Neue Forschungsgruppe der Universität Jena nimmt ihre Arbeit auf

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„246“ – Ein einziger kurzer Blick genügte Raymond alias Dustin Hoffman im Hollywood-Klassiker „Rain Man“, um die exakte Anzahl an Zahnstochern zu erfassen, die aus einer Packung gefallen war und nun kreuz und quer am Boden lag. In einer einzigen Nacht prägte sich der Autist mit einer sogenannten Inselbegabung ein halbes Telefonbuch ein und seine erstaunlichen Fähigkeiten im Kartenzählen verhalfen ihm und seinem Bruder in den Casinos von Las Vegas zu vielen tausend Dollars. Soweit das Drehbuch aus Hollywood.

Die Realität von Menschen mit einer autistischen Symptomatik sieht jedoch meist anders aus. „Die wenigsten Betroffenen verfügen über solch ungewöhnliche Fähigkeiten“, betont Dr. Daniela Schulze-Henning von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Insofern gebe der Film kein typisches Bild eines an Autismus leidenden Menschen wieder. Andere Symptome wie Defizite im sozialen Umgang mit Mitmenschen und in der Kommunikation oder repetitives Verhalten seien aber sehr wohl charakteristisch für dieses Krankheitsbild. Vor allem eine möglichst frühzeitige Diagnose sei wichtig, um den Betroffenen helfen zu können, so die Psychologin weiter.

Das Verständnis für die Symptomatik sowie die Ursachen von Störungen des autistischen Spektrums (ASS) zu verbessern, ist daher das Ziel der neuen Forschungsgruppe, die zum Thema Autismus an der Jenaer Uni ihre Arbeit aufgenommen hat. Die Forschungsgruppe, zu der auch Dr. Schulze-Henning gehört, ist im Institut für Psychologie auf Initiative des Lehrstuhls für Allgemeine Psychologie entstanden. Im Rahmen der DFG-Forschergruppe „Person Perception“ soll die derzeit noch kleine Gruppe von Wissenschaftlern künftig Teil eines interdisziplinären Forschungsnetzwerks zur Personenwahrnehmung und Sozialen Neurowissenschaft werden.

Schätzungen zufolge sind in den westlichen Industrieländern von 1.000 Einwohnern etwa sechs bis zwölf Menschen von ASS betroffen. „Unser Ziel ist es, normale und veränderte Prozesse der Personenwahrnehmung und sozialen Kognition besser zu verstehen, um soziale Potenziale bei Menschen mit Autismus besser zu nutzen“, erläutert Prof. Dr. Stefan Schweinberger. Der Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Psychologie leitet die neue Forschungsgruppe gemeinsam mit Dr. Dana Schneider und Dr. Daniela Schulze-Henning. Der Gruppe gehören weitere Forscher aus Jena sowie internationale Experten als assoziierte Mitglieder an.

Ihre Ziele und wissenschaftlichen Ansätze wollen die Forscher der Jenaer Universität am kommenden Freitag Fachkollegen, aber auch der interessierten Öffentlichkeit vorstellen. Dazu laden die Mitglieder der Forschungsgruppe Autismus zu einer Vortragsveranstaltung am 12. Dezember um 10 Uhr in die Rosensäle der Universität (Fürstengraben 27) ein. In einem Festvortrag spricht die Kinder- und Jugendpsychiaterin PD Dr. Louise Poustka (Zentralinstitut für seelische Gesundheit, Mannheim) über Autismusforschung bei Kindern und Jugendlichen. Weitere Themen betreffen die Diagnostik, Interventions- und Trainingsmöglichkeiten, Autismusforschung bei Erwachsenen sowie Fragen der Lebensqualität und Inklusion.