Andrea Marlen Esser ist neue Professorin für Praktische Philosophie der Universität Jena

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Was ist Gerechtigkeit? Was bedeutet Freiheit? Wie geht die Gesellschaft mit Tod um? Es sind „die grundsätzlichen Fragen“, die Andrea Marlen Esser zur Philosophie gebracht haben. Dabei war sich die gebürtige Münchnerin noch während ihres Studiums der Philosophie, Psychologie und Politikwissenschaft nicht sicher, ob Wissenschaft oder Journalismus ihre Zukunft sein würde. Doch dann trat Immanuel Kant in ihr Leben und hat die inzwischen 51-jährige neue Philosophie-Professorin der Friedrich-Schiller-Universität Jena bis heute „gepackt“.

Der Magisterarbeit über den Freiheitsbegriff bei Kant und Rawls folgte 1994 die Promotion mit der Arbeit „Kunst als Symbol. Die Struktur ästhetischer Reflexion in Kants Theorie des Schönen“. Kants Tugendlehre wurde dann Thema ihrer 2002 abgeschlossenen Habilitation. Kants Theorie sage auch über den Menschen viel und sei nicht nur für „intelligible Überwesen“ konzipiert, wie vielfach behauptet werde. Der Königsberger Philosoph leite uns an, vorliegende Urteile zu kritisieren und eigene zu fällen. Und das kommt Prof. Dr. Andrea Marlen Essers (Bild, Foto Anne Günther/FSU) „Skepsis gegenüber dem vorschnellen Urteil“ sehr entgegen.

Doch so sehr Kant, dessen „Critik der Urtheilskraft“ sie gerade neu ediert, sie auch beeinflusst, das Themenspektrum der zierlichen Frau mit dem gewinnenden Lachen ist deutlich breiter: Über Organspende, Tod und Transmortalität forscht die engagierte Philosophin ebenso wie über die antiken Philosophen und Aufklärung, über Urteilskraft und Pragmatismus, Ethik und Hermeneutik. Dabei ist es der verheirateten Mutter eines inzwischen erwachsenen Sohnes wichtig, „in Diffusität Klarheit und Sicherheit zu bringen“ und ein Denken zu analysieren und zu lehren, das gerade nicht die Flucht ins Allgemeine und Abstrakte sucht, sondern sich an konkreten praktischen Problemen bewährt. Daher fordert sie auch von ihren Studierenden, „tatsächlich in Kommunikation mit anderen zu treten“. Die mündliche Erarbeitung und Diskussion von Gedanken und Argumentationen in Vorträgen und Diskussionen sind ihr „ausgesprochen wichtig“. Dadurch ermöglicht sie den interessierten Studierenden, ein kritisch, methodisch geleitetes Weiterdenken zu erlernen und anzuwenden.

Und die Anwendung steht am Ende allen Denkens für die neue Jenaer Lehrstuhlinhaberin für Praktische Philosophie – die in diesen Tagen übrigens schwimmend den Bosporus durchqueren will. Das zeigt auch Essers Lebenslauf, der sie – ergänzt um Stationen im In- und Ausland – von München zunächst auf eine Professur an die Hochschule für Gestaltung Pforzheim und dann an die RWTH Aachen führte: Ästhetik und Technik aus Philosophie-praktischem Blickwinkel. Doch sie zog es an eine klassische Universität und „wanderte“ 2006 nach Marburg, bevor sie in diesem Semester dann noch einmal an eine andere klassische Universität wechselte: an die Friedrich-Schiller-Universität. Deren Forschungsprofillinie „Liberty“ sowie das Institut für Philosophie mit seinem Schwerpunkt in der klassischen deutschen Philosophie passen, davon ist Esser überzeugt, ebenso zu ihr wie die Thüringer, die sie bei einem längeren Forschungsaufenthalt am Max-Weber-Kolleg kennenlernte. Sie sei schon angekommen in Jena, erklärt die Wissenschaftlerin glaubhaft, auch wenn sie noch regelmäßig zu ihrem Mann nach Frankfurt/M. pendelt – mit Urteilen kennt sie sich aus.