Bericht von einer Kaffeeüberraschungsfahrt nach Benshausen

0
1491


Es gibt Abenteuer, in deren Genuss die meisten Menschen erst im Alter kommen. Kaffeefahrten gehören sicherlich dazu. Männer sind hier Mangelware und die meisten Damen Witwen. Damit jüngere Semester erfahren, was einen in diesen ominösen Runden erwartet, hat sich Oscar-Redakteur David Ortmann auf eine Fahrt ins Blaue begeben. Hier folgt sein Bericht:    
Gertrud Hübner hat sich hübsch gemacht und Bluse, Hut und Rock  farblich gut abgestimmt. Die 90-Jährige wartet bereits, als Ewald Turba Punkt Zwölf mit seinem Pkw in die Straße Am Hermannstein in Schnepfenthal einbiegt. Sie ist äußerst gut gelaunt. Es ist ihr Tag im Monat. Reiseleiter Ewald Turba holt sie persönlich ab. Service. Gertrud Hübner fährt bereits seit 20 Jahren mit Herrmann Busreisen auf Tour. Die Schweiz und Italien gefallen ihr am besten. „Die Landschaft, die Menschen …!“ Die alte Dame beginnt zu schwärmen.  Aber in letzter Zeit nimmt sie nur noch an Tagesfahrten teil. „So wie heute“, erklärt sie und wünscht sich für den Tag eine hohe Männerquote, „weil die Frauen so steif sind.“
Einer von den göttlichen Knaben ist Ewald Turba (Foto): der Reiseleiter. Ein Entertainer, eine Mischung aus Karel Gott und Kai Pflaume – Schwiegermutters Liebling.  Der 58-Jährige ist bereits seit zehn Jahren für Herrmann Busreisen unterwegs. Ein Mann mit Erfahrung.
12.20 Uhr: Zwischenstopp in Schönau vor dem Walde. Der Busfahrer wartet schon. Reiseleiter Turba und die rüstige Rentnerin steigen zu. Hier dominieren 4711 und Toska. Es herrscht Clubatmosphäre und die Konversation findet im vertrauten Du statt. 
Nur Hannelore und Walter Zenkner, beide 71, sind zum ersten Mal dabei. Sie gehören zu den Postsenioren aus Gotha, die sich einmal im Monat in der Volkssolidarität treffen. Wie alle anderen im Bus wissen auch sie nicht, wo die Reise hingeht. Und es ist ihnen auch egal.
In Hohenkirchen steigt eine weitere ältere Dame mit brünett gefärbter Kaltwelle zu. Turba setzt sein „Kai Pflaume“-Lächeln auf. Das kommt an. Auch ein Herr in der dritten Reihe erhebt sich. Er freut sich schon. Die Dame auch. Christa Eisenhart fährt seit sieben Jahren mit. Die 81-Jährige hatte, nachdem ihr Mann gestorben war, einen Reisegutschein geschenkt bekommen. Seitdem ist sie dabei. Auch ihr ist egal, wohin die Reise geht. „Hauptsache von zu Hause weg.“ Für 20 Euro  fahren sie gemeinsam ins Ungewisse. 
Um 13 Uhr ist die Mannschaft vollzählig. Und Turba lüftet das Geheimnis. Es geht nach Benshausen. Ein Ort,  irgendwo im Nirgendwo zwischen Zella-Mehlis und Meiningen. Keiner der Mitreisenden ist jemals dort gewesen. Und Turba ist sich sicher: ein Volltreffer! Sein Geheimnis? Was so nah ist wie Benshausen, kennen viele nicht. Und hat viele Sehenswürdigkeiten, die kaum einer kennt. 
Dann verrät er den weiteren Ablauf. 14 Uhr Kaffeetrinken, danach Tanzvorführung. Anschließend kann, wer will, ins örtliche Heimatmuseum gehen. Und um 17 Uhr steht die Schlachteplatte auf dem Tisch. Die Stimmung im Bus ist ausgelassen. „Hört mal zu und schwatzt nachher weiter“, ruft Turba und erntet Beifall und hämisches Kichern. Es ist der gewohnte Spagat zwischen denen, die etwas wissen wollen und denen, die nur mitkommen, um sich zu unterhalten. Dann rollt er die Geschichte des Dorfes auf. 
14.10 Uhr. Ankunft im „Goldenen Hirsch“ in Benshausen. Die Meute eilt  die breite Eisentreppe nach oben und in den rustikalen Saal des Hauses.  Dann wird klar: Die Toiletten sind unten. Gedränge. Und die breite Treppe wird zum Nadelöhr. Im Saal hat währenddessen der Kampf um die besten Plätze begonnen. Ein Bild, das an die florierendsten Zeiten in der New Yorker Börse erinnert: Die Damen recken, dicht gedrängt, die  die Finger in die Luft, rufen und hüpfen.
Wer die Treppe passiert  und einen Platz ergattert hat, bekommt nun Kaffee. 
Dann folgt der Tanzverein: „Wir präsentieren original Thüringer Tradition“, verspricht ein Mann mit russischem Akzent. Jakob Klassen ist eigentlich Ballettmeister. Er hat an der Hochschule für Kultur in Novosibirsk studiert. Nun steht er hier in Benshausen vor 95 Rentnern, die mit einem Klatschkonzert beginnen, als die Kindergruppe des Vereins zu tanzen beginnt. Jakob Klassen kennt das und legt nach. Die Kinder strömen ins Publikum, suchen sich Tanzpartner und wenige Minuten später schwingen auch Michael Herrmann, der Chef von Busreisen Herrmann und Ewald Turba das Tanzbein, diesem läuft zwar der Schweiß von der Stirn, aber seine Augen funkeln. Wenn jetzt noch die Schlachteplatte in Ordnung ist, hat er wieder alles richtig gemacht. 

Oscar am Freitag, 25. März 2011