André Wesche im Interview mit der Schauspielerin Aylin Tezel

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Grafik: Gerd Altmann/Pixabay

Film: Wochenendrebellen

Ein Gespräch mit Schauspielerin Aylin Tezel.

Marc Rothemunds neuer Film „Wochenendrebellen” (Kinostart: 28. September) ist eine Adaption des Buches „Wir Wochenendrebellen” von Mirco und Jason von Juterczenka. Erzählt wird die wahre Geschichte des jungen Autisten Jason, der sich nur für einen Lieblingsfußballverein entscheiden kann, wenn er alle 56 Vereine der ersten, zweiten und dritten Liga live erlebt hat. Schauspielerin Aylin Tezel („Unbroken”) spielt Jasons Mutter Fatime. Wir sprachen mit der 39-jährigen.

Frau Tezel, natürlich muss die erste Frage lauten: Sind Sie Fußballfan und falls ja, von welchem Verein?

Ich bin heute kein Fußballfan mehr. Ich war aber in meiner jungen Teenagerzeit ein großer Fan des BVB. Von Kalle Riedle und Lars Ricken hatte ich ein Poster über meinem Bett hängen. In den Pausen habe ich auf dem Schulhof Fußball gespielt. Es gab also mal eine sehr fußballaffine Zeit in meinem Leben.

Wie kam es dazu?

Das ist eine gute Frage. Ich komme aus Bielefeld. Ich weiß nicht, in welcher Liga Bielefeld damals spielte. Das ist ja schon etwas länger her. Bei uns in der Stufe musste man damals aber BVB- oder Bayern-Fan sein, es gab nicht so viel dazwischen. Ich kann Ihnen nicht genau sagen, warum ich eigentlich BVB-Fan war. Ich glaube, es war so ein bisschen Gruppenzwang. Ich habe mich an meine Mitschüler angepasst. Später war ich tatsächlich mal bei einem BVB-Spiel, als ich 2012 mit dem Tatort Dortmund angefangen habe. Die Atmosphäre dort hat mich schon sehr beeindruckt.

Hatten Sie die Möglichkeit, die realen Vorbilder der Geschichte „Wochenendrebellen” zu treffen?

Die realen Vorbilder des Films werde ich heute treffen. Die echte Fatime ist mir in der Vorbereitung zum Film nicht persönlich begegnet, weil ich zu der Zeit gerade in London war. Ich habe aber mit ihr telefonieren dürfen und mir von ihr erzählen lassen, was ihr für meine Darstellung dieser Rolle wichtig war.

Haben Sie sich weiterführend über das Asperger-Syndrom informiert?

Natürlich habe ich mich mit dem Thema Autismus beschäftigt. Ich habe mir damals viele Filme zu dem Thema angeschaut. Es gibt eine Dokumentation namens „Autism and Me“ von Liam McGrath. Das ist ein Film, der mehrere Kinder und Jugendliche auf dem Autismus Spektrum in Irland über einen gewissen Zeitraum begleitet und mein Verständnis darüber erweitert hat, welch große Bandbreite man in der Symptomatik zu dieser neurologischen Entwicklungsstörung findet. Man spricht von Autismus-Spektrum, einfach weil die Unterschiede in der Entwicklung unglaublich vielfältig sind und es ganz verschiedene Abstufungen gibt.

Nämlich?

In den allermeisten Fällen gibt es eine Beeinträchtigung, was die sozialen Interaktionen angeht, weil Autist:Innen oft eine andere Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung haben. In unserem Film ist es in Jasons Fall zum Beispiel so, dass er Probleme damit hat, Ironie oder Sprichwörter zu verstehen. Er versteht Dinge einfach wortwörtlich. Darüber hinaus kann es passieren, dass er Hintergrundgeräusche sehr stark wahrnimmt und als so störend empfindet, dass er sie nicht ausblenden kann, so als gäbe es für den Moment keinen Filter, der Geräusche in den Hintergrund sortiert.

All diese Dinge muss auch Ihre Filmfigur erst lernen.

Genau. Fatime wird am Anfang des Lebens ihres Kindes mitgeteilt, dass ihr Sohn Asperger-Autist ist und sie muss sich erstmal mit ihrem Mann Mirco zusammensetzen und anfangen, sich damit zu beschäftigen, zu recherchieren und herauszufinden, was das jetzt bedeutet und wie man den Alltag des Kindes gestalten muss. Jason braucht eine ganz andere tägliche Routine und ganz andere Abläufe als andere Kinder, damit er nicht überfordert ist und damit er seinen Alltag überhaupt bewältigen kann.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Ihrem Film-Sohn Cecilio Andresen?

Cecilio ist trotz seines jungen Alters ein wirklich hochprofessioneller Schauspieler. Er war so konzentriert und engagiert, was seine Rolle angeht und gleichzeitig der lustigste und freundlichste Mensch. Er hat einem durch seine sehr liebevolle Art ständig ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Ich bin wirklich sehr begeistert von ihm.

Tragisch an Jasons Schicksal ist, dass es tatsächlich viele Kinder gibt, die einfach nur ungezogen sind. Können Sie Menschen verstehen, die von einer Begegnung mit dem Jungen überfordert sind, weil sie den Hintergrund nicht kennen?

Es kann passieren, dass Menschen auf dem Autismus-Spektrum als unerzogen wahrgenommen werden, weil sie Reaktionen zeigen, die sich von einem normal-spezifizierten Verhalten sehr stark unterscheiden können. In einer Szene an einer Bushaltestelle bekommt Jason einen Tobsuchtsanfall, weil sein üblicher Bushaltestellenplatz nicht frei, sondern von einer älteren Dame besetzt ist, die direkt genervt von der Lautstärke und der Wut des Jungen ist. Eine ähnliche Szene gibt es im Zug, wo auch etwas passiert, was eine der von Jason aufgestellten Regeln in Gefahr bringt und er sehr wütend und emotional reagiert. Diese emotionale Antwort in solchen Momenten auf eine Situation ist etwas, das Jason nicht kontrollieren kann, die Reaktion und Überforderung passieren einfach zu schnell.

Ist es ein Anliegen des Films, genau das zu zeigen?

Menschen haben ganz unterschiedliche emotionale Antworten auf Überforderungen und sie müssen nicht immer frei gewählt sein. Wenn man mit einer neurologischen Entwicklungsstörung lebt – wie zum Beispiel dem Autismus – liegt das außerhalb der eigenen Handlungsfähigkeit. Es wäre schön, die eigene Toleranz oder das Verständnis zu erweitern und sich in solchen Situationen nicht gleich angegriffen oder gestört zu fühlen. Man muss darüber nachdenken, dass es sein könnte, dass man gerade einem Menschen gegenübersteht, dem es – mit oder ohne Autismus – nicht möglich ist, anders zu reagieren.

Jason besteht auf Effizienz und Nachhaltigkeit. Sie auch?

In Jasons Fall ist es so, dass für ihn Nachhaltigkeit auf seiner Regelliste sehr weit oben steht. Er geht sogar so weit, dass bestimmte Wege nur mit dem Fahrrad zurückgelegt werden dürfen oder nicht mit dem PKW, sondern nur mit dem Zug. Ich finde es total schön, dass jemand im Kindesalter schon so eine hohe Aufmerksamkeit haben und das auch innerhalb der Familienstruktur durchsetzen kann. Normalerweise ist es nicht so, dass man als Kind den Eltern vorschreiben könnte, wann sie mit dem Zug zu fahren oder wann sie das Fahrrad zu benutzen haben. Innerhalb von Jasons Familie ist das ein bisschen anders, weil seine Reaktionen sehr viel stärker ausfallen. Ich achte persönlich auch darauf, dass ich die Strecken, die ich mit dem Zug fahren kann, auch so zurücklege und innerhalb von Deutschland nicht fliege, dass ich – wo es geht – öffentliche Verkehrsmittel nutze, mit dem Fahrrad fahre und auch zu Fuß laufe. Das ist in bestimmten Städten wie in Berlin, wo ich lebe, gut möglich.

Was den Filmtitel anbelangt: Haben Sie selbst eine rebellische Natur?

Ich denke nicht. (lacht)

Sie haben Ihren ersten Spielfilm „Falling Into Place” abgedreht. Sehen Sie Ihre Zukunft verstärkt auch hinter der Kamera?

Genau. Den Film „Falling into Place” bringen wir am 7. Dezember in die Kinos. Ich freue mich schon sehr darauf. Das war eine Arbeit, die mich viele Jahre meines Lebens begleitet hat. Vom Schreiben des Drehbuchs, über den ganzen Weg der Finanzierung, bis hin zum Dreh und die Postproduktion. Das war für mich eine besonders schöne Arbeit, weil ich auf eine deutlich vielfältigere Weise bei der Entstehung eines Filmes dabei sein durfte. Ich habe auf jeden Fall Blut geleckt, das kann man schon so sagen. (lacht) Ich würde mich sehr freuen, wenn es für mich auch auf der Regieebene weitergeht. Nichtsdestotrotz werde ich natürlich dem Schauspiel treu bleiben und freue mich weiterhin, wenn ich herausfordernde Rollen spielen darf.

Die Fragen stellten Lucas und André Wesche.

H&H Makler

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