Pettersson und Findus – Kleiner Quälgeist, große Freundschaft

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Marianne Sägebrecht (68) war medizinisch-diagnostische Assistentin, Wirtin und Kabarettistin, bevor sie mit 38 Jahren ihren ersten Film drehte. Als Hauptdarstellerin in Percy Adlons Werken „Zuckerbaby“ und „Out Of Rosenheim“ erlangte die gebürtige Starnbergerin schnell auch internationale Popularität. In Danny DeVitos Kassenschlager „Der Rosenkrieg“ hinterließ Sägebrecht neben Michael Douglas und Kathleen Turner bleibende Eindrücke. Der Familienfilm „Pettersson und Findus – Kleiner Quälgeist, große Freundschaft“ zeigt die bodenständige Schauspielerin in der Paraderolle der großherzigen Nachbarin Beda.

Frau Sägebrecht, waren „Pettersson und Findus“ alte Bekannte für Sie?

Ja, natürlich. Ich habe ihre Geschichten immer meiner Enkelin vorgelesen. Als man mich fragte, ob ich diesen Film machen möchte, war das für mich ein großes Glücksgefühl. Der Regisseur Ali Samadi Ahadi, eine große Seele, wollte mich von Anfang an für die Rolle und meine Tochter hat gesagt: „Marianne, das ist wieder genau das Richtige für Dich! Das könntest ja fast Du sein.“. Für Autor Sven Nordqvist ist Pettersson der Großvater in all seiner Weisheit und Findus das Alter Ego eines Enkels. Er darf beim Großvater sein, er darf ihn alles fragen, alles machen und lernen – und auch mal über die Stränge schlagen. Der Großvater hat Gesellschaft, die ihn spiegelt und aufmuntert. In diesen Zeiten, in denen schon die Filme für Kinder oft sehr gewalttätig sind, ist das etwas sehr Schönes.

Was muss man mitbringen, um Sie für ein Filmprojekt zu begeistern?

Die Nachbarin Beda lebt in einer totalen Selbstverständlichkeit allein. Allein zu leben ist sehr schwer, ich mache das ja auch seit 35 Jahren. Aber ich habe meine Tiere und am Wochenende natürlich die Kommunikation mit meinen Freunden und meiner Familie. Trotzdem lebe ich allein und ich finde es wichtig, dass man das kann. Beda kümmert sich um diese beiden Herren und das Kätzchen. Sie teilt mit ihnen. Ich bin gelernte medizinisch-diagnostische Assistentin und schreibe auch Bücher. Ich habe neun Jahre lang bei einem wunderbaren Mediziner gelernt, der schon in den 60-ern ganzheitlich therapiert hat und auch ein Philosoph war. In meinen Büchern schreibe ich in seinem Sinne. Das kann der Leser annehmen oder auch nicht. Ich kann auch keine Filme machen, die meine ethische Grundeinstellung schmerzhaft verletzen. Die Worte, die über meine Lippen gehen, sind fest in der Welt verankert. Ich spiele nur dann eine Giftmischerin, wenn der Film die ganze Wandlung darstellt und zeigt, wie man durch seelische Verletzung so wird. Von Natur aus böse Menschen gibt es für mich nicht. Das Klischee einer Mörderin würde ich nicht spielen. Ich mag lieber Menschen aus dem Volk, so wie die Marga Engel, die sich nichts gefallen lässt.

In „Lorenz im Land der Lügner“ haben Sie bereits mit imaginären Kollegen gearbeitet. Ist das eher Spaß oder eher Stress?

Es ist sehr, sehr anstrengend. Der Regisseur hat zu den Leuten von der Technik gesagt: „Die Marianne kann das ja, das gibt´s ja nicht!“. Ich hatte mit „Lorenz im Land der Lügner“ wirklich eine fantastische Vorübung. Ich liebe diesen Film über alles. In der Praxis muss man sich den Raum vorstellen, den der animierte Findus später einnimmt. Dort platziert man einen blauen Ball, der natürlich viel kleiner als das Kätzchen ist. Es ist Millimeterarbeit, da nicht herauszukommen, eine große Herausforderung. Aber ich liebe so etwas. Man lernt auch nach dreißig Jahren nie aus. Das ist doch schön.

Glauben Sie, dass das Kino allgemein durch Spezialeffekte an Magie gewonnen oder verloren hat?

In „Pettersson und Findus“ gibt es uns drei Erwachsene, die Tiere sind echt und alles ist voller Leben. Die Mugglas (auch „Mucklas“), die kleinen Hausgeister, und Findus sind animiert und das finde ich wunderbar. Viele große Animationsfilme, zum Beispiel von Disney, sind ja auch wunderbar. Wenn man in Krimis nach amerikanischer Art am Ende nur noch Explosionen hat und Autos durch die Luft fliegen, wird es für mich schwierig. In Science Fiction-Filmen müssen Spezialeffekte natürlich erlaubt sein. Wenn die Handlung und die Menschen hinterherhinken und Action und Spezialeffekte überhand nehmen, sehe ich das kritischer. Aber es gibt natürlich viele junge Menschen, die das so wollen. Ich glaube aber, dass das immer nur für eine Weile so ist. In unserem Alltag passiert nicht mehr so viel. Obwohl wir eigentlich alles haben, sind wir eingesperrt. Mit den ganz elementaren Dingen kommt man nicht mehr so oft in Berührung. Deshalb sind dieses Knallen, das Explodieren und das Feuer wahrscheinlich eine Ersatzhandlung. Das gibt sich irgendwann auch wieder.

Auf der Berlinale war Ihr neuer Film „Der Kreis“ erfolgreich. Worum geht es?

Es ist ein Dokumentarfilm mit Spielfilm-Sequenzen. Es geht um zwei homosexuelle Männer, die seit 50 Jahren zusammen sind. Der Film zeigt die Verfolgung Homosexueller in der Schweiz bis in die 1970-er Jahre. Es ist ein stiller, emotionaler Film mit vielen spannenden Momenten. Der Regisseur Stefan Haupt hat eher traditionell gearbeitet. Es geschieht ein Mord, jemand schlägt eine Flasche auf – und Schnitt. Der Zuschauer vollzieht das Bild in sich selbst, jeder sein eigenes. Das ist hochdramatisch und spannend und viel berührender als eine minutiöse Darstellung des Verbrechens. Der Film hat den Publikumspreis und den Teddy Award gewonnen, das Publikum war sehr berührt. Ich glaube, dass die Menschen eine Sehnsucht danach haben, dass es ruhiger wird, dass man wieder Gefühle zulässt. Man kann trotzdem spannende Geschichten erzählen. Alles hat seine Zeit. Irgendwann hat man keine Lust mehr darauf, dass dem Kommissar die Zunge herausgeschnitten wird oder dieser in der Pathologie einen Toten schlägt. Es geht doch nur immer darum, was man noch machen kann. Wo kann man noch etwas draufsetzen? Das funktioniert auf Dauer nicht. Meine Hoffnung ist, dass es zu einer Katharsis kommt und die Menschen innerlich wieder ein bisschen ruhiger werden und sich die Welt entschleunigt.

Der Film ist eine Schweizer Produktion. Mit welchen Gefühlen haben Sie das Abstimmungsergebnis zur Zuwanderung verfolgt?

Wenn in Frankreich Menschen gegen Homosexualität auf die Straße gehen, sieht man nur einen Pulk. Man erkennt nicht, wer das eigentlich ist. Wo kommen die her? Ist das eventuell inszeniert oder sprechen sie für sich selbst? Sie sind namenlos, so wie in diesen Internet-Petitionen. Es muss nicht immer so sein, wie es zuerst aussieht. Es könnte auch von einer rechten Gruppe gesteuert sein. In der Schweiz haben 51 Prozent für eine Begrenzung gestimmt. Nun weiß man aber auch, dass dort bereits eine große, multikulturelle Gesellschaft besteht. Wer bei einer Abstimmung keine Stimme abgibt, ist selbst Schuld. Er wird automatisch gezählt. Mit zunehmendem Alter nimmt man nicht mehr alles einfach hin, sondern man schaut hinter die Strukturen und sucht die eigentlichen Gründe. Dann schauen die Dinge oft anders aus.

Zum Beispiel?

Die Medien zeigen uns immer nur die sogenannten „Proll“- oder die „Alkohol“-Kids. Durch meine Enkelin erlebe ich eine ganz andere Wahrheit. Viele Studenten machen nach dem Studium ein freiwilliges soziales Jahr. Die Jugendlichen gehen raus in die Welt, nach Argentinien oder Neuseeland. Sie kommen mit Sprachen zurück und mit Toleranz. Begriffe wie „Metrosexualität“ oder „Ökumene“ sind für sie völlig selbstverständlich. Die Jungen leben uns das vor, auch wenn ich oft verlacht werde, wenn ich das sage. Die Problemkinder gibt es natürlich auch, wenn man sich nicht um den Nachwuchs kümmert. Man darf es nicht zulassen, dass die Kinder auf der Straße sind, man muss ihnen etwas anbieten und sich um ihre Bildung bemühen. Aber ich glaube, die Bereitschaft vieler Menschen, ehrenamtlich etwas zu tun, ist sehr groß. Man muss sich gegenseitig helfen und nicht darauf warten, dass es der Staat allein stemmt.

Wie sieht das in Ihrem persönlichen Umfeld aus?

Ich lebe auf dem Land, als Promi-Tussi in einem kleinen Dorf. Hier bin ich seit zehn Jahren und alles hat sich sehr schön eingefügt. Man muss Respekt vor den Menschen haben und darf nicht versuchen, ihnen die eigene Meinung aufzubürden. Ein Mann hilft mir beim Heckeschneiden, seine Frau ist unsere Kuchenkönigin und macht die tollsten Kuchen. Ich rühre für sie die Werbetrommel. Als wir uns über einen Todesfall unterhalten haben, habe ich gesagt, ich glaube, dass der Tag, an dem man kommt und die Stunde, in der man geht, bereits geschrieben sind. Den Weg selbst kann man nicht bestimmen, aber seine Breite und Tiefe. Da sagt er: „Das glaube ich auch. Im ersten Windelschiss ist die ganze Lebensgeschichte drin.“. Ist das nicht herrlich? Ich habe gleich gefragt, ob ich das für mein Buch verwenden darf. Wir sind alle noch per Sie, das ist auch wichtig. Zuviel Intimität wäre nicht gesund. Man hat mir schon versprochen, mir eine kleine Gedenktafel zu widmen, wenn ich eines Tages in dem Ort sterben werde. Das ist so schön, mir kommen da die Tränen! Viele meiner Berufskollegen lachen mich dafür ironisch aus. Für die wäre das gar kein Ding, sie leben lieber in ihren Schickimicki-Hochburgen.

Die Fragen stellte André Wesche.