Neu im Kino: „One Life” Ein Gespräch mit Hella Pick und Lord Alfred Dubs

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Grafik: Gerd Altmann/Pixabay

One Life – Ein Gespräch mit Hella Pick und Lord Alfred Dubs

Das Drama „One Life“ (Kinostart: 28. März) erzählt die wahre Geschichte des Bankers Nicholas „Nicky“ Winton, im Alter dargestellt von Anthony Hopkins. Von seinem Gewissen getrieben riskierte der Brite seine sichere Existenz, um jüdische Kinder mit Zügen aus Prag zu evakuieren, kurz bevor die Stadt von den Nazis besetzt wurde. Eines der 669 geretteten Kinder ist Lord Alfred Dubs (91), den wir gemeinsam mit der zur selben Zeit aus Wien geflüchteten, späteren Journalismus-Ikone Hella Pick (94, „Der Internationale Frühschoppen“) in Berlin zum Gespräch trafen.

Lord Dubs, haben Sie den Film „One Life“ bereits gesehen?

Lord Alfred Dubs: Ja, zweimal schon. Ich fand ihn sehr berührend. Tatsächlich liefen mir jedes Mal die Tränen übers Gesicht. Ich halte Anthony Hopkins als Nicky Winton für brillant. Ich kannte Nicky Winton recht gut. Als ich zum ersten Mal den Anfang von „One Life“ sah, dachte ich mir: Nicky Winton ist vor einigen Jahren gestorben. Wie kann er in diesem Film mitwirken? Es ist so gut gespielt! Ich denke, dass ein kleiner Teil der Geschichte nicht ganz korrekt war, weil die meisten Kindertransporte nicht aus dem Sudetenland kamen. Sie kamen aus Prag oder anderen Teilen der Tschechoslowakei. Aber abgesehen davon fand ich den Film sehr bewegend und halte ihn für ein wichtiges Stück Geschichte.

Setzt „One Life“ Mr. Winton ein würdiges Denkmal?

LAD: Ich denke schon, ja. Natürlich war er immer der erste, der sagte, dass es andere Leute gab, mit denen er zusammengearbeitet hat und die ihm geholfen haben. Heute ist Nicky Winton natürlich bekannter als jeder andere, der an der Planung der Kindertransporte beteiligt war. Irgendwie schwingt sein Name immer mit. Diejenigen von uns, die aus Prag kamen, haben ihn häufig getroffen, vor allem auf seinen Geburtstagsfeiern. Da er 106 Jahre alt wurde, gab es viele Geburtstagsfeiern, zu denen wir gehen konnten. (lacht) Wir saßen dann alle zusammen. Ich war einer der Jüngsten, es gibt also nicht mehr viele von uns, die aus Prag kamen.

Mrs. Pick, Ihre Geschichte ist eine andere, Sie sind aus Wien geflohen. Wissen Sie, wem Sie Ihre Rettung zu verdanken haben?

Hella Pick: Der Kindertransport in Österreich und Deutschland wurde von den jüdischen Gemeinden der beiden Länder organisiert. Es war keine Einzelperson. Im Fall von Nicholas Winton handelte es sich um eine Privatperson, die sah, was geschah, und für sich selbst beschloss, Kinder zu retten. Der Kindertransport in Deutschland und Österreich war eine bewusste Entscheidung im Zuge der Kristallnacht. Er ist einer sehr engagierten Gruppe prominenter Juden aus Großbritannien zu verdanken, die die britische Regierung davon überzeugten, dass sie etwas tun musste, um Kinder vor dem Holocaust zu retten. Der Kindertransport war von Land zu Land viel besser organisiert, denn in Österreich und Deutschland erlaubten die Nazi-Behörden den Kindertransport und die Ausreise dieser Kinder. Ich wurde nicht von Nicholas Winton gerettet. Aber auch ich war sehr bewegt, als ich den Film sah, denn er bringt auf den Punkt, was mit dem ganzen Kindertransport passiert ist.

Lord Dubs, wecken die Szenen, die im ehemaligen Prag spielen, bei Ihnen Erinnerungen?

LAD: Oh ja, das tun sie. Das gilt weniger für die erste Szene mit denjenigen, die aus dem Sudetenland geflohen sind. Aber für den Rest schon, ja. In der Tat ist der Film voller Erinnerungen, die bei mir wiederauftauchten, weshalb die Tränen flossen. Immer wieder gab es etwas im Film, das eine emotionale Reaktion auslöste.

Sind Sie auch, wie im Film gezeigt, durch die TV-Show „That‘s Life“ auf Nickys Geschichte aufmerksam geworden, so wie viele andere Gerettete?

LAD: Nein. Obwohl ich natürlich wusste, dass ich mit einem Kindertransport herkam, erfuhr ich erst von ihm, nachdem es diese und eine weitere Fernsehsendung über ihn gab. Dann lernten ich Nicholas Winton persönlich kennen. Das hat alles zum Leben erweckt, und ich habe viel mehr darüber erfahren, was er getan hatte, als ich ursprünglich wusste.

Was für ein Mensch war Nicky Winton im Alter?

LAD: Er war eine gute Gesellschaft und sehr humorvoll. An seinem 102. Geburtstag fragte ich ihn: „Nicky, wie geht es dir?“ Er antwortete: „Vom Hals aufwärts geht es mir gut.“ Er war bescheiden, unterhielt sich gern, sprach über Politik und war generell ein großartiger Gastgeber. Wir hatten gute Partys, ursprünglich in seinem Haus in Maidenhead, wo Theresa May seine örtliche Abgeordnete war, und später in der tschechischen Botschaft in London. Wir trafen uns, aber im Laufe der Jahre gab es immer weniger von uns, die sich treffen konnten. Und obwohl er bescheiden war, glaube ich, dass es ihn stolz gemacht hat, dass, wenn man die Kinder, die mit einem Kindertransport aus Prag kamen, und ihre Kinder und Familien nimmt, es wahrscheinlich mehrere tausend Menschen sind, die ihr Leben direkt ihm verdanken.

Lord Dubs, Sie hatten es einfacher als die meisten anderen Kinder, Sie wurden in Liverpool von Ihrem Vater abgeholt, richtig?

LAD: Oh, viel einfacher. Mein Vater war Jude, meine Mutter nicht, was es kompliziert machte. Er verließ Prag ziemlich genau an dem Tag, als die Nazis die Stadt besetzten. Er sagte zu seinen Cousins, meinem Onkel und meiner Tante: Wenn sie kommen, dann gehe ich. Sie sagten, sie würden stattdessen das Risiko eingehen. Im Jahr 1942 kam die Gestapo, um sie nach Auschwitz zu bringen. Für mich war es leichter, denn obwohl ich mich am Bahnhof von meiner Mutter verabschieden musste, hatte ich das Gefühl, dass in London jemand auf mich wartete. Das machte es viel leichter.

Besitzen Sie noch Erinnerungsstücke aus jenen Tagen?

HP: Was Erinnerungsstücke aus Wien betrifft, so habe ich nur ein oder zwei kleine Dinge, die ich retten konnte. Als ich das erste Mal nach Wien zurückkehrte, fand ich Rahmen mit ein oder zwei kleinen Bildern und ein paar Stücke Porzellan.

LAD: Ich habe aus Prag nichts mitgebracht außer Erinnerungen. Ich habe ein paar Erinnerungsstücke an meine Schulzeit, aber ansonsten so gut wie nichts. Wenn man auf der Flucht ist, hat man oft nicht die Zeit, Dinge mitzunehmen. Es ist entweder nicht möglich oder sie gehen verloren.

Sie beide sind in London geblieben und blicken auf ein erfolgreiches Berufsleben zurück. Haben Sie sich trotzdem manchmal entwurzelt gefühlt?

HP: Man fühlt sich immer entwurzelt, egal wohin man geht.

LAD: Ich war nicht die ganze Zeit in London. Ich verbrachte einige Zeit in Manchester und im Norden Englands. Ich musste wohl erst einmal herausfinden, wo ich hingehöre und wer ich bin. Ich habe mich immer ein wenig verwirrt gefühlt, bis es mir möglich wurde, mich niederzulassen und mit allem zurechtzukommen. Es gab ein Gefühl der Verwirrung und Fassungslosigkeit. Ein klares Gefühl für das, was passiert ist, stellte sich erst später ein.

Inwiefern war es Ihnen in Ihren unterschiedlichen Berufen besonders wichtig, auf das Schicksal von Flüchtlingen hinzuweisen, die es leider immer wieder gab?

LAD: In der britischen Politik wurde es zu einem wichtigen Thema. Ich denke, die Argumentation für Flüchtlinge, insbesondere für Kinderflüchtlinge, sollte nicht von den persönlichen Erfahrungen desjenigen abhängen, der sie vorbringt. Ich kann jedoch nicht leugnen, dass ich emotional stärker involviert war. Ich behaupte gerne, dass es für die britische Regierung schwieriger war, mich zu kritisieren, weil ich als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling in das Vereinigte Königreich kam und mich nun für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge einsetzte. Sie waren natürlich immer noch anderer Meinung als ich, aber das machte es für sie etwas schwieriger. Ich habe mir die Geschichte nicht ausgedacht. Ich habe meine Vergangenheit nie verleugnet und ich habe sie auch nicht hervorgekehrt. Aber dann wurde das irgendwie zu einem Thema, die Medien haben sich sehr dafür interessiert. Natürlich leugne ich nichts aus der Vergangenheit, aber zu der Zeit war ich ziemlich zurückhaltend. Selbst einige meiner Freunde waren etwas überrascht, all dies über mich zu erfahren.

HP: Ich habe nie ein öffentliches Leben in dieser Form geführt. Ich bin keine Politikerin. Als Journalistin habe ich nicht versucht, mein eigenes Leben zu thematisieren, weil ich in meiner Zeitung Platz habe, um darüber zu schreiben. Ich denke, es ist eine allgegenwärtige Tatsache, die man nicht vergessen darf. Ich habe meine Zeit aber nicht damit verbracht, etwas anderes zu tun, als eine liberale Geisteshaltung und meine Einstellung zu all den verschiedenen Dingen zu zeigen. Natürlich bin ich sehr besorgt über die Art und Weise, wie das Flüchtlingsproblem in Großbritannien gehandhabt wurde, und auch über die Gefühle, die hier in Deutschland geäußert wurden. Ich kann dagegen ankämpfen und versuchen, Verständnis dafür zu wecken, was es bedeutet, ein Flüchtling zu sein, und welchen Beitrag die Flüchtlinge zum nationalen Leben der Länder leisten, in denen sie leben. Ich denke, das ist eine wichtige Aufgabe, für die wir alle, die das erlebt haben, werben und kämpfen müssen. Ich möchte wirklich betonen – weil es einfach nicht oft genug getan wird – welchen positiven Beitrag die Flüchtlinge leisten, auch wenn man auf Deutschland schaut. Wenn man sich die demografischen Probleme in diesem Land ansieht, dann trägt die Tatsache, dass so viele Flüchtlinge hierhergekommen sind, durch die Arbeit, die sie leisten, und das Wissen, das sie mitbringen, wirklich zum nationalen Wohlstand bei. Das ist eine wichtige Lektion, die Leute wie ich so weit wie möglich betonen und fördern sollten. Natürlich habe ich nicht das Privileg, in diesen Fragen über Gesetze sprechen zu können. Ein Politiker hat immer noch viel mehr Möglichkeiten als ich.

LAD: Man kann darüber streiten, ob Politiker einen solchen Einfluss haben. (lacht)

Die Fragen stellten Lucas und André Wesche.

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