschen TV-Schirmen („Krupp – Eine deutsche Familie“) und Leinwänden („Buddenbrooks“) präsent. Bekannt ist die 63-jährige auch für ihr soziales und politisches Engagement. Darüber hinaus fungiert die gebürtige Detmolderin als Präsidentin der Deutschen Filmakademie. Nun ist Iris Berben wieder im Kino zu erleben. In der Komödie „Miss Sixty“ spielt sie eine alleinstehende 60-jährige, die ihr Leben nach der Zwangs-Pensionierung völlig neu ordnen muss. Ein Gespräch über Mutterschaft, Alter und Rauchen vor der Kamera.  

Frau Berben, was hat Sie an der Figur der Luise überrascht?

Sie hat viele unterschiedliche Facetten, die auf eine Frau in ihrem Alter passen. Überrascht haben mich ihre Angriffslust, ihre Komik und ihre Direktheit. Luise ist frech und sie ist traurig. Unerwartet ist es, wenn sie mit Anfang 60 meint, sie müsse ihr Leben neu beginnen. Sie ist eine spannende Figur.

Die Produzentin Corinna Eich spricht von einer „unerträglichen Soziopathin“. War es die Herausforderung, Luise trotzdem liebenswert zu gestalten?

Solche Dinge haben immer eine Vorgeschichte. Da ist eine Frau, die vermutlich 40 Jahre früher von Zuhause hätte ausziehen müssen. Nach einer Liebschaft, die nicht gut für sie ausging, hat sie sich voll dem Beruf gewidmet, der spannend ist und in dem sie sich als Frau sicherlich auch behaupten musste. Sie hat sich abgekapselt, aber das macht sie nicht automatisch zu einer unangenehmen Frau. Sie hat etwas Weltfremdes, Zurückgezogenes, was es ihrer Umwelt schwer macht, mit ihr zu kommunizieren. Diese Frau wieder zum Leben zu erwecken, war eine schöne Aufgabe. Dazu musste ich auch die positiven Aspekte zulassen, die sie ja auch hat, die aber ein bisschen verschüttet waren.

Die 60-jährige Luise trägt sich mit einem Kinderwunsch. Gibt es eine richtige Zeit, um Mutter zu werden?

Das ist eine ganz individuelle Entscheidung. Ich bin sehr früh Mutter geworden, mit gerade mal 21. Ich kenne Frauen, die Mitte 30 für einen guten Zeitpunkt halten. Es muss eine Selbstbestimmung sein, denn es gibt sicherlich keine Regel dafür, wann man die bessere Mutter ist. Womit wir uns auseinandersetzen müssen, und das wird ja auch im Film angesprochen, ist die Tatsache, dass viele Frauen zum „Social Freezing“ (Anm.: das Einfrieren unbefruchteter Eizellen) übergehen, weil sie im Alltag nicht die Chance haben, ihren Beruf nach einer Erziehungszeit nahtlos weiterzuführen. Sie müssen den Kinderwunsch immer wieder auf später verschieben. Da ist die Gleichberechtigung noch lange nicht bei den Frauen angekommen. Der Film behandelt dieses Thema zwar auf komödiantische Weise, aber mit dem nötigen Tiefgang, wie ich meine.
 
Sollte man alles medizinisch Machbare ausschöpfen, um einen Kinderwunsch zu erfüllen?

Nein, aber wir müssen wissen, dass es diese Alternative gibt. Und es wird immer Situationen geben, in denen man es möglich machen sollte. Es ist ein Thema, das ganz schwierig in eine Form zu gießen und gesetzlich zu regeln ist. Die Medizin, die Technik und die Forschung schreiten immer weiter voran. Das ist ein spannendes Gebiet. Es ist für Frauen möglich, auch in einem höheren Alter noch Kinder zur Welt zu bringen. Aber man darf der Natur auch nicht ständig ins Handwerk pfuschen und immer alles machen, nur weil es möglich ist.

Luises Verhältnis zu ihrer Mutter ist sehr berührend. Ist es nicht wünschenswert, dass Eltern lange für die Kinder da sind?

Ja, genau. Luise sagt ja irgendwann: „Ich hatte meine Mutter 60 Jahre und es war immer noch nicht genug“.

Einmal wirft die Mutter Wasserbomben auf die lauernden Journalisten. Gab es Lebenssituationen, in denen Sie das auch gern getan hätten?

Natürlich gab es während dieser vielen Jahrzehnte, in denen ich quasi öffentlich bin, immer mal wieder Kollegen von Ihnen, bei denen man sich eine Wasserbombe gewünscht hat, um sie in die Schranken zu weisen. Das hat sich mit der Zeit schon verändert. In den letzten zwanzig Jahren ist die mediale Berichterstattung durch manch einen verunreinigt worden, das finde ich schon. Aber in jedem Beruf wird es immer auch schwarze Schafe geben. Und der allergrößte Teil der Journalisten übt den Beruf mit der nötigen Sorgfalt aus.

Als man Michael Caine zum ersten Mal die Rolle des Vaters des Helden anbot, zog er sich vorübergehend aus dem Geschäft zurück. Sind für einen Schauspieler die erste Eltern- und die erste Großeltern-Rolle tatsächlich Einschnitte?

Bei mir ging das schleichend vonstatten. Plötzlich habe ich festgestellt, dass diese jungen, feschen Kerle gar nicht mehr meine Liebhaber waren, sie waren jetzt meine Söhne. Das stellt man fest und sagt sich: „Schade!“. Hoffentlich gibt es dann doch noch mal einen Stoff, bei dem sich das dreht. Aber tatsächlich wächst man dann in ein anderes Fach hinein – wenn man Glück hat. Man muss es als etwas sehr Positives registrieren, wenn man in die nächste Generation hineinwachsen darf. In der Schnelllebigkeit unseres Berufes und der Wegwerfgesellschaft ist es etwas Gutes, der Schauspielerei über eine lange Zeit verhaftet zu bleiben. Ich kann die Jahre zählen, es sind jetzt 45. Natürlich hat sich da etwas verändert. Manchmal ist man souverän genug und nimmt es so zur Kenntnis, wie ich es jetzt tue. Aber manchmal denkt man auch, verflixt, könnte ich die Zeit doch noch mal zwanzig Jahre zurückdrehen! Auf der anderen Seite empfinde ich die Rollen der letzten zwanzig Jahre als so kraftvoll und besonders, dass ich das überhaupt nicht als Defizit sehe.

Was reflektiert man, wenn man das erste Mal einen Preis für das Lebenswerk erhält?

(lacht) Ich habe bis jetzt zwei Preise für mein Lebenswerk erhalten, den Grimme-Preis und den Bayrischen Filmpreis. Bei „Lebenswerk“ denkt man schon, okay, halt, ich will da noch eine Weile ordentlich mitgestalten. Natürlich ist man mit 60 im letzten Drittel oder im letzten Viertel angekommen. Von der eigenen Kraft her, von der Lust und der Leidenschaft auf den Beruf, blickt man aber noch lange nicht auf ein Ende. Man denkt sich: Es ist schön, dass die Lebensleistung wahrgenommen wird. Aber ich zeige Euch allen jetzt mal eine ganz lange Nase und mache noch ein paar Jahrzehnte weiter.

Ist es manchmal schwierig, in einem Medium zu arbeiten, das den Jugendwahn zumindest unterstützt?

Es hat den Jugendwahn viele Jahre lang sehr unterstützt, aber ich glaube, wir befinden uns heute in einer besseren Phase. Für Schauspielerinnen war früher die 40 schon die magische Zahl. Aber hier hat sich wirklich etwas verändert. Das merkt man auch im amerikanischen Kino. Hier sind es immer noch die alten Haudegen und „Haudeginnen“, die große, häufig auch komödiantische Rollen spielen. Es zeigt sich ein deutlicher Wandel im Angebot. Der Jugendwahn wird nicht mehr in der Weise unterstützt, wie das vor Jahren mal war.

Ist Komödie tatsächlich das Schwerste oder ist das ein Klischee?

Komödie ist für mich nach wie vor die Königsklasse. Man kann den alten Satz nur immer wiederholen: Es ist sehr viel leichter, Menschen zum Weinen zu bringen, als sie zum Lachen zu bringen. Humor kann so unterschiedlich sein. Mir lag der Humor von „Miss Sixty“ sehr. Ich mag auch den schwarzen Humor gern und bin weniger ein Schenkelklopfer. Humor umzusetzen und damit möglichst viele Zuschauer zu erreichen, ist wirklich schwer. Nirgends ist die Frage des Timings so essentiell wie bei der Komödie. Damals bei „Sketchup“ habe ich viel über dieses Timing und die richtige Erzähltemperatur gelernt.

In „Miss Sixty“ wird auf der Leinwand geraucht, was selten geworden ist. War das auch für Sie etwas Besonderes?

Nein, ich rauche auch außerhalb von „Miss Sixty“. In unserem Film ist es ja auch eine gewisse Provokation, wenn Luise mit Babybauch raucht. Ich finde, dass es keine Berechtigung hat, das Rauchen ganz aus den Filmen zu verbannen. Es wird umfassend aufgeklärt und jeder weiß, was Rauchen bedeutet. Das zeigt Wirkung, junge Leute haben noch nie so wenig geraucht wie heute. Wenn man sich vorstellen würde, dass in etlichen Filmklassikern nicht geraucht würde, ginge viel von der Atmosphäre verloren und vom Bild der Zeit, von der man erzählt. Und es gibt auch heute noch Menschen die rauchen, deshalb finde ich es nicht problematisch, das auch zu zeigen.
 
Um eine Frage aus dem Film aufzugreifen: Wie würden Sie gern sterben?

Sehr unvermutet und schnell. Aber am liebsten überhaupt nicht.

Die Fragen stellte André Wesche.

Kennedys Hirn, Teil I

 

 

Auch in der ARD ist Iris Berben demnächst wieder zu sehen: So zum Beispiel in „KENNEDYS HIRN, TEIL I“ (D/S/A 2010, Regie Urs Egger), der am02. Mai 20 14 um 01:20 Uhr im Ersten läuft. Der Inhalt:  Die Archäologin Louise Cantor (Iris Berben) besucht ihren Vater und trauert um ihren ermordeten Sohn. Bild: ARD Degeto/Bavaria/Yellow Bird/Marco Meenen.