André Wesche im Gespräch mit Helge Schneider

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Mit dem Kinofilm „00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter“ erwies der beliebte Komödiant und Musiker Helge Schneider (58) dem Krimi-Genre 1994 auf unverwechselbare Weise seine Ehrerbietung. Nun kehrt der unkonventionelle Ermittler Roy „00“ Schneider auf die große Leinwand zurück. Wir sprachen mit Autor, Regisseur und Hauptdarsteller Helge Schneider über die Arbeit mit Amateurschauspielern, die „Art Of De-Suspense“ und Gedanken an den Ruhestand.

 

Herr Schneider, was kritisiert der Regisseur Schneider am Schauspieler Schneider und umgekehrt?

Gar nicht viel. Ich muss mich nicht lauthals kritisieren, es geht alles in mir vonstatten. Wenn ich eine Rolle spiele, habe ich mich ganz schön unter Kontrolle. Was durch die Tatsache erleichtert wird, dass ich das ja auch bin: Ich bin 00 Schneider! Ich stelle mir das so vor, genau wie die Anderen, die da mitmachen. Der Pizzabäcker, der den Polizeichef spielt, denkt: „Ich bin der Polizeichef“. Ein Schauspieler würde denken: „Ich muss jetzt den Polizeichef spielen“. Wir gehen einen Schritt weiter, mehr kann man nicht machen. Hätte den Sittenstrolch ein Schauspieler gespielt, hätte er nie gelächelt, wenn er zusammengeschlagen wird. Aber Rudi Olbrich weiß mit seinen 78 Jahren gar nicht, dass er verhauen wird. Der denkt nur „Was fuchteln die da so rum?“ und lächelt.

 

Macht gerade das den Charme des Films aus?

Genau. Es ist ein bisschen so wie Kindertheater: sich schon bemühen, sich darauf einstellen, aber nicht immer perfekt sein. Ein Schauspieler würde das vielleicht unglaubwürdig finden und Angst haben, danach keinen Job mehr zu bekommen. Rudi ist froh, mal aus Australien wegzukommen, wo er in der Wüste lebt. Weg von all den gefährlichen Tieren nach Deutschland, wo es lecker Essen gibt. So denkt der.

 

Ihre Ruhrpott-Aufnahmen sind sehr gelungen.

Wir haben alle dazu gelernt. Schon in „Jazzclub“ waren ein paar schöne Ruhrpott-Aufnahmen, diesmal sind wir noch einen Schritt weiter gegangen. Wir haben die Geschichte dem angepasst, was wir sehen. Jede Aufnahme sollte ein Showcase sein, ein Bild für sich. Wir sind auch völlig ohne Spezialeffekte und ohne Green Screen ausgekommen. Wir haben einmal Schnee und Wind gemacht. Und dann gibt es ein Erdbeben, aber dieser Spezialeffekt darf nicht verraten werden.

 

Wenn jedes Bild zum Showcase wird, geht das ein wenig auf Kosten einer durchgängigen Dramaturgie. Warum steigen Sie nicht aufs Medium Kurzfilm um?

Ich bin ganz froh, dass wir einen so langen Film gedreht haben. Ich wollte zeigen, dass ein Film auch ohne jegliche Spannung auskommen kann. Das ist nämlich Entspannung. Das ist nochmal etwas ganz anderes. Die „Art Of Suspense“, wie wir sie von Hitchcock kennen und die auch wirklich klasse ist, kann man heute gar nicht mehr bewerkstelligen. Wir mussten also einen Schritt weitergehen, die „Art Of De-Suspense“ machen. Also Entspannung. Wir sitzen im Kino und kucken zu, wie da Leute sind.

 

Wie viel Raum für Improvisation lassen Sie, wie oft wiederholen Sie eine Szene?  

Ich habe es schon mal in einem Take geschafft, das merke ich sofort. Meistens möchte der Kameramann noch einen zweiten Take zur Sicherheit. Ich habe aber auch schon mal 34 Takes gemacht. Wenn man mit Laiendarstellern arbeitet, stimmt manchmal das Timing nicht und sie fallen sich ins Wort. Wir haben sehr viel improvisiert. Es konnte auch sein, dass mir morgens der Drehort nicht gefallen hat.

Auch wenn dann schon sechs LKWs ausgeräumt waren und die Technik stand, sind wir trotzdem zwei Straßen weiter gezogen. Ich habe einen untrüglichen Blick dafür, wenn mir ein Bild nicht gefällt. Es war auch wichtig, dass wir in Spanien drehen konnten, um den einzigartigen Look zusammen zu montieren. Man denkt, Mülheim wäre jetzt am Meer, das wollte ich so haben. Auch diese staubigen Straßen in Verbindung mit dem Ruhrgebiet passten unheimlich gut. Das Auto verknüpft diese Punkte. Der Kommissar fährt aus Mülheim raus und kommt sofort am Strand an. Das ist eine Verknüpfung, farblich und visuell. Und man weiß gar nicht genau, warum das so funktioniert.

 

Hatten Sie je ein traumatisches Zahnarzterlebnis?

Nee. Ich gehe immer gerne zum Zahnarzt, aber man muss sich schon überwinden. Gut ist es, wenn der Zahnarzt sagt: „Oh, da ist ein Loch, das müssen wir sofort machen“, anstatt eine neuen Termin zu machen. Manche Leute sagen: „Heute nicht!“, lassen sich einen neuen Termin geben und gehen da nie wieder hin. Die Zahnarztszene im Film ist eine Reminiszenz an W.C. Fields und seinen Kurzfilm „The Dentist“, da gibt es eine Szene, die ist ähnlich aufgebaut. Überhaupt hat mich W.C. Fields´ Fantasie dazu motiviert, einen Film zu machen, in dem solche Szenen vorkommen wie die mit der Waschmaschine. Totale Fiktion, das geht ja alles gar nicht. Fantasie ohne großartige Special Effects. Der ganze Mittelteil des Filmes ist mehr oder weniger Fantasy. Fantasy in Reinform, ohne Spezialeffekte. Special Effects haben wir ja bei Harry Potter.

Wir gehen ins Kino und wissen, dass das, was wir sehen, ganz klar am Computer gemacht wurde. Als ich „Das Wunder von Bern“ gesehen habe, dachte ich, was ist das denn? Diese Menschen im Fußballstadion gibt es ja gar nicht, die sind ja virtuell nachgearbeitet. Mit diesem Bewusstsein geht man heute ins Kino. Ich war neulich in „Lone Ranger“. Ich wollte den sehen, weil er ein Flop sein soll. Ich dachte mir, ein Flop mit Johnny Depp, na klar. Wer will den in Amerika schon sehen? Der ist einfach viel zu verrückt. Der ist wunderbar, ein toller Typ. Ich gehe ins Kino, finde Johnny Depp super und frage mich: „Was macht der denn in so einem Film?“.

 

Sie sind kürzlich 58 geworden. Denken Sie manchmal an den Ruhestand?

Ich habe schon öfter daran gedacht, dass ich mal ganz nach Spanien ziehen könnte, ein bisschen Gitarre spielen und am Strand rumlaufen. Aber vielleicht wird es zu langweilig, wenn ich nicht auftrete. Und ich muss das auch machen. Es zeigt sich auf der Tour wieder, dass die Leute jemanden brauchen, der so etwas macht. Es gibt ja sonst keinen. Ich bin auch ein bisschen traurig, weil ich nicht so viel Land für Nachfolger sehe. Die jungen Leute haben es schwer. Ich habe damals vor zwei Leuten in kleinen Hinterhoftheatern angefangen, diese Möglichkeiten gibt es heute in dieser Form nicht mehr.

 

Außerdem will man heute schnell berühmt werden, zum Beispiel in Castingshows.

Richtig. Und das geht nach hinten los. Leben ist immer noch viel, viel wertvoller als der kurze Ruhm. Das ist ein Beruf, der ein ganzes Leben halten muss, wie Schuster oder Zahnarzt. Ich habe mich früh dazu entschieden, unbequem zu sein und meine Arbeit zu lieben. Ich war stolz, vor zwei Leuten aufzutreten. Wenn am nächsten Tag vier da waren, war ich noch stolzer. Dann haben die beiden nämlich gepetzt.

 

Andreas Kunze, der in jedem Ihrer Filme vertreten war, ist 2010 verstorben. Fehlt da etwas?

Es ist eine andere Atmosphäre, wenn jemand fehlt, natürlich. Ganz klar hätte ich mit ihm einen tollen Film auf die Beine gestellt, der wäre aber ganz anders geworden. Ich hätte mich auf ihn eingestellt. Andreas war schon in „Jazzclub“ sehr gehandicapt. Er hatte einen Herzschrittmacher und war ja  sehr gewichtig. In einem Film mitzumachen, ist körperlich sehr anstrengend.

 

Die Fragen stellte André Wesche.