Anti-Materie im Kreisverkehr

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An einem sogenannten Kryo-Stromkomparator arbeitet am 02.06.2017 Diplomingenieur Ralf Neubert in einem Labor für Tieftemperaturphysik am Institut für Festkörperphysik der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der hochempfindlichen Stromsensor wurde von Physikern der Uni Jena und des Helmholtz-Instituts Jena für die Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) entwickelt. Er soll in der Teilchenbeschleunigeranlage FAIR in Darmstadt zum Einsatz kommen. Foto: Jan-Peter Kasper/FSU

Jena (FSU/US) Sie sind die größten Forschungsanlagen überhaupt: Teilchenbeschleuniger, wie der Large Hadron Collider (LHC) am Europäischen Teilchenphysikzentrum CERN. Sie katapultieren geladene Teilchen auf extreme Geschwindigkeiten und lassen sie in gezielten Kollisionen aufeinander los. Treffen die winzigen Geschosse mit nahezu Lichtgeschwindigkeit aufeinander, entstehen andere Elementarteilchen, anhand derer sich grundlegende Fragen zum Aufbau von Materie und nicht zuletzt des Universums erforschen lassen.

„Solche winzigen und nur in geringer Zahl vorkommenden Teilchen zu detektieren, erfordert allerdings hochpräzise Messtechnik“, sagt apl. Prof. Dr. Frank Schmidl von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der Physiker und sein Team vom Institut für Festkörperphysik haben gemeinsam mit Kollegen des Helmholtz-Instituts Jena (HIJ), des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien Jena (IPHT), der GSI und Wirtschaftspartnern einen solch hochempfindlichen Sensor zur Strahlstromdiagnostik entwickelt, mit dem sich extrem kleine elektrische Ströme und damit Elementarteilchen, wie Ionen, Protonen oder Anti-Protonen, zerstörungsfrei und berührungslos messen lassen. Ein Vorläufer des Jenaer Messsystems ist bereits seit 2015 am CERN in Betrieb. Ein größerer Nachfolger ist jetzt an die im Aufbau befindliche internationale Teilchenbeschleunigeranlage FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research) der GSI in Darmstadt übergeben worden und soll noch in diesem Jahr vor Ort in Betrieb gehen.

Die Grundlagen der Jenaer Entwicklung beschreibt Prof. Schmidl: „Jedes geladene Teilchen, das sich bewegt, erzeugt ein Magnetfeld und dieses Feld lässt sich messen.“ Soweit so unspektakulär. „Im Falle einzelner oder nur in geringer Zahl vorhandener Elementarteilchen sind jedoch die induzierten Magnetfelder äußerst gering“, macht der Jenaer Physiker deutlich. Um diese extrem winzigen Änderungen des Magnetfelds im Beschleuniger aufzuspüren, die durch einzelne Teilchen verursacht werden, muss der entsprechende Sensor Ströme im Nano-Ampere-Bereich messen können.

Dass ihr Kryo-Stromkomparator dies zuverlässig gewährleistet, haben die Jenaer Physiker kürzlich bei der Übergabe ihres Messsystems an die GSI demonstriert. Herzstück des in der institutseigenen Werkstatt entwickelten und gebauten Messgerätes ist ein Quanteninterferometer – ein Ring von etwa 35 Zentimetern Durchmesser aus supraleitendem Niob, kombiniert mit einer ebenfalls supraleitenden Abschirmung. „Damit halten wir störende magnetische Hintergrundfelder ab, die die winzigen Änderungen im Magnetfeld, die wir messen wollen, ansonsten überlagern“, erläutert Dr. Volker Tympel vom HIJ.

Während seines Einsatzes steckt der Stromkomparator in einem mannshohen Metallbehälter. Denn: Um das Schwermetall Niob in den Zustand der Supraleitung zu versetzen – die Voraussetzung für die präzise Messung der extrem geringen Magnetfeldänderungen – muss es auf minus 269 °C (bzw. 4,2 Kelvin) abgekühlt werden. „Eine solche Temperatur kommt sonst nur in den Tiefen des Universums vor“, so Ingenieur Tympel. Mehrere Hundert Liter flüssiges Helium sind für jede einzelne Messung notwendig, um den Sensor auf Betriebstemperatur zu frosten.

Neben der hohen Empfindlichkeit hat die Jenaer Innovation einen weiteren Vorteil, der sie weltweit einzigartig macht. „Unser Kryo-Stromkomparator arbeitet zerstörungsfrei, das heißt für die Messung greift er nicht in den Teilchenstrom ein“, verdeutlicht Tympel. Dies mache das Messsystem insbesondere für den Einsatz zur Messung von Anti-Teilchen, wie Anti-Protonen interessant, wie sie in Darmstadt geplant sind. „Deren Erzeugung ist überaus aufwendig und die Ausbeuten gering, was eine empfindliche und die Strahlstärke nicht beeinflussende Messtechnik erforderlich macht.“

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