Versicherungskonzern die GOTHAER ist im November 2014 seit einem Vierteljahrhundert wieder in der Gründungsstadt

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Am 9. November 1989 öffneten sich Mauer und Stacheldraht, die seit dem 13. August 1961 eine fast unüberwindliche Grenze in Deutschland bildeten und so die Trennung Europas in zwei Weltsystemen manifestierten. Hunderttausende aus der DDR zog es in den ersten Tagen nach der Grenzöffnung in den Westen, doch auch die ersten Bundesbürger kamen in die teilweise unbekannte DDR. Einer der Ersten, der sich von Göttingen aus auf den Weg machte, um seine Geburtsstadt Gotha wiederzusehen, war der Jurist Dr. Harro Frels. Der 1931 in der Stadt Geborene war nicht als Privatmann unterwegs, sein Unternehmen die GOTHAER Lebensversicherung A.G. schickte ihn nach Gotha, um mit der Stadtverwaltung zu verhandeln, ob sich die GOTHAER nach 44 Jahren der Abwesenheit wieder in Gotha niederlassen darf.

Die GOTHAER Versicherungen und die Stadt Gotha, das ist eine lange Verbindung, die mit den Gründungen einer Feuerversicherungs- und einer Lebensversicherungsbank durch Ernst Wilhelm Arnoldi im Jahre 1820 und 1827 begann. „Gotha, die Stadt der Versicherungsbanken“, so lautete der offizielle Titel, den die alte Haupt- und Residenzstadt im 20. Jahrhundert trug, denn die erste deutsche Lebensversicherung und die deutsche KFZ-Haftpflichtversicherung haben ihren Ursprung in Gotha. Aber auch die Wurzeln der Versicherungsmathematik und der Versicherungsmedizin liegen in der bekannten thüringischen Metropole. Der II. Weltkrieg beendete das Engagement der GOTHAER in Gotha, denn das Thüringer Gesetz zur Verstaatlichung des Versicherungs-wesens vom 22. September 1945 verbot jegliche private Versicherungsbetätigung und entzog der GOTHAER, dem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, die Grundlage seines Handelns.

Die GOTHAER Feuerversicherung verlegte nach dem Verbot am 5. März 1946 ihren Sitz nach Köln, die Gothaer Lebensversicherung ging nach Göttingen. Über den Weg der GOTHAER nach Göttingen kann Dr. Harro Frels lebhaft berichten, denn der damalige Gymnasiast weiß aus Erzählungen seines Vaters, wie dieser gemeinsam mit vielen Mitarbeitern den lebensgefährlichen Transport der Firmenunterlagen in den Westen organisierte. Mit Auto oder Rucksack wurden die Unterlagen in Sicherheit gebracht. Mit dem Aufbau der GOTHAER in Göttingen wurde sein Vater Dr. Gerhard Frels betraut, der am 31.12.1967 nach 21 Jahren als Generaldirektor der GOTHAER in den Ruhestand eintrat, und auf einen sehr erfolgreichen Aufbau seines Unternehmens in Göttingen blicken konnte.

25 Jahre nach seinem ersten Besuch im Gothaer Rathaus saß nun Dr. Harro Frels mit seiner Frau am 12. November 2014 im Dienstzimmer von Oberbürgermeister Knut Kreuch. Er erinnerte dabei an seine ersten Gespräche mit dem damaligen Bürgermeister Harald Taubenrauch und die späteren Verhandlungen mit dessen amtierendem Nachfolger Gerhard Schäfer, wegen eines Gebäudes zur Aufnahme der Versicherungstätigkeit.

Gegründet am Hauptmarkt hatte die GOTHAER 1850 in der heutigen Bahnhofstraße 2 durch den Erbauer von Schloss Reinhardsbrunn, den Architekten Gustav Eberhardt, einen prächtigen Verwaltungsbau errichten lassen, der bis zum Neubau 1894 des Versicherungspalastes von Bruno Eelbo in der Bahnhofstraße 3a als Hauptsitz genutzt worden ist. Zwar standen 1989 in der Bahnhofstraße noch fast unverändert die alten Gebäude der GOTHAER, doch das Stammhaus Bahnhofstraße 3a war von der Staatlichen Versicherung der DDR belegt. Die Stadt gab die Einwilligung, dass das später als „Villa Albany“ bezeichnete Haus Bahnhofstraße 2 von der GOTHAER genutzt und später gekauft werden konnte. Bereits am 12. Juni 1990 stellte die GOTHAER den Antrag zur „Durchführung bautechnischer Sicherungsmaßnahmen“, im November 1990 beantragte die GOTHAER die Instandsetzung und Nutzung für Büro und Verwaltungszwecke, ein Bauantrag der am 13. Februar 1991 genehmigt werden konnte. Da die Abwicklung aller Grundstücksangelegenheiten sehr langwierig war, fasste der damalige Vorstandsvorsitzende der GOTHAER, Dr. Wolfgang Peiner, den Entschluss, die Investitionen in der Gründungsstadt zu beschleunigen, und die ehemals der GOTHAER gehörenden Immobilien von der Treuhand zu kaufen. Eine kostenlose Rückgabe oder Restitution kam laut Einigungsvertrag nicht zustande, denn die Gebäude waren aufgrund eines Befehls der Sowjetischen Militäradministration enteignet worden. Nach der umfassenden Sanierung des alten Hauses sagte der bekannte Versicherungsfachmann Dr. Wolfgang Peiner einmal, in Gotha habe er Goethes Worte „Was Du ererbt von deinen Vätern, erwirb es um es zu besitzen“ erst richtig begriffen. Gemeint war wohl der ungewöhnliche Kauf des alten Eigentums.

Nachdem die Gothaer sich seit 1991 wieder wirtschaftlich betätigen konnte, begann sie auch, in die Historie der Stadt zu investieren.Das alte Arnoldi-Denkmal aus dem Jahre 1843 war seit 1969 vom Arnoldiplatz verschwunden und zunächst nicht mehr aufzufinden. Aus diesem Grunde trat Dr. Harro Frels mit dem berühmten Hallenser Bildhauer Prof. Bernd Göbel in Kontakt, der den Auftrag erhielt, auf Kosten der GOTHAER ein neues Arnoldidenkmal zu schaffen, welches am 5. Juli 1991, anlässlich des 150. Todestages von E. W. Arnoldi, am Arnoldiplatz im Beisein aller Mitgliedervertreter der GOTHAER und der Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth eingeweiht werden konnte. Es ist Matthias Wenzel und dem rührigen Verein für Stadtgeschichte zu verdanken, dass die Steine des alten Denkmals 1995 aufgefunden und dank Spenden aus der Bevölkerung und der finanziellen Unterstützung der GOTHAER ab 2000 an einem neuen Standort aufgestellt werden konnten. Nach Jahren ohne Arnoldi hatte Gotha plötzlich zwei Denkmäler für den berühmten Sohn.

Nach dem Erwerb des Gebäudes Bahnhofstraße 3a stellte die GOTHAER am 28. April 1994 den Antrag auf Generalsanierung des Hauptgebäudes, die am 26. September 1994 genehmigt werden konnte. Ein Jahr später war das Bauwerk saniert, in dem sich heute das Thüringer Finanzgericht befindet. Am 17. September 1996 öffnete im Souterrain des prächtigen Bauwerkes das erste überregionale Versicherungsmuseum der Welt, das „Gothaer Haus der Versicherungsgeschichte“. Zwar mussten 2006 die einmaligen Sammlungen vereinzelt werden, doch in den originalen Räumen konnte am 18. Mai 2009 das Deutsche Versicherungsmuseum Ernst Wilhelm Arnoldi eröffnet werden.Das Arnoldiarchiv wurde in das heutige Stadtarchiv integriert.

Auch mit ihren Gremien war die GOTHAER im letzten Vierteljahrhundert immer wieder gern in der Gründungsstadt. So tagten nach 1991 Mitgliedervertretung, Vorstand und Aufsichtsräte des Unternehmens zum 175-jährigen Firmenjubiläum am 30. Juni 1995, am 20. Juni 2008 und letztlich auch am 3. Juli 2014 in Gotha. Auf dieser letzten Sitzung unter Federführung des Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Werner Görg wurden erstmals nach einem Dreivierteljahrhundert wieder in der Gründungsstadt ein neuer Aufsichtsratsvorsitzender und ein neuer Vorstandsvorsitzender gewählt. Dr. Karsten Eichmann übernahm dabei den Vorstandsvorsitz und bekannte sich gemeinsam mit seinem Amtsvorgänger zur Mitarbeit in der Kulturstiftung Gotha. Bereits heute ist zum 200-jährigen Jubiläum der GOTHAER im Jahr 2020 wieder eine Tagung vorgesehen.

Zum 175-jährigen Firmenjubiläum 1995 konnte die Wasserkunst am oberen Hauptmarkt in Betrieb genommen werden und mit einer Spende von einer Million Deutsche Mark schuf die GOTHAER die Voraussetzung zur Gründung der Kulturstiftung Gotha. Bisher hat das Unternehmen etwa 250.000 € an Zustiftungen für diese Stiftung geleistet. Im Januar 1995 legte der Gothaer Historiker Dr. Hans Erkenbrecher eine umfangreiche Arnoldi-Biografie vor, die von der GOTHAER als Buch herausgegeben worden ist

Eine enge Partnerschaft verbindet die GOTHAER seit 1989 mit der Thüringen Philharmonie Gotha. Das Unternehmen hat dem traditionsreichen Orchester mehrfach Konzertaufenthalte in Köln ermöglicht, so auch die musikalische Umrahmung des Festaktes in der Kölner Philharmonie mit Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl am 3. Juli 1995. Im Rahmen der Partnerschaft ist in den Jahren 1994 bis 1999 eine ganze CD-Reihe „Musik am Gothaer Hofe“ entstanden, wo die Werke aller Gothaer Hofkapellmeister zur Aufführung kamen, eine grandiose Sammlung.

Der seiner Geburtsstadt Gotha sehr verbundene Dr. Harro Frels kann es heute manchmal noch gar nicht richtig fassen, dass er wirklich vor einem Vierteljahrhundert der erste Gothaer war, der der GOTHAER die Tür zurück in die Heimat öffnete. Im Jahre 1993 beendete der 1956 als 23-jähriger an der Georg August Universität Göttingen promovierte Jurist Harro Frels seine berufliche Laufbahn, die ihn als Justitiar zur Mitarbeit bis in die Vorstandsetagen der GOTHAER führte. Viele Jahre war er der letzte originale Gothaer in der GOTHAER und sicher auch deshalb von Dr. Wolfgang Peiner mit der Wiedervereinigung betraut worden. Die Liebe zur Heimatstadt blieb bei Harro Frels auch nach dem beruflichen Ausstieg. Er begann eine Tätigkeit als Dudelsackinterpret und hat seit 2008 maßgeblich die Wechmarer Mühlenpfeiffer aufgebaut, mit denen er erst kürzlich zur Museumsnacht auf Schloss Friedenstein unterwegs war, wo seine Freunde vom Förderkreis der Stiftung Schloss Friedenstein schon freudig auf ihn warteten.

„Harro Frels ist mir ein Freund seit vielen Jahrzehnten – als wir uns zum Trachtenfest auf der Straße in Wechmar begegneten. Die Freundschaft zu ihm ist mir wichtig, so wie ich die Freundschaft und Partnerschaft zur Gothaer pflege, ob in meinem Ehrenamt als Mitglied der Mitgliedervertretung oder in den Kontakten zum Unternehmen, um Investoren und Gäste für Gotha zu gewinnen. Die Rückkehr der Gothaer war ebenso wie die Gründung ein Glücksfall für unsere Stadt“ so Oberbürgermeister Knut Kreuch.