Ernüchternde Bilanz bei Vogelschutzmaßnahmen an Strommasten

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Die Hälfte der Flächenländer hat den Zeitraum zur Umrüstung von Vogelschutzmaßnahmen an Strommasten verschlafen. Laut NABU Thüringen stellen im Freistaat immer noch viele Masten tödliche Vogelfallen dar. Rund 70 Prozent der Todesfälle von Weißstörchen gehen auf das Konto von Stromleitungen. Der NABU Thüringen fordert daher alle Netzbetreiber auf umgehend zu handeln.

Bis zum 31. Dezember 2012 haben die Netzbetreiber in Deutschland noch Zeit, Maßnahmen an Mittelspannungsfreileitungen in Deutschland umzusetzen, die Stromschläge bei Vögeln verhindern. Mit Blick auf den bevorstehenden Fristablauf zieht der NABU Bilanz: Von den identifizierten gefährlichen Strommasten der aktuell existierenden 120.000 Kilometer Mittelspannungsleitungen in den jeweiligen Versorgungsgebieten der Bundesländer wurden bisher etwa 60 Prozent entschärft, wie aus einer NABU-Umfrage bei den zuständigen Landesministerien hervorgeht. Es ist begrüßenswert, dass einige Bundesländer und Energieversorger die permanente Gefahr für tausende Vögel, an Strommasten zu verenden, erkannt haben und engagiert angegangen sind. Leider hat die Hälfte der 13 Flächenländer die zehn Jahre zur vollständigen Umrüstung verschlafen.

Auch einige Energiebetreiber in Thüringen zählen laut Tino Sauer zu den Langschläfern. Der Vogelexperte ist Mitglied im Landesvorstand des NABU Thüringen und berichtet: „Die Situation im Freistaat sieht noch immer besorgniserregend aus. Die Energiebetriebe haben zwar in wichtigen Vogelschutzgebieten schon einiges umgerüstet, es kommt nun aber darauf an, flächendeckend die gesetzlichen Schutzmaßnahmen umzusetzen. Es waren 10 Jahre dazu Zeit, aber immer noch stellen viele Masten tödliche Vogelfallen dar und sind noch nicht entschärft. Auch einige frühere bereits angebrachte Schutzvorkehrungen sind mittlerweile oft unwirksam geworden“.

Das Bundesnaturschutzgesetz schreibt seit 2002 vor, dass neue Strommasten vogelsicher zu bauen und bestehende gefährliche Mittelspannungsmasten bis Ende 2012 technisch nachzusichern sind. Die zugrunde liegenden Vorschriften gelten deutschlandweit als verbindlich. Vogelschutzmaßnahmen sind notwendig, weil insbesondere große Vögel, wie Störche, Greifvögel und Eulen, auf Strommasten landen und so Erd- oder Kurzschlüsse auslösen.

„Bei uns im Land stellen die Stromleitungen die Hauptgefahr für den Weißstorch dar, rund 70 Prozent der Todesfälle gehen auf das Konto der Strommasten. Dabei könnten die Masten mit Schutzhauben, Markierungen oder Isolationstechnik dagegen mit einem geringen Aufwand gesichert werden“, erklärt Sauer.

Thüringen zählt neben Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern zu den Ländern, die auf die NABU-Abfrage zum Stand der fristgemäßen Umrüstung nicht geantwortet haben.

Unter den Ländern mit den größten Mittelspannungsnetzen befindet sich lediglich Nordrhein- Westfalen bei der Umrüstung nah am Ziel. Hier sollen nach Angaben der zuständigen Behörden bisher rund 52.000 von 63.000 gefährlichen Masten gegen den Vogel-Stromtod gesichert worden sein. Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt sind mit über 70 Prozent Umrüstungsbestand optimistisch, die Frist einhalten zu können.

Sechs Monate vor Fristende hat kein einziges Flächenland eine vollständige Entschärfung erreicht. Auch einige Leitungen in Kernzonen von Vogelschutzgebieten sind in Thüringen noch immer als „elektrische Stühle“ zu betrachten. So verlaufen im SPA Nr. 16 im Umfeld des „Speicher Dachwig“ zwei Leitungen, an denen in den letzten Jahren Uhu, Rotmilan, Rohrweihe, Sumpfohreule und im letzten Winter auch eine Rohrdommel verendeten. „Wir sind gespannt, wie die säumigen Netzbetreiber in Thüringen bis zum Jahresende die 100 Prozent erreichen wollen und fordern dazu auf, dem Sicherungsbedarf der Masten endlich nachzukommen“, sagt Sauer.

Auf der Internetseite des NABU Thüringen können verunglückte Großvögel gemeldet werden: www.NABU-Thueringen.de

Weitergehende Infos des NABU Bundesverbandes:

Ein effektiver Vogelschutz ist die Erdverkabelung, die 2010 bundesweit bereits 75 Prozent bei der Mittelspannung ausmachte. Einzig und allein die Stadtstaaten können so eine fristgemäße Umrüstung vorweisen. So waren Berlin und Hamburg bereits 2006 fertig und Bremen steht kurz vor Abschluss der Erdverkabelung. Aber auch in Flächenländern, wie Schleswig-Holstein, geht es bei der Risikoverminderung voran: Bei der Entschärfung 187 sensibler Leitungsbereiche bis zum Jahresende werden dort bereits drei Viertel der Mittelspannungs-Leitungen unter die Erde verlegt sein.

Andere Länder, wie Hessen oder Bayern, beschränken sich bei ihren Umrüstungsplänen nur auf EU- Vogelschutzgebiete oder Brutvorkommen besonders bedrohter Arten. Aus Sicht des NABU macht eine zeitliche Priorisierung auf Gebiete mit dem dringendsten Handlungsbedarf innerhalb der Zehn- Jahres-Frist durchaus Sinn, reicht aber nicht aus. Für einen effektiven Vogelschutz ist es notwendig, über die Schutzgebietsgrenzen hinweg flächendeckend alle Masten sicher gegen Stromschläge zu machen. Gerade besonders geschützte Großvogelarten, wie etwa Schwarzstorch und Seeadler, die dank erfolgreicher Schutzkonzepte in ihren Beständen wieder zunehmen, müssen sich ausbreiten können.

Brutvorkommen seltener Großvögel gibt es gerade im Norden Deutschlands. Umso schwerer wiegt es, dass gerade Brandenburg und Niedersachsen die Schlusslichter bei der Befragung darstellen. Mit den in Brandenburg augenscheinlich fehlenden Kenntnissen über den tatsächlichen Bestand gefährlicher Masten und über den Sicherungsbestand, muss hier zunächst noch Grundlagenarbeit geleistet werden. In Niedersachsen wurde bisher nur jeder dritte Mast umgerüstet. Verzögerungen sind dadurch vorprogrammiert. Es ist notwendig, dass in der verbleibenden Zeit alles unternommen wird, um auch in diesen Ländern Fortschritte zu erzielen. Die Erfolge müssen zudem von Instanzen geprüft werden, die vom Netzbetreiber unabhängig sind und die Kontrollen ab 2013 weitergeführt werden.

Für Rückfragen zur bundesweiten Situation:

Eric Neuling, NABU-Experte für Stromnetze und Naturschutz, Tel. 030-284984-1812

Vollständige Liste der Ergebnisse aus der Befragung nach Bundesländern im Internet zu finden unter www.NABU.de/netzausbau

(Foto: Bernhard Frey)