Der Landtagsabgeordnete Jörg Kellner nimmt Stellung

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Herr Kellner, Sie waren über 15 Jahre Chef der Verwaltungsgemeinschaft Nesseaue. Also Kommunalpolitiker. Seit 2009 sind Sie Mitglied des Thüringer Landtages. Was war die größte Umstellung für Sie?
Die zeitliche Abfolge, bis ein Ergebnis sichtbar wird. Das war anfänglich wirklich ein Problem für mich. In Themen, die aus Sicht des Kommunalpolitikers relativ schnell zum Ziel geführt werden könnten, wird erheblich mehr Zeit investiert. Und vor allem, dass im Gesetzgebungsverfahren wirklich jeder gehört muss, der nur im Entferntesten damit zu tun hat. Das hat sicherlich den Vorteil, dass jeder mitgenommen wird und das auch gefragt wird, welche Auswirkungen das entsprechende Gesetz hat. Es hat aber auch den Nachteil, dass alles sehr lange dauert.

Wie läuft denn die Zusammenarbeit in der Fraktion? Jeder für sich oder alle für einen?
Als Politiker ist man Einzelkämpfer und trotzdem Teamspieler. Jeder versucht, in seinem Bereich Akzente zu setzen. Ich bin in meiner Fraktion Sprecher für Kultur und das macht mir auch sehr viel Spaß. Es mir natürlich wichtig, dass ich bei Themen wie der Theaterlandschaft ein Stückweit mitgestalten kann.

Bleiben wir beim Theam Kultur: Umweltminister Jürgen Reinholz erklärte unlängst in Friedrichroda in gepflegter Stammtischatmosphäre, dass Thüringen die größte Theater- und Orchesterdichte der Welt hat. Und dass man genau prüfen müsse, ob man sich das wirklich leisten will…
Ich habe sowas von Minister Jürgen Reinholz noch nicht gehört, wenn es so wäre würde ich würde ich knallhart widersprechen. Da gibt es für mich überhaupt keine Diskussion: Wir reden nicht von Kultur, die Geld kostet. Wir reden von Identität weil sie unsere ist.Weil sie das Land Thüringen nach außen repräsentiert und ein riesiger Wirtschaftsfaktor ist. Bei den Tourismuszahlen hat die Kultur den Thüringer Wald bereits abgelöst. Wir haben also mehr Touristen, die kulturelle Veranstaltungen in Theatern und bei Städtereisen besuchen – als welche, die den Thüringer Wald besuchen. Und wenn wir diesen Faktor beschneiden, beschneiden wir die Einnahmen.

Die Frage bleibt, ob wir uns das so leisten können?

Wir haben natürlich die größte Theaterdichte der Welt – auf die Einwohner bezogen. Und was die Zuschüsse anbelangt stehen wir von allen Bundesländern an dritter oder vierter Stelle. Das hat natürlich auch mit der Historie zu tun. Bei der Hochkultur muss man wirklich dicke Bretter bohren. Das fängt ihm Kreis an, wenn es um die Philharmonie geht und endet im Land bei den Theatern. Wir geben zwei Prozent für Kultur aus. Wenn ich mir das nicht mehr leisten will und meine, damit den Haushalt zu retten, ist das absoluter Schwachsinn. Mehr noch: Wir schaden damit dem Land Thüringen.

Stichwort Thüringen Philharmonie. In der vergangenen Woche hat das Kultusministerium die ersten neuen Finanzierungsvereinbarungen veröffentlicht. Die Thüringen Philharmonie war nicht dabei. Ist das ein schlechtes Zeichen?

Ein schlechtes Zeichen ist das erstmal nicht. Aber es ist natürlich ein Achtungszeichen. Es gibt ja Verträge zwischen den Trägern, dem Land, den Kommunen und dem Landkreis. Und gibt es einen Entwurf, der so von den Kommunen nicht akzeptiert werden kann. Da spielt unter anderem auch der Flächentarif eine Rolle, dessen Mehrkosten die Kommunen ja mittragen sollen. Nur: Es kann nicht sein, dass das Land einen Flächentarif fordert, den die Kommunen dann zahlen sollen. Land und Kommunen sollten aufeinander zu gehen, dann ist das eine faire Lösung. Genau das habe ich auch dem Kultusminister gesagt.

Gibt es die Thüringen Philharmonie Gotha 2015 noch?

Ja. An mir wird es nicht scheitern.

Themawechsel: In der vergangenen Woche konnte man lesen, dass sich SPD und CDU angenähert haben, wie eine Gebietsreform erfolgen kann. Muss der Kreis Gotha fürchten, dabei zerschlagen zu werden?
Gotha ist der größte Landkreis in Thüringen und auch einer der Leistungsstärksten. Da habe ich also keine Bedenken. Dass wir uns strukturell verändern müssen, ist aber klar.

Als Landespolitiker werden Sie ja auch für Dinge verantwortlich gemacht für die Sie nichts können. Wie gehen Sie damit um?

Die Gesellschaft braucht immer jemanden, an dem sie sich reiben kann. Sie braucht dafür auch ein Gesicht: Wer ist dafür verantwortlich, wer ist schuld? Der Bürger braucht ja jemanden, mit dem er über das Problem sprechen kann. Dem er auch etwas anlasten kann aber der dann auch die Möglichkeit hat, etwas zu verändern. Deshalb habe ich mit Kritik kein Problem.

Sie gelten als ein Mann mit Kante. Das hat Ihnen auch schon einige Niederlagen eingehandelt. Zum Beispiel bei der Wahl zum stellvertretenden CDU-Kreisvorsitzenden oder bei der Wahl zum Bürgermeister ihres Heimatortes Zimmernsupra. Wenn Sie heute zurückblicken, welche Niederlage hat ihnen am meisten geschmerzt?

Wenn man antritt, um sich um ein Amt zu bewerben, ist jede Niederlage bitter. Egal ob das als stellvertretender Kreisvorsitzender ist oder als Bürgermeisterkandidat in der eigenen Gemeinde. Jede Niederlage ist schmerzlich. Man muss danach analysieren woran es gelegen hat. Das mache ich dann auch. Inwieweit man dabei selbstkritisch ist oder ob man noch ein bisschen Abstand gewinnen muss, ist eine andere Frage. Bei dem einen geht es schneller, bei dem anderen dauert es länger. Ich nehme an, dass ich mich im Mittelfeld befinde.

Eine letzte Frage: Welche Themen müssen bis zur nächsten Landtagswahl abgeräumt werden?
Ich hoffe, dass wir für die Kultur über das Jahr 2016 hinaus Stabilität haben. Das muss das Ziel sein. Damit dieser Wirtschaftsfaktor Kultur nicht jeweils von jeder Regierung neu auf den Prüfstand gestellt wird. Und es keine Verunsicherung gibt. Neben der Haushaltskonsolidierung, die über allem steht, haben wir auch die Energiewende eingeleitet, die uns auch in den kommenden Jahren beschäftigen wird. Vor allem auch, was die Windenergie anbelangt. Außerdem muss die Polizeireform muss abgeschlossen werden. Wir müssen mehr Polizisten auf die Straße bekommen.

Sie waren selbst über 15 Jahre Kommunalpolitiker. 2009 haben Sie die Seite gewechselt, seit dem sitzen Sie im Landtag. Haben Sie Verständnis für die Probleme der Kommunen oder sagen Sie: „Alles nur Getöse!“?
Ich kenne die finanzielle Situation des Landes Thüringen und weiß, dass es nicht unverschuldet in dieser Situation ist. Dies muss man fairer Weise sagen. Der Freistaat Thüringen hat sich auch unter der CDU-Alleinregierung viel erkauft. Und hat damit auch viel befriedet. Zum Beispiel in der Thematik Wasser und Abwasser. Die Ruhe wurde mit viel Geld erkauft. Wohl wissend, dass es bis 2020 große Einschnitte geben wird. Allein 100 Millionen Euro weniger aus dem Solidarpakt, außerdem werden die EU-Mittel zurückgefahren. Bis 2020 hat das Land rund zwei Milliarden Euro weniger zur Verfügung. Und jetzt beginnen wir endlich zu sparen. Aber es hilft überhaupt nichts, wenn die Kommune sagt, ihr seid die, die uns über den Tisch ziehen wollen, wir brauchen mehr Geld. Wir können am Ende eben nicht mehr ausgeben, als wir haben. Land und Kommunen müssen beide diese Aufgabe lösen. Nur das hilft dem Bürger weiter.

Die Bürgermeister haben konkrete Anliegen. Zum Beispiel die Finanzierung der Kindertagesstätten. Sie sagen, das neue Kita-Gesetz sei nicht ausfinanziert.
Das Land Thüringen gibt für Kindertagesstätten über 500 Millionen Euro aus. Das ist bundesweit die absolute Spitze. Ich habe bei meiner Verwandtschaft in Hessen und Nordrhein-Westfalen ein schlechtes Gewissen, wenn ich darauf angesprochen werde. Wir leisten uns sehr viel. Das ist ja auch richtig. Vorschulische Bildung ist ja wichtig. Das Kitz-Gesetz ist nach meinem Kenntnisstand ausgiebig finanziert. Die Mittel sind im Kommunalenfinanzausgleich enthalten. Ab 2012 wird eine Spitzabrechnung der Kita-Kosten durchgeführt und danach können wir erst feststellen, ob die Finanzierung auskömmlich ist.

Ärgern Sie sich da als langjähriger Verwaltungschef oder sagen Sie, ich hätte es genauso gemacht?
(lacht.) Ich weiß es nicht, das kann ich heute nicht beantworten. Das muss ich ehrlich sagen. Wenn man sich mehr mit einem Thema beschäftigt, wird man sicherlich auch zu einem anderen Ergebnis kommen. Wie jeder andere auch, durchlebe auch ich einen Lernprozess.

Was halten Sie von der Energiewende?
Ich halte den Atomausstieg nicht erst seit gestern für wichtig und richtig. Erstmal ist Uran ein endlicher Rohstoff, zweitens gibt es für diese Energiegewinnung in der Bevölkerung keine Akzeptanz und drittens muss man auch die Folgekosten sehen, die immer ausgeblendet werden. Was ich an der Stelle bemängele ist, dass man einen Termin vorgibt. Das man sagt 2019 gibt es keine Atomenergie mehr und alles ist so, wie bisher. Das ist unehrlich. Ich hätte mir gewünscht, dass man diesen Korridor nicht so starr macht. Und so schnell wie möglich alternativen zu Atomenergie aufzeigt.

Zur Kreispolitik: Wenn Landrat Konrad Gießmann im nächsten Jahr zur Landratswahl nicht kandidieren würde, ständen Sie als Kandidat zur Verfügung?

Ich gehe davon aus, dass der Landrat kandidieren wird. Und er wird es auch rechtzeitig mitteilen.

Im kommenden Jahr stehen die nächsten Landratswahlen an. Landrat Konrad Gießmann verliert derzeit im Kreistag alle wichtigen Abstimmungen. Angenommen, er würde 2012 wieder gewählt, glauben Sie, dass er dann noch sechs Jahre so weiter arbeiten will?

Es sind ja keine sechs Jahre sondern nur zwei Jahre. Die nächsten Kreistagswahlen stehen schon 2014 an. Dann werden die Karten neu gemischt. Wie die Mehrheitsverhältnisse dann im Kreistag aussehen, weiß ich heute nicht. Ich hoffe natürlich, dass die CDU eine stabile Mehrheit erhält. Und derzeit: Wir leben von Kompromissen. Die Frage ist ja nur, wie man die erreicht. Ich habe mich oft mit den Vorsitzenden der anderen Fraktionen verständigt. Diese haben dann aber dann zu den Kreistagssitzungen andere Anträge eingebracht. Das ist nicht ganz fair. Das ist aber mittlerweile die Regel geworden. Natürlich ist es auch politischen Kalkül heraus nachvollziehbar, wenn die anderen Fraktionen darstellen können, was sie denn tolles machen. Aber es bringt dem Landkreis nicht unbedingt etwas.

Vielen Dank für das Gespräch!

Erschienen im Oscar am Freitag am 29. Juli 2011