André Wesche im Gespräch mit Oscar-Preisträger Luc Jacquet

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Wer im Kino Zeuge der unglaublichen „Reise der Pinguine“ wurde, wird die gefiederten Sympathieträger für immer mit anderen Augen sehen. Naturfilmer Luc Jacquet (46) wurde für sein beeindruckendes Werk 2006 mit einem Oscar für den „Besten Dokumentarfilm“ ausgezeichnet. Ein Jahr späte legte der Franzose den Spielfilm „Der Fuchs und das Mädchen“ nach, der sich an eine jüngere Generation von Naturfreunden wandte. In seinem aktuellen Werk macht Luc Jacquet Bäume zu Filmhelden. Ein Gespräch.

Monsieur Jacquet, es sind zumeist die Tiere, die im Mittelpunkt von Naturfilmen stehen. Finden wir Pflanzen weniger „sexy“?

Pflanzen bewegen sich nicht, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Der Mensch hat überlebt, weil er sich bewegen konnte. Nur so war es ihm möglich, zum Jäger zu werden und seine Beute zu erlegen. Pflanzen bewegen sich für unser menschliches Auge nicht schnell genug. Die große Herausforderung bei diesem Film bestand darin, das völlig andere Zeitempfinden deutlich zu machen, dass in der Welt der Pflanzen herrscht. Das ist eine Lektion, die uns die Bäume erteilen. Wie jedes andere Lebewesen auch müssen sie sich vor Schädlingen schützen. Sie müssen sich ständig neu erfinden, um in ihrer Umwelt zu bestehen und sich zu wehren. Wir möchten in unserem Film zeigen, mit welchen faszinierenden Strategien Bäume und andere Pflanzen diesen Überlebenskampf führen.

Sind Bäume im Vergleich zu Tieren die unkomplizierteren Filmstars oder bringen sie nur Schwierigkeit anderer Art mit sich?

Bei Tieren kann man als Regisseur der Illusion erliegen, man könne sie führen. Bäume sind erst einmal leichter zu „führen“. Aber normalerweise ist die Kamera ja die Metapher für das menschliche Auge, das war in diesem Fall das Problem. Das menschliche Auge ist nicht dazu in der Lage, die Bäume so zu sehen, wie sie einem in ihrer großen Weite wirklich erscheinen. Wir mussten die technischen Mittel schaffen, um diese enorme Ausdehnung darstellen zu können.

Wie groß war der Einfluss des Botanikers Francis Hallé, der durch den Film führt?

Ich habe mich dazu entschieden, mich voll und ganz in den Dienst von Francis Hallé zu stellen. Ich fungierte als eine Art Mittelsmann seiner Gedanken. Ich wollte, dass man seine Arbeit versteht und erkennt, was dieser Mann bisher geleistet hat. Er war eine große Inspiration für mich und unser Film trägt seine Gedanken weiter.

Wann kam der Gedanke auf, bestimmte Zusammenhänge mittels Animationen zu erklären und wie haben Sie den ungewöhnlichen Stil dieser Animationen entwickelt?

Die Idee war, eigentlich Unsichtbares auf eine ästhetische Art und Weise darzustellen, etwa die Bäume auch in ihrem Wachsen zu zeigen. Als Botaniker zeichnet man sehr oft, was man sieht. Das hat Francis Hallé hier auch gemacht. Mir war es nur wichtig, dass es in der Darstellung nicht zwiespältig wird. Man soll deutlich unterscheiden können, was real geschieht und was meine Interpretation davon ist. Ich wollte eine Animation schaffen, die sich von einer pseudo-naturalistischen Darstellung unterscheidet, um den Zuschauer nicht zu verwirren. Éric Serre, ein Mitarbeiter des renommierten Trickfilmers Michel Ocelot, der Filme wie „Kiriku und die Zauberin“ gemacht hat, überzeugte mich letztendlich mit seinem Stil. Hinzu kam, dass Éric Serre auch sehr viel von Pflanzen versteht. Deshalb kam ihm die Aufgabe zu, den animierten Teil zu übernehmen.

War James Camerons Film „Avatar“ eine Inspiration für Sie, in dem ein großer Baum eine zentrale Rolle spielt?

Einen direkten Einfluss von „Avatar“ auf mich oder den Film gab es nicht. Ich fand es aber wunderbar, wie James Cameron in seinem Film das versucht, was auch viele Wissenschaftler anstreben: zu ergründen, wie Menschen untereinander mit sich umgehen. Er hat das natürlich sehr physisch und in der Fiktion dargestellt, während ich eher im Dokumentarischen arbeite. Aber ich kann, so glaube ich, mit aller Bescheidenheit behaupten, dass James Cameron und ich erst einmal von derselben Materie ausgehen, auch wenn wir dann ganz unterschiedliche Wege beschreiten. Der Ausgangspunkt ist immer der Versuch, das Universum zu erklären. Cameron ist sehr weit dabei gegangen, wie er es in der Fiktion in Szene gesetzt hat. Aber letztendlich ist es dass, was Cineasten ausmacht: Sie versuchen, den Zuschauer in neue Welten vordringen zu lassen.

Die Fragen stellte André Wesche.

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