KneipenKultTouren

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Meine Großmutter Alexandrine – eine so wunderbare wie wunderschöne Frau – pflegte eine poetische Sprache, reich an Metaphern. Selbst Banalem gewann sie stets Besonderes ab. Begegneten ihr ungewöhnliche, erstaunliche Zeitgenossen, so sprach sie oft, ihrer Ver- und Bewunderung Ausdruck gebend: „Gottes Garten ist groß und bietet vielen Geschöpfen Platz …“

Auch solchen wie Jens Rönnpagel und Ralph-Uwe Heinz. Beide – zumindest in Gotha! – besser bekannt als Urwaldrumpel-Schaffner Hänser und Ex-„Riesen“– Kneipier Schluder. Ich hatte jetzt das ausgesprochen große, wie wohl auch körperlich anstrengende Vergnügen, beider Bekanntschaft zu machen.

Hänser und Schluder sind eigentlich noch nicht ihren Kinderschuhen entwachsen. Geboren wurden sie 1999. Haben mit dem Zeichner Kai Kretzschmar und dem Autor Andreas M. Cramer gleich zwei Väter, aber scheinbar keine Mutter.

Dies beweisfest und gerichtsverwertbar herauszubekommen, wäre übrigens ein Fall für investigativen Journalismus, wozu ich aber heute nicht in der Lage bin – die Erklärung folgt weiter unten!

Also: Die scheinbar fehlende Mama ersetzten Mutterwitz und -sprache. Die beiden zerrissen sich zunächst vier Jahre lang und in rund 200 Comics, neudeutsch auch Bild-Geschichten, in der „Tagespost/TLZ“ ihre „goth’schen Guschen“ über das gothaische Tagesgeschehen. Die mundartlichen Maulhelden verlegten sich dann sogar aufs Bücherverlegen: 2001 kam ihr „Kleines goth’sches Schimpfwörterbuch“ heraus. 2005 folgten – zweisprachig, auf hochdeutsch und „off echd goodsch arzehld“ – Gothaer Sagen.

Und als der Lenz uns 2010 grüßen wollt, wurden aus den fiktiven zwei handfeste Originale. Die Rollen scheinen Jens Rönnpagel und Ralph-Uwe Heinz auf den Leib geschneidert, wobei sie – mal ganz ehrlich und unter uns UHUs gesprochen! – Pat & Patachon nicht unähnlich sind. Für die Jüngeren unter der geneigten Leserschaft zur Erläuterung: Carl Schenstrøm (1881–1942) als Pat (original Fyrtaarnet: „Leuchtturm“) und Harald Madsen (1890–1949) als Patachon (Bivognen: „Beiwagen“) waren „Fy og Bi“, wie das dänische Komikerduo der Stummfilmzeit im Original hieß und machten von 1921 bis 1940 etwa 55 Filme.

Doch zurück zur grandiosen Gothaer Gegenwart: „Leuchtturm“ Hänser und „Beiwagen“ Schluder (der auch als mittelalterlicher Herold und Mönch namens „Radolf zu Duringen“ seinem komödiantischen Affen Zucker gibt) laden seit einem Jahr in die „Sagenhafte Innenstadt“ zur Stadtführung.

Scheinbar beruflich wie privat nicht ausgelastet – oder aber so sehr in ihren Rollen aufgehend – (ver-)führen sie seit einem halben Jahr nun auch noch ahnungslose Menscher auf „KneipenKultTouren“.

Dafür sollte man(n und frau) einigermaßen trinkfest und zudem gut zu Fuß sein: Zehn kultige Orte kulinarisch-närrischer goth’scher Gastronomie werden abgeklappert. Zum einen wird bei jedem Etappenziel ein kneipentypisches Getränk gereicht. Während werdende Mütter, Weicheier und Warmduscher wunschgemäß auch Alkoholfreies bekommen, schütten sich die anderen mehr oder minder Drehendes in die Birne – immer begleitet von wortgewitzten Dialogen der beiden „Sauf“tour-Guides. Zum anderen spult man in den rund fünf Stunden (!) etliche Meter über die nur mäßig fußschmeichelnden Pflaster- und sonstigen -straßen Gothas ab. So zeitaufwendig ist der Trink-Trip aber auch wegen der wachsenden gruppendynamischen Effekte des Einander-Kennenlernens und Ins-Gespräch-Kommens.

Ich gestehe, dass ich nach acht von zehn Etappenzielen genug hatte. Nun; zwar nicht genug für die Leber (auch wenn der eingenommene Mix aus diversen Bieren, Sekt, Cocktails, alkoholisierten Kaffee-Spezialitäten etc. mich jetzt mit einem leichten Haarwurzelkatarrh beglückt) und vom liebevollen Labern. Aber genug vom Latschen. Einermeiners Philosophie ist schließlich: Hätte der Herrgott gewollt, dass ich viel laufe, wäre ich ein Vierbeiner geworden …

Seid versichert; Ihr, die Ihr dies noch nicht erlebt habt: Es wäre ein unwiederbringlicher Verlust, sich diese kuriosen, komischen Geschichten – zudem „off echd goodsch arzehld“ – entgehen zu lassen. Die nächste Tour am 15. April ist zwar schon ausverkauft. Aber für die am 20. Mai bestehen noch Chancen, die zur Teilnahme erforderlichen „Passierscheine“ zu bekommen.
Mehr online: http://echt-gothsch.de!

Publiziert: 26. März 2011, Veröffentlicht im Magazn Oscar am Freitag – Ausgabe Gotha – am 25. März 2011