Ein ungewöhnlicher Dienstposten

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Was ein Polizist so zu tun hat, ist landläufig bekannt. Er fährt Streife, nimmt Unfälle auf, ist als erster an einem Tatort, schlichtet Streit zwischen Nachbarn oder auch innerhalb einer Familie und vieles andere mehr. Dieses Bild kennt der Bürger.

Ein anderes Bild kennen aber meist nur unsere Kinder in den Grundschulen. Der Polizist als Lehrer. In der 1. Klasse und in der 4. Klasse haben unsere Kinder regelmäßigen Kontakt mit einem Polizeibeamten. Ist es in der 1. Klasse die Fußgängerausbildung, ist in der 4. Klasse die Fahrradausbildung Thema des Unterrichtes.

In der Polizeiinspektion Gotha gibt es zwei Verkehrserzieher, Polizeihauptmeister Dietmar Seydel und Polizeihauptmeisterin Doris Wilhelm. Mit beiden hat Polizeihauptkommissarin Karin Köhler, deren Vorgesetzte sie ist, ein Gespräch zur Verkehrserziehung geführt.

KK: Vor längerer Zeit habe ich euch beide ja schon mal während eures Verkehrsunterrichtes in der 1. und 4. Klasse besucht. Ich war sehr beeindruckt und gestehe, dass ich nicht so eine Geduld mit den doch sehr lebhaften Kindern aufbringen könnte. Was sind eigentlich eure Aufgaben.

Seydel: Unsere wesentlichste Aufgabe ist die Verkehrserziehung an den Grundschulen. Dafür gibt es die Jugendverkehrsschule, eine stationäre in Gotha, in der Brunnenstraße. Und eine mobile, die einen hervorragenden Verkehrsübungsplatz in der Grundschule Georgenthal nutzt. Das richtige Verhalten im Straßenverkehr ist für unsere Kinder sehr wichtig. Die geringe Anzahl von Schulwegunfällen in den vergangenen Jahren beweist, dass die Kinder das Gelernte auch anwenden können.

KK: Darauf könnt ihr mit Recht stolz sein. Gibt es für die Verkehrserziehung an den Schulen Vorgaben?

Wilhelm: Die Verkehrserziehung an den Grundschulen ist Bestandteil im Thüringer Lehrplan, nach dem die Schulen ihren Unterricht ausrichten müssen. Es gibt Lerngebiete, die im Verkehrsunterricht durchgenommen und von uns vermittelt werden.

KK: Welche sind das?

Wilhelm: Das geht schon in der 1. Klasse los mit der Fußgängerausbildung. Die Kleinen lernen, wie sie sich beim Überqueren der Fahrbahn verhalten müssen. Im Klassenzimmer wird das Überqueren der Straßen an gesicherter (z. B. Zebrastreifen) und ungesicherter Stelle erklärt. Später müssen die Kinder das Gelernte auf der Straße üben.

KK: Was genau lernen die Kinder?

Seydel: Die Kinder lernen, dass sie an der Haltekante stehen bleiben müssen …

KK: Moment, Haltekante?

Seydel: (lacht) Wir verwenden diesen Begriff, weil er sich den Kindern besser einprägt als Bordsteinkante. Er soll durch die Verwendung des Wortes „Halt“ klar machen: hier muss ich stehen bleiben. Stehen die Kinder erstmal, muss nach links – rechts – links geschaut werden. Dann die Straße betreten, in der Mitte noch mal nach rechts schauen und zur anderen Fahrbahnseite gehen. Die Kinder sollen nicht rennen, sondern zügig und gerade die Straße überqueren. Rennen verleitet zur Unaufmerksamkeit. Wichtig ist auch, dass die Kinder die Hände nicht in den Taschen haben, damit die Kinder im Falle eines Sturzes schnell wieder aufstehen können. Den Kindern wird auch beigebracht, dass sie nicht zwischen parkenden Autos auf die Straße laufen sollen und warum.

KK: Bekommen die Kinder für die Fußgängerausbildung eine Zensur?

Wilhelm: Nein, das nicht. Obwohl ich es öfter gerne tun würde (schmunzelt). Die Kinder bekommen eine Urkunde „Geprüfter Fußgänger“.

Seydel: Seit nunmehr zwei Jahren bekommen die ABC-Schützen zum Schuljahresanfang von einem großen Automobilclub gelbe Warnwesten geschenkt. Das ist ein ganz tolle Sache! Zusätzlich zu den Reflektoren an den Schultaschen werden die Kinder gerade in der dunklen Jahreszeit besser von Autofahrern gesehen werden.

Doch leider stelle ich immer häufiger fest, dass diese Westen in den Tiefen der Ranzen verschwinden oder zu Hause im Schrank liegen. Es gibt sicherlich nicht wenige Eltern, die Mitglied in diesem Automobilclub sind, die diese Westen verschenken. Ich finde es traurig, dass einige Eltern der Sicherheit ihrer Kinder so wenig Stellenwert beimessen. Bei den Eltern muss das Auto die bestmöglichste Ausstattung haben, aber die „Ausstattung“ ihrer Kinder ist seit ihrer Geburt unveränderbar. Wir können aber die Gegebenheiten zum positiven verbessern, indem etwas zur Sicherheit hinzugefügt wird. Die Kinder haben im Winter dunkle Sachen an, die Reflektoren an den Ranzen sind blind oder fehlen ganz. Die Westen sind hingegen bestens geeignet, die Kinder zeitig zu sehen und so schwere Unfälle zu vermeiden.

KK: Vergessen die Kinder bis zur 4. Klasse nicht vieles wieder?

Seydel: Leider ja, wie erst kürzlich ein Unfall eines 11-Jährigen beweist, der mitten zwischen parkenden Autos auf die Straße direkt vor einen Bus lief.

Wilhelm: Das kann ich bestätigen. Solange das Wissen über richtiges Verhalten im Straßenverkehr von den Eltern nicht regelmäßig gefordert und auch vorgemacht wird, gerät es in Vergessenheit. Wir müssen oft bei Null wieder anfangen.

Die meisten Kinder können in der 4. Klasse schon Fahrradfahren. Das ist auch gut so, denn es erleichtert uns die weitere Ausbildung. Aber immer wieder stellen wir fest, dass einige Kinder motorische Defizite haben. Sie können nicht einhändig fahren. Das ist aber wichtig, um z. B. die Fahrtrichtungsänderung anzeigen zu können. Oder den Kopf während der Fahrt nach hinten drehen, um zu schauen, ob von hinten jemand kommt und dabei aber auch noch die Fahrspur halten. Dieses Umschauen kennt der Autofahrer als Schulterblick.

KK: Wie läuft die Fahrradausbildung ab?

Seydel: Ganz klassisch wie eine Fahrschulausbildung. Zuerst kommt die Theorie, dann die fahrpraktischen Übungen und dann eine Prüfung.

KK: Eine Prüfung?

Wilhelm: Selbstverständlich eine Prüfung! Die Kinder üben auf dem Verkehrsübungsplatz das Fahrradfahren im öffentlichen Straßenverkehr. Auch wenn das ein sog. geschützter Raum ist, sind das doch reale Bedingungen. Es gibt Straßen, Verkehrsschilder, Fußgängerüberwege, Verkehrsinseln. Wie auf einer echten Straße. Nachdem die Theorie und Praxis absolviert ist, kommt die Prüfung. Man kann das schon mit einer echten Fahrschulprüfung vergleichen. Bei bestandener Prüfung bekommen die Kinder ein Zertifikat. Dieses Zertifikat ist später wichtig, wenn die Schulklasse eine Radwanderung machen möchte. Denn nur der Schüler, der erfolgreich an der Fahrradausbildung teilgenommen hat, darf an einer solchen Radwanderung teilnehmen. Das ist im Amtsblatt des Thüringer Kultusministeriums Nr. 2/93 eindeutig so geregelt.

Seydel: Die Kinder lernen aber auch, was alles an einem verkehrssicheren Fahrrad vorhanden sein muss.

KK: Und das wäre?

Seydel: An ein verkehrssicheres Fahrrad gehören: Vorder- und Hinterradbremse, weißer Frontreflektor, roter Rückstrahler, gelbe Speichenreflektoren im Vorder- und Hinterrad, gelbe Rückstrahler in den Pedalen, eine funktionierende lichttechnische Einrichtung mit Dynamo und selbstverständlich auch eine Klingel.

Leider sind die Erwachsenen bei der Verkehrssicherheit ihrer Fahrräder keine Vorbilder. Das hat sicherlich schon jeder von uns gesehen, dass die Fahrräder nicht über die erforderliche technische Ausstattung verfügen. Da wird im Dunkeln ohne Beleuchtung gefahren, die Speichenreflektoren fehlen usw. Es ist einfach uncool, ein verkehrssicheres Fahrrad zu benutzen. Viel cooler ist es aber, als Fahrradfahrer sicher durch den Straßenverkehr zu kommen. Aber es gibt auch die leider viel zu wenigen positiven Vorbilder. Wie z. B. die Radfahrer, die sogar eine Warnweste tragen, um gesehen zu werden. Das finde ich Klasse.

Wilhelm: Um auf die Fahrradausbildung zurückzukommen: die Kinder dürfen während der Fahrradausbildung nur mit Fahrradhelm fahren. Ohne kommt bei uns kein Kind aufs Rad. Aber keine Sorge, wir haben immer ausreichend Fahrradhelme für die Kinder parat. Es muss niemand daneben stehen und zuschauen, wie die Klassenkameraden Fahrradfahren.

Wünschenswert ist es, dass die Kinder später, wenn sie allein mit dem Fahrrad unterwegs sind, auch einen Fahrradhelm tragen. In diesem Fall schließe ich mich meinem Kollegen Dietmar Seydel an: die Vorbildwirkung der Erwachsenen ist wichtig. Tragen die Eltern einen Fahrradhelm, tragen ihn die Kinder auch.

KK: Vielen Dank für das Gespräch und ich wünsche euch beiden noch viel Erfolg bei eurer Arbeit in der Verkehrserziehung in den Schulen.


H&H Makler