Tagesdienst, verantwortlicher Redakteur: David Ortmann

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,

können Sie sich noch an den Tag 10. November 1989, den Tag nach der historischen Grenzöffnung erinnern?
Ganz ehrlich. Ich kann mich nicht erinnern! Ich war zur „Wende“ sechs Jahre alt – und anscheinend an anderen Dingen interessiert.

Ob dieser Tag, immerhin nach Jahrzehnten der erste Tag in „Freiheit“, anderen in Erinnerung geblieben ist? Ich hab mich mal umgehört:

Frauke Köttner, Tagesgruppenleiterin Internationaler Bund aus dem Leinatal: „Ich habe die Nachrichten vom Vortag nicht geglaubt. Ich hatte Frühdienst in der Klostermühle. Die Kollegen waren alle da. Und ich habe das einfach nicht geglaubt. Jeder hatte Angst, dass er nicht mehr rüberkommt. Jeder dachte die machen die Grenzen gleich wieder zu. Also wurden die Schichten im Dienstplan getauscht. Ich bin erst im Dezember rüber.“

Michael Brychcy, Bürgermeister der Stadt Waltershausen: „Ich war am 9. November ungefähr bis 22 Uhr im Rathaus. Als ich Heim kam, habe ich mir eine Flasche Bier aufgemacht und dann habe ich Nachrichten geguckt. Was ich da auf den drei oder vier Sendern, mehr gab es ja damals nicht, gesehen habe, war unglaublich. Die Menschen an der Grenze und immer wieder diese Szene mit Günther Schabowski. Ich habe mir das bis ein Uhr Nachts angesehen und als ich am nächsten Morgen aufgestanden bin, habe ich gleich das Radio angemacht, um zu hören, ob die die Grenzen wirklich aufgemacht haben. Und da kamen die gleichen Nachrichten wie in der Nacht.
Als ich am 10. November ins Rathaus kam, wurde mir schon von allen Seiten berichtet, dass die Leute nicht an die Arbeit kommen. Viele haben einfach die Schicht geschwänzt, sind einfach nicht ins Gummi-Werk oder ins Fahrzeugwerk, sind einfach ins Auto gestiegen und in den Westen gefahren.  Auch die Schulklassen waren nur noch halb voll. Im Rathaus waren eigentlich alle noch da. Aber ich glaube spätestens am 11. November war auch das nur noch halb voll. Ich habe da aber auch nichts gesagt, ich konnte das schon verstehen. Diese Euphorie, endlich über die Grenze. Und als dann bekannt wurde, dass es auch noch Begrüßungsgeld gab, konnte man eh keinen mehr halten. Endlich mal das kaufen, was man im Intershop nur riechen konnte.“

Conni Winkler, Mitarbeiterin Oscar am Freitag Jena: „Als ich am Morgen aufgestanden bin,  wussten meine Eltern noch nichts. Ich habe das Radio angemacht. Und die neuesten Meldungen gehört. Als ich meinen Eltern davon berichtete, waren sie ziemlich überrascht. Wir saßen in der Küche – haben uns gefreut, waren allerdings auch skeptisch. Es wusste ja keiner, wie es weitergeht. Dann bin ich zur Schule. Am Samstag war dann schulfrei. An dem Tag sind wir auch nach Berlin gefahren.“

Tassja Schilling, Gestaltung Oscar am Freitag Gotha: „Ich saß im Internat in Weißenfells. Es gab nur ein Thema: Die Nachrichten vom Vortag. Als ich am Nachmittag Zuhause ankam, war mein Freund weg. Er war mit dem Motorrad in den Westen gefahren. Ich weiß nicht mehr wann er wieder nach Hause kam. Aber, wenn ich heute Abend heimkomme, werde ich ihn Fragen.“