(Jena) Insekten sind sehr erfinderisch, wenn es darum geht, sich während der Paarung aneinander festzuhalten. Manche Arten verhaken ihre Beine oder Antennen ineinander, andere nutzen Saugnäpfe. Biologen der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben nun gemeinsam mit chinesischen Kollegen eine bisher völlig unbekannte, inzwischen ausgestorbene Insektenart entdeckt, die vor etwa 100 Millionen Jahren vermutlich eine äußerst exotische – und einzigartige – Methode nutzte, um beim Sex nicht getrennt zu werden. In der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Current Biology“ berichten die Entomologen über ihren Fund.

Mit der Gottesanbeterin verwandt

„Caputoraptor elegans“ heißt die neue, mit der Gottesanbeterin verwandte Art. An den Fossilien des Tieres, die die Wissenschaftler in einem Bernstein aus Burma entdeckten, fiel ihnen ein anatomisches Gebilde besonders ins Auge: „Am Kopf des etwa anderthalb Zentimeter großen Tieres befinden sich seitlich verlängerte, flügelartige Auswüchse, die perfekt mit Schneidekanten an der Schulterregion zusammenpassen“, beschreibt Dr. Benjamin Wipfler von der Universität Jena. „Wenn es also den Kopf hob und senkte, verhielten sich die beiden Körperteile wie die Klingen einer Schere.“ Aufgrund kleiner Zähne erinnere gerade der Teil am Thorax an eine Säge.
Auch wenn das Werkzeug auf den ersten Blick gefährlich anmutet und Ähnlichkeiten mit einer Waffe aufweist, so haben die Jenaer Insektenforscher gute Argumente gegen diese Vermutung und für eine andere Anwendungsart. „Das Tier war zwar definitiv ein Jäger, wie uns seine Kopfform und die großen Augen verraten“, erklärt Wipfler. „Aber das Werkzeug eignete sich aufgrund seiner Position an der Halsregion und seines geringen Öffnungswinkels überhaupt nicht für die Jagd und zur Verteidigung.“ Beutetiere würden mit dieser Körperpartie nicht in Berührung kommen. Haftstrukturen an den Beinen und die langen, ungeschützen Hinterflügel verraten den Forschern zudem, dass das Tier im Blattwerk von Bäumen lebte und sich vermutlich von Blattläusen ernährte. Die konnte es ohne großen Jagdaufwand mit den Kieferwerkzeugen einsammeln – eine spezielle Waffe oder Greifstruktur wäre nicht notwendig. Außerdem konnten die Augen des Caputoraptor das Scherenwerkzeug nicht sehen – es befand sich sozusagen in einem toten Winkel. Wenn ein Feind von hinten angriff, war die Schere zur Abwehr nutzlos.

Weibchen halten Männchen fest

Härchen an der Schulterklinge legen nahe, dass der Mechanismus auf Berührung reagierte – und zwar während der Paarung. „Wir gehen davon aus, dass bei der Kopulation zweier Tiere dieser Art das Weibchen auf den Rücken des Männchens kletterte und es dann mit dem Scherenmechanismus festhielt“, erklärt Wipfler. An den kurzen, harten Vorderflügeln konnten die Klingen sich gut verankern und den Griff stabilisieren. Das würde die Position des Werkzeugs perfekt erklären. Parallelen sehen die Forscher beispielsweise bei verwandten Schaben. Auch wenn die Paarung etwas anders verläuft, befindet sich das Weibchen bei diesen unbeliebten Insekten zunächst obenauf und die Männchen heben dabei ihre Vorderflügel.
Obwohl die Jenaer Insektenforscher von der Richtigkeit ihrer Interpretation überzeugt sind – ein Puzzlestück fehlt ihnen für den letztendlichen Beweis. „Leider haben wir bisher nur Weibchen und Jungtiere gefunden“, sagt Benjamin Wipfel. „Uns fehlt das männliche Gegenstück, um letztlich überprüfen zu können, ob alles zusammenpasst.“ Dass er bereits ein männliches Exemplar in der Hand gehalten habe, könne er nicht ausschließen, denn es sei möglich, dass nur die Weibchen das bisher hervorstechendste Merkmal der Gattung, nämlich das Scherenwerkzeug, aufweisen, und man so die Männchen einer anderen, ähnlichen Gattung zugeordnet habe.

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