Mystery-Thriller „Die Theorie von Allem” – André Wesche im Interview mit Hauptdarsteller Jan Bülow

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Jan Bülow / Foto: DTVA_Pressefoto

Mystery-Thriller „Die Theorie von Allem” – Ein Gespräch mit Hauptdarsteller Jan Bülow

Für seinen famosen Auftritt als junger Udo in der Filmbiografie „Lindenberg! Mach Dein Ding” erntete der Theater- und Filmschauspieler Jan Bülow einhelliges Lob. Im schwarzweißen Mystery-Thriller „Die Theorie von Allem” (Kinostart: 26. Oktober), der den Zuschauer in die 1960-er Jahre entführt, spielt der 27-jährige nun einen Doktoranden, der gemeinsam mit seinem Doktorvater (Hanns Zischler) einen physikalischen Kongress in den Schweizer Alpen besucht. Vor Ort häufen sich merkwürdige Begebenheiten. Wir sprachen mit Jan Bülow über den Film und seine Karriere.

Herr Bülow, haben Sie das Drehbuch von „Die Theorie von Allem” sofort verstanden?

Nein. Es gibt dort mehrere Erzählebenen, was ich schön finde. Als ich zum ersten Mal den fast fertigen Film mit Regisseur Timm Kröger gesehen habe, habe ich immer noch Fragen gestellt. Wieso war das jetzt noch mal so und so? Es wurde auch noch etwas umgestellt. Eine Szene, die eigentlich in der Mitte war, wurde im finalen Produkt an den Anfang gestellt. Es gibt natürlich wahnsinnig viele Sprünge und tatsächlich für alles eine schlüssige Erklärung, die Timm mir geben konnte. Aber es ist kompliziert. Auf einer Ebene funktioniert der Film für mich einfach als die Geschichte, die erzählt wird. Was Timm mir beschrieben hat, ist Insiderwissen. Es gibt für jeden Charakter eine sehr spezifische Backgroundstory für alles, was passiert. Der Film ist eigentlich die Spitze eines Eisbergs, der unter Wasser noch viel größer ist. Diejenigen, die ihn gemacht haben, können alles plausibel erklären. Das ist eine eher wissenschaftliche Ebene. Ich habe da aber bis heute nicht ganz durchgeblickt. Für mich funktioniert der Film als berührende Geschichte. Da muss man nicht alles verstehen.

Können Sie als Zuschauer etwas mit dem Genre des Film Noir anfangen?

Ja, auf jeden Fall. Ich bin ein absoluter Fan von Schwarzweißfilmen. So etwas wie „Oh Boy” ist natürlich ein ganz anderer Film, aber diese schwarzweiße Ästhetik hat was. Dass wir noch dazu auf 50er Jahre Film Noir gegangen sind… Alles ist schauspielerisch eigentlich sehr untersteuert. Timm Kröger hat immer darauf gepocht. Ich denke oft, ich müsse mehr machen. Zum Glück habe ich aber auf ihn gehört. Es ist der absolut richtige Impuls, die Verwirrung, die Panik und die Angst in diesem Film nicht mitzuspielen, um sie letzten Endes dem Zuschauer zu überlassen.

Glauben Sie, dass es auf dieser Welt mehr gibt, als wir wahrnehmen können?

Ja, absolut. Ich finde auch interessant, dass man immer sagt, Wissenschaft und Religion lassen sich nicht vereinen. Meiner Meinung nach ist es so, dass die ganze Metaphysik den Faktor Gott noch viel wahrscheinlicher macht. Die Frage ist nur, WAS Gott ist und nicht WER. Alles ist ein ewig kompliziertes Uhrwerk, das von irgendetwas oder irgendwem erschaffen worden sein muss. Vielleicht auch vom Zufall. Ich glaube absolut daran, gleichzeitig ist es auch ein bisschen wie eine Verschwörungstheorie. Man kann sich da ewig reinsteigern, man kann mit dem Thema verrückt werden. Viele Wissenschaftler, die sich damit befasst haben, sind irgendwann mit einem Bein im Okkultismus gelandet. Ich habe diese Vorstellung, aber sie lässt mich irgendwann kalt, weil ich sage: Ich kann es nicht sehen und habe auch nicht die Gehirnkapazität, um mich wirklich ernsthaft mit Quantenphysik auseinanderzusetzen. Insofern ist das eine Gedankenspielerei auf sehr subjektiver Ebene. Ich habe natürlich in der Vorbereitung versucht, mir Wissen anzueignen. Aber wirklich etwas auf dieser quantenphysischen Ebene zu verstehen, das über irgendwelche Informationsvideos und Texte hinausgeht, kann ich nicht von mir behaupten. Ich glaube daran, absolut. Bevor ich aber richtig daran glaube, will ich es sehen.

Nehmen Sie von Begegnungen mit altgedienten Schauspielern wie Hanns Zischler immer auch etwas mit?

Immer. Ich finde, das ist einer der tollsten Aspekte meines Berufs: Dass es in dem Sinne keine Altershierarchie oder -grenze gibt. Ich stehe am Burgtheater mit einem Kollegen auf der Bühne, der mittlerweile 86 ist. Natürlich habe ich den nötigen Altersrespekt vor ihm und den Respekt vor seiner Erfahrung. Aber in dem Moment, in dem ich mit ihm auf der Bühne stehe, sind wir ja auf einer Wellenlänge. Genauso ist es mit Hanns Zischler. Ich verstehe mich blendend mit ihm. Auf der Schauspielschule hat es mir immer nicht gefallen, dass dort irgendjemand den eigenen Vater oder die eigene Mutter spielt, der genauso alt ist wie man selbst. Ich finde den Aspekt, mit Leuten auf einer Bühne oder vor einer Kamera zu stehen, die teilweise das Doppelte oder Dreifache an Lebens- und Berufserfahrungen mitbringen, einfach top. Von denen wird es auch weitergegeben. „Auf alten Pferden lernt man reiten“ ist ein dummer Spruch, aber es stimmt schon irgendwie. Es macht etwas mit einem, wenn man solchen Kollegen in die Augen schaut. Das ist der beste Faktor meines Berufs.

Sie haben den Film auf dem Festival von Venedig vorgestellt. Was für eine Erfahrung war das?

Natürlich ist es irgendwie surreal und ich habe es erst gar nicht glauben können. Manch einer von der Produktion war ganz zuversichtlich und meinte, wir gehen in den Wettbewerb auf Festivals. Ich habe immer gesagt, bis dahin sei aber noch abzuwarten, ob wir das wirklich schaffen. Dann haben wir es geschafft – und auch noch Venedig! Ich war vorher nie in Venedig. Ich bin angekommen und dachte: Hier in diesem Becken bin ich noch ein ganz schön kleiner Fisch. Die ganze Welt kommt hier hin. Auf der anderen Seite bin ich auch wahnsinnig dankbar für diese Erfahrung, auch wenn es irrsinnig ermüdend war. Wie auf allen Festivals macht man am Ende auch manchmal – das meine ich jetzt gar nicht böse – viel Lärm um nichts. Man fragt sich danach, was man eigentlich gemacht hat. Komischerweise habe ich im Nachhinein immer geträumt, dass irgendjemand kommt und sagt, der Film sei gar nicht gut. (lacht) Natürlich will ich überhaupt nicht behaupten, dass ich das alles nicht mag. Es wäre eine Lüge, dass ich Filme nur für mich mache und nicht auch für die Aufmerksamkeit. Ich mag schon auch Rampenlicht. Aber je mehr Rampenlicht man bekommt – und in Venedig hat das schon eine hohe Dimension – desto mehr habe ich das Gefühl, ich wäre doch gar nicht so, wie ich hier dargestellt werde. Wir haben auch nur mit Wasser gekocht. Das ist immer die Assoziation. Alles ist so pompös und riesig, dass ich irgendwann angefangen habe mich zu fragen, ob wir das überhaupt verdient haben. (lacht)

Johannes Leinerts Mutter ist ein frühes Helikopter-Exemplar. Wurden Sie von Ihrer Familie immer bei Ihren Plänen unterstützt oder hätte man es lieber gesehen, dass Sie etwas „Anständiges“ lernen und auch Doktor werden?

Sagen wir mal, dass es schon meinungstechnische Differenzen in der Familie gab, was diesen Schauspielberuf anbelangt. Ich würde aber behaupten, dass es keinen Gegenwind gab. Mein Bruder hat auch Schauspiel studiert und ist am Theater. Von manchen Seiten der Familie hieß es: Wenn die das unbedingt mal probieren wollen, sollen sie es halt machen. Es war nicht so, dass jemand gesagt hat, dass das nicht in die Tüte kommt. Es gab aber schon die Frage, ob es nicht ein Hirngespinst sei, Schauspiel zu studieren.

Warum haben Sie Wien zu Ihrem Lebensmittelpunkt gemacht?

Das ist eigentlich ganz banal. Ich war in Zürich am Theater, wollte dann gerne noch weiter Theater machen und nicht in die Freiberuflichkeit gehen. Dann hat es sich so ergeben, dass der Chefdramaturg aus Zürich mich in Wien am Burgtheater empfohlen hat. Ich bin deshalb nach Wien gezogen und bis heute immer noch dort. Wobei es aus privaten Gründen bald zumindest pendelmäßig wieder mehr Berlin sein wird. Ich habe mich mit Wien sehr lange schwergetan, muss ich ehrlich gestehen. Wien ist natürlich eine bildschöne Stadt, aber wenn man nicht die ganze Zeit durch das Zentrum läuft, hat mich diese ganze „Donau-Melancholie” zum Teil sehr eingeschüchtert. Es hat schon etwas sehr Osteuropäisches, diese Donauweiten. Ich bin auch mal mit einem Freund mit dem Fahrrad nach Budapest gefahren. Das geht theoretisch runter bis zum Schwarzen Meer und man bekommt so eine Ahnung davon, was für Weiten der russisch-asiatische Kontinent dann noch hat. Das ist immer mit Vorsicht zu genießen. Wien ist schon ein sehr feines Pflaster und eine sehr tolle Stadt, aber als Berliner war das ein Kulturschock. Ich sage immer: Wien ist eine Stadt, die für sich alleine schwebt. Es gibt ein innerhalb von Wien und ein außerhalb von Wien. Innerhalb von Wien ist alles, was sich um Wien dreht, zehnmal intensiver. Draußen hört es gar keiner. Wien ist gleichermaßen das Tor zum Himmel, wie es auch das Tor zur Hölle sein kann. Es hat etwas wahnsinnig Tödliches, aber auch ein wahnsinnig gutes, qualitatives Leben. Ich werde auf jeden Fall immer in diese Stadt zurückkehren. Ich bin nur nicht dafür gemacht, ewig dort zu leben. Ich wüsste aber gar nicht, welche Stadt so ist, dass ich da ewig bleiben würde.

Möchten Sie weiterhin zweigleisig fahren und dem Theater treu bleiben?

Auf jeden Fall. Neulich sagte irgendjemand zu mir: „Du bist einer der wenigen, die sich diesen Luxus noch erlauben.“ Das stimmt schon. Ich würde es mir gerne weiterhin erlauben. Das ist eine rein subjektive Einschätzung, aber ich glaube, dass das deutschsprachige Ensemblesystem, das eigentlich eine sehr große Errungenschaft ist, sich zumindest institutionell in der Form, in der wir es kennen, nicht mehr ewig halten wird. Das hat einfach was mit dem enormen Angebot aus Streaming, Fernsehen und Kino zu tun. Das ist wirtschaftlich lukrativer und die Leute sind nicht mehr in dieser Form bereit, fest an einem Theater zu arbeiten. Das wird leider irgendwann kaputt gehen. Ich weiß aber nicht, ob ich da Recht habe. Ich finde Theater sehr wertvoll und es ist meine erste große Liebe. Das wäre jetzt nochmal eine größere Grundsatzdiskussion, aber in letzter Zeit finde ich, dass die neuen Tendenzen im Theater, die von der aktuellen Regiegeneration kommen, irgendwie suspekt sind. Es gibt generell eine Auseinandersetzung im Theater, die viel mehr bildlich und konzeptgeladen geworden ist, die viel mehr auf bunte Effektgewitter geht, die sich wenig mit Literatur auseinandersetzt, die Stoffe nur noch als Mittel zum Zweck benutzt. Hinter allem muss ein Gedanke stecken, der erklärt werden muss. Das verstehe ich nicht, weil es für mich mehr von einer Gruppe ausgeht, die sich intuitiv Sachen ausdenkt. Deswegen bin ich einfach auch oft frustriert vom Theater. Ich betrachte das aber nicht als Untergang, sondern als Phase. Ich hoffe, dass ich mir immer diesen Luxus erlauben kann, beides zu machen. In welcher Form und Intensität, muss man dann sehen.

Schauen Sie sich auch nach internationalen Serien- und Filmprojekten um?

Nicht aktiv. Natürlich würde ich mich freuen, international gefragt zu sein, aber das ist für mich kein Kriterium für eine Arbeit. Ich habe auch viele Serien gesehen, die Konglomerate waren. Es gibt auch viele Serien, die mir einfach überhaupt nicht gefallen. Natürlich, ich sage niemals nie und freue mich, wenn ich Aufmerksamkeit bekomme, aber für mich ist das wie gesagt kein Kriterium. Um das auf den aktuellen Film zu beziehen: Ich bin da auf eine Gruppe von Leuten gestoßen, die nicht nur aus unserem Regisseur besteht, sondern auch aus der Produzentin und aus den anderen Departments, Maske und Licht. Das sind Leute, die immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen zusammenarbeiten. Für mich ist das Kriterium, auf Menschen zu stoßen, die eine Idee haben und die mich gütiger Weise in dieser Idee einbinden. Ich würde mich auch dafür interessieren, irgendwann selbst etwas auf die Beine zu stellen. Es gibt Schauspieler, die für eine Zeit nach London oder Paris gehen, um dort zu versuchen, auf englischsprachigem Boden Fuß zu fassen. Darüber möchte ich mir kein Urteil erlauben, aber ich mache einfach mein Ding. Wenn jemand auf mich zukommt und sagt, dass er gerne mal mit mir etwas machen würde, dann würde mich das natürlich sehr freuen. Ich bemühe mich aber nicht aktiv um eine internationale Karriere.

Apropos „Mein Ding machen”: Haben Sie Udo noch auf Ihrer Playlist?

Ja, schon. Nicht so viel, ich höre generell weniger Musik im Moment. Ich habe tatsächlich in diesem Jahr angefangen, ein bisschen Klassik zu hören. Ich habe aber noch Kontakt zu Udo. Ich bin ein sehr intuitiver Musikhörer. Manchmal sitze ich im Zug, denke plötzlich an einen Song und mache ihn dann einfach an. Das weckt bei mir natürlich immer Erinnerungen an diese Zeit. Wir sind ja auf dem Filmfest Hamburg, vielleicht werde ich Udo in dem Zusammenhang sehen. In jedem Fall ist das für immer da. Mein Vater hat auch immer noch die Vinylplatten im Schrank, da habe ich neulich mal durchgestöbert. Kommt also schon vor, ja.

Die Fragen stellte André Wesche.

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