Wir arbeiten im Auftrag der Fantasie

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In dem Mystery-Thriller „Stereo“ liefert sich der beliebte Schauspieler Moritz Bleibtreu (42, „Soul Kitchen“) erstmals ein Hauptrollen-Duell mit seinem nicht minder populären Kollegen Jürgen Vogel. „Schwerkraft“-Regisseur Maximilian Erlenwein entspinnt auf der Leinwand ein bildgewaltiges und actionreiches Spiel mit der Schizophrenie, in dem Bleibtreu die düstere Seite des von Vogel dargestellten Charakters verkörpert. Wir trafen den Sohn von Schauspielerin Monica Bleibtreu zum Gespräch.

Herr Bleibtreu, was muss man anbieten, um Sie und Jürgen Vogel gemeinsam vor die Kamera zu bekommen?

„Stereo“ geht da schon mal in die richtige Richtung. Viel mehr braucht es nicht. Momentan ist unser einheimisches Kino im Begriff, in Richtung dieser „Befindlichkeitspornographie“ abzudriften. Mir hat es wahnsinnig gut gefallen, dass dieser Film eine knackharte Geschichte entgegensetzt, die sich über Figuren definiert, gleichzeitig aber auch irre visuell ist. Es wird viel über Menschen und ihre Abgründe erzählt. Der Film drängt sich nicht ambitioniert auf und biedern sich nicht an. Er hat eine ganz klare Eigenständigkeit. Kurz gesagt: „Stereo“ ist Kino und macht Spaß. Das hat mich begeistert und ich glaube, Jürgen sieht das nicht viel anders.

Teilen Sie eine ähnliche Sicht auf den Beruf?

Das denke ich schon, ja. Jürgen und ich haben einen sehr ähnlichen Geschmack und eine sehr ähnliche Einstellung. Dabei ist gar nicht mal entscheidend, was gemacht wird. Das „Wie“ ist viel interessanter, der Umgang mit bestimmten Dingen. In dieser Beziehung denken wir beinahe gleich und haben ein blindes Verständnis entwickelt. Daraus zieht der Film bestimmt auch einen Teil seiner Kraft. Man merkt, dass da zwei aufeinander losgelassen werden, die in der selben Tonlage fiedeln.

War die Zusammenarbeit ein schauspielerischer Wettkampf im positiven Sinne, ein gegenseitiges Pushen?

Nee. So etwas wie Konkurrenz oder Wettkampf gibt es bei uns gar nicht. Wettbewerb erlauben wir uns in Deutschland höchstens beim Sport, und dann wird es sehr schnell aggressiv. In Amerika ist alles „Competition“, es macht die Gesellschaft und letztendlich auch das Kino aus. Alles ist Teamwork und Konkurrenz gleichzeitig. Auf der einen Seite ist man eine Gemeinschaft und steht hundertprozentig füreinander ein, auf der anderen Seite ist man immer auch Konkurrent. Das gibt den Filmen, die uns von dort erreichen, ihre Kraft. Bei uns gibt es das nicht, wir hüten uns vor Wettbewerb. „Competition“ steht bei uns für böses Blut. Die Arbeit an „Stereo“ war eher wie ein geiles Tennisspiel, bei dem man die langen Bälle nicht schlägt, um zu gewinnen, sondern um die Reaktion des Gegenübers voll zu genießen. Diese Ballwechsel schaukeln die Kreativität hoch. Das ist keine Konkurrenz, sondern Aufmerksamkeit und Spaß an dem, was vom Anderen kommt.

Haben Sie im Laufe Ihrer Karriere um Rollen konkurriert?

Nicht dass ich wüsste. Im Allgemeinen wird uns das auch gar nicht gesagt. Das wäre ja auch taktlos. Höchstwahrscheinlich ist das schon mal der Fall gewesen, aber als Schauspieler erfährt man nicht, welche Kollegen ebenfalls in Betracht gezogen wurden. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz in diesem Beruf. Ein Regisseur hat immer eine bestimmte Vorstellung von einer Figur. Wenn er sich unsicher ist, wen er besetzen soll, dann sucht er so lange, bis er den Menschen, den er sich vorstellt, wirklich vor sich sieht. Konkurrenz ist schon deshalb nicht angebracht, weil es nicht um eine klar definierbare, abrufbare Leistung geht. Mit schauspielerischer Kompetenz hat das oft gar nicht so viel zu tun. Ein Rat an junge Schauspieler, die sich abgelehnt fühlen, weil sie beim Casting eine Rolle nicht bekommen haben: Zieh´ Dir das nicht so an. Du warst halt nicht der Richtige für diese Figur.

Inwiefern ist der Beruf des Schauspielers schizophren?

Die Frage ist durchaus berechtigt. Es hängt davon ab, aus welchen Beweggründen du den Beruf ausübst. Für mich gibt es zwei Arten von Schauspielern. Die einen betreiben bis zu einem gewissen Maße eine Realitätsflucht. Nicht aus Spaß, sondern aus einer Notwendigkeit heraus. Sie hadern immer mit ihrem eigenen Leben und ihrem Ich. Sie flüchten sich in andere Persönlichkeiten, um einen Abstand zu sich selbst zu gewinnen und sich auch selbst zu reflektieren. Sie spiegeln sich mit der neuen Persönlichkeit, mit der sie sich auseinandersetzen. Und dann gibt es die, die zwar auch eine Realitätsflucht betreiben, aber aus Spaßgründen. Zu denen gehören auch Jürgen und ich. Wir sind Schauspieler, die eine Neugier haben und wissen wollen, warum Menschen so funktionieren. Warum sind sie so kaputt, wie sie sind, aber gleichzeitig auch so toll? Warum können sie manchmal nicht so, wie sie wollen oder wollen nicht, wenn sie können? All diese Fragen treiben mich an, sie sind mein Ansatz, diesem Beruf nachzugehen. Es gibt aber auch viele von denen, die es aus einer existenziellen Notwendigkeit heraus tun. Für sie ist die Schauspielerei im wahrsten Sinne des Wortes lebenserhaltend. Philip Seymour Hoffman ist sicherlich einer gewesen, der diesen Beruf gebraucht hat wie die Luft zum Atmen. Wenn er nicht gespielt hätte, wäre er wahrscheinlich schon viel früher gestorben.

Haben Sie eine Medien- und eine Privatpersönlichkeit, zwischen denen sie umschalten können?

Jeder hat diese Medienpersönlichkeit, sonst hat man einen Fehler gemacht. Man muss sich vor einer bestimmten Intimität schützen, die erfragt oder verlangt wird. Da muss man für sich ganz klar die Grenzen abstecken. Und ich glaube auch, dass man das kann.

Glauben Sie, dass Menschen als unbeschriebene Blätter zur Welt kommen und ausschließlich von ihrer Umwelt geprägt werden oder dass das Böse manchmal auch Veranlagung ist?

Wie bei den meisten Dingen im Leben ist auch das eine Mischung aus allem möglichen. Aber man kann nichts in einen Menschen implizieren, was nicht schon vorher da war. Man kann sich keinen dritten Arm wachsen lassen, nur, weil man es will. Genau so verhält es sich mit dem Aggressionspotential. Natürlich steckt es in jedem von uns. Die Frage ist, wie stark es in deiner Persönlichkeit vorhanden ist. Das hat natürlich ganz viel mit Prägung zu tun, wenn nicht sogar ausschließlich. Natürlich gibt es Unterschiede, wie impulsiv, temperamentvoll oder emotional ein Mensch gestrickt ist. Aber die Art und Weise, wie das später Einfluss auf dich und dein Leben nimmt, wie sehr du es kontrollieren kannst oder ob es dir im Wege steht, hat fast ausschließlich mit Prägung zu tun. Wenn du dein Leben lang nur auf die Schnauze gekriegt hast, wird es dir schwer fallen, Streicheleinheiten zu geben.

Wenn in Deutschland ein Filmheld zur Waffe greift, wird er gern hämisch belächelt. Unterschätzen wir, was sich im Untergrund unserer Großstädte tatsächlich abspielt?

Das weiß ich gar nicht. Wenn es ums Geschichtenerzählen geht, steht uns unser stark ausgeprägter Drang nach Realität oft im Weg. Ob diese Dinge in der Realität wirklich existent sind oder nicht, ist für das Erzählen von Geschichten völlig irrelevant. Wenn man mit Überzeugung erzählt und ein ausgedachtes Umfeld schafft, in dem diese Dinge funktionieren, dann geht das auch. Til Schweigers Filme funktionieren ja auch. Man kann Welten erschaffen, die dem Vergleich mit der Realität im Zweifelsfall nicht standhalten. Es ist nur die Frage, ob man gelernt hat, das zu tun. In Deutschland stehen wir solchen Geschichten sehr misstrauisch gegenüber. Filme wie „Der Untergang“ oder „Der Baader Meinhof Komplex“ werden hierzulande so irre auf ihren Realitätsbezug abgeklopft. Die Amerikaner haben da eine viel höhere Toleranzschwelle. Sie sagen, hey Leute, das hier ist kein Geschichtsunterricht, wir machen einen Kinofilm. Natürlich darf man sich nicht grob über alles hinwegsetzen, was passiert ist. Aber man muss hier und da auch dramatisieren dürfen, ohne dass man es einem Film zum Vorwurf macht. Wenn man wirklich etwas über Baader und Meinhof wissen möchte, dann setzt man sich nicht nur hin und schaut sich den Film an. Dann muss man auch mal den Laptop zuklappen und diesen Ort aufsuchen, der sich Bücherei nennt. Die Informationen stehen jedem offen.

Ich habe oft Filme gemacht, bei denen ich mit solchen Kritiken zu kämpfen hatte, „Jud Süss“ zum Beispiel. Der Anspruch an den Realismus stand immer im Vordergrund. Aber das Kino ist doch dafür da, dass wir Grenzen sprengen und uns erzählerisch über bestimmte Dinge hinwegsetzen. Das muss in der Kunst erlaubt sein. Ich will keine Dokumentation abliefern, ich will eine Geschichte erzählen, die es erlaubt, mit Figuren zu spielen. Natürlich ist das fiktional. Was weiß den irgendeiner, was in irgendeinem Raum irgendwann mal gesagt wurde? Auch ein umfassend recherchierter Film wie „Gandhi“ kann nicht hundertprozentig im Auftrag der Geschichte arbeiten. Wir arbeiten im Auftrag der Fantasie und nicht im Auftrag der Geschichtsbücher.

Welcher war der wichtigste Ratschlag fürs Leben, den Ihnen Ihre Mutter mit auf den Weg gegeben hat?

Gefühl ist alles. Immer bar zahlen. Und: Dein größter Feind ist die Eitelkeit.

Die Fragen stellte André Wesche.