„Mir ist ein Gorilla von der Schulter gefallen“

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An Tagen wie diesen nimmt BiG-Präsident Dirk Kollmar im Eifer des Gefechts auch gerne mal einen Spieler auf die Schultern. Gestern jedoch war nicht sofort ein Akteur greifbar. Also schnappte er sich alternativ das Mikro, stimmte ratzfatz die Humba an, hüpfte singend übers Oettinger-Logo im Mittelkreis und spendierte dem jubelnden Anhang schließlich Freibier bis zum Zapfenstreich.

Zu diesem Zeitpunkt glich die „Blaue Hölle“ längst einem Tollhaus, in dem der zweite Heimsieg der Oettinger Rockets Gotha in dieser Saison, zugleich ihr höchster Erfolg in der ProA überhaupt, und das gelungene Head-Coach-Debüt von Christoph Nicol ausgelassen gefeiert wurden.

Die Fans sangen das Repertoire an Feiergesängen rauf und runter. Spieler, Trainer und Betreuer lagen sich jubelnd in den Armen. Selten zuvor war die kollektive Erleichterung über ein Erfolgserlebnis intensiver erlebbar als gestern. Diese Stimmung brachte US-Boy Chase Griffin am Ende der Partie tierisch gut auf den Punkt: „Es fühlt sich so an, als wäre mir ein Gorilla von der Schulter gefallen!“

Mit anderen Worten: Die Rockets haben dem beachtlichen Druck standgehalten und am Ende einer äußerst turbulenten Woche einen der wichtigsten Siege der Vereinsgeschichte errungen. Denn der Aufsteiger behielt gegen den Tabellenelften Nürnberger BC mit 103:91 (60:33) die Oberhand und verschaffte sich für den Moment ein wenig Luft.

Deshalb kostete das Team diesen Erfolg in vollen Zügen aus – auch in dem Bewusstsein, dass es am Montag wieder heißt: Auf ein Neues! Denn bereits am nächsten Samstag steigt das letzte Heimspiel des Jahres: Die Rockets erwarten dann Tabellennachbar Crailsheim Merlins in der „Blauen Hölle“ – und wollen selbstredend nachlegen.

Grundstein für den Sieg gegen die Nürnberger, die in der gesamten Partie nicht ein einziges Mal in Führung lagen, war eine starke erste Halbzeit. Von der ersten Minute an machten die Rockets deutlich, dass sie mit unbedingtem Willen zeigen wollten, was in ihnen steckt. Dabei war es in der Anfangsphase vor allem Dmitrij Kreis, der vehement zur Attacke blies. Er pfückte den ersten Rebound der Begegnung, verbuchte den ersten Ballgewinn und erzielte seine vier Punkte allesamt in den ersten drei Minuten.

Lediglich in dieser Zeit konnten die Gäste den Spielstand ausgeglichen gestalteten – anschließend zogen die Rockets unaufhaltsam davon. Torvoris Baker markierte mit dem ersten erfolgreichen Dreier (18:13 / 5.) den Ausgangspunkt für einen 10:0-Lauf (25:13 / 7.). Im zweiten Durchgang bauten die Hausherren den Vorsprung dann kontinuierlich aus.

Letztlich erzielten die Gothaer bis zur Pause 60 Punkte – und somit exakt so viele Punkte wie im Thüringen-Derby gegen Science City Jena im gesamten Spiel. Hingegen genehmigten sie den Gästen nur 33 Zähler. Zupass kam ihnen dabei, dass die Nürnberger die erste Halbzeit verschliefen. NBC-Coach Martin Ides sagte nach dem Spiel: „Wir saßen da gedanklich wohl noch im Bus!“

Ganz anders klang die Einschätzung von Christoph Nicol, der vor dem Abendspiel bereits die Rockets-Reserve (2. Regionalliga) zu einem souveränen 75:61-Heimsieg gegen den BV Chemnitz 99 II und zum achten Erfolg in Serie geführt hatte. Einen zusätzlichen Stellenwert bekommt dieser Triumph auch durch die Tatsache, dass „Coach Carter“ (Nicols Spitzname) im Nachmittagsspiel auf Marquise Carter, seinen wichtigsten „Reservisten“, verzichtete. Der US-Boy kam im ProA-Team zum Einsatz, weil Ahmad Smith und Trayvon Laythan gestern aus disziplinarischen Gründen nicht zum Kader gehörten. Beide saßen lediglich auf der Bank ­– in zivil.

Doch auf einzelne Namen ging Christoph Nicol nach der Begegnung nicht ein – vielmehr stellte er die Leistung des Teams in den Vordergrund: „Wir haben das umgesetzt, was wir uns vorgenommen hatten, stark verteidigt und in der Offense konsequent den Korb attackiert oder wieder raus gespielt und freie Würfe genommen. Abgesehen von Foulproblemen, die aber beide Seiten hatten, war das von uns eine sehr, sehr gute erste Halbzeit.“

Nach dem Seitenwechsel konnte Leo Niebuhr den Vorsprung mit zwei sicher verwandelten Freiwürfen zunächst auf 29 Punkte erhöhen. In der Folge kamen die Nürnberger zwar besser in Fahrt, was sich im Vergleich zur ersten Halbzeit vor allem in einer deutlich besseren Trefferquote widerspiegelte.

Ernsthaft in die Bredouille gerieten die Rockets an diesem Abend jedoch nicht mehr – vor allem, weil sie auch in kniffligen Situationen die Nerven behielten und keinen Zweifel daran ließen, wer das Parkett als Sieger verlassen wird. Zudem wurden sie, wie Christoph Nicol im Interview mit Höllensprecher Jeffrey Hey betonte, einmal mehr von den Fans getragen und beflügelt: „Die Stimmung war heute wieder sensationell – dafür möchte ich mich im Namen der Mannschaft bei allen Fans herzlich bedanken!“

Für zwei spektakuläre Highlights sorgte derweil Torvoris Baker, der mit 24 Punkten zum Top-Scorer und obendrein zum effektivsten Spieler der Partie avancierte. Er verwandelte im dritten Abschnitt zunächst einen Alley-oop-Pass von Jan Lipke zum 73:47 (25.) und glänzte im Schlussdurchgang mit einem Tip-In-Dunking zum 91:73 (34.). Von den Sitzen riss es bei der zweiten Aktion jedoch keinen mehr – schließlich standen zu diesem Zeitpunkt längst schon alle Rockets-Fans und bereiteten sich aufs stimmungsvolle Finale vor. „Wir woll’n die 100 seh’n, wir wollen die 100 seh’n“ hallte es durch die „Blaue Hölle“. Kurz darauf sorgte Jan Lipke per Freiwurf für den 100. Punkt (100:81 / 38.).

Der Rest war Party. Doch die ist spätestens morgen Geschichte.

Nächsten Samstag kommt Crailsheim.

Autor: Wolfgang Gleichmar