Mit dem gestiefelten Kater durchs Schloss

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Am 12. Mai 2012 eröffnet die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha eine ungewöhnliche Ausstellung. „Märchenschloss Friedenstein – Gotha erzählt“ stellt herausragende Objekte der Sammlungen des Schlosses wie auch unbekannte Fundstücke in einen märchenhaften Zusammenhang: Ein Pilgergewand, das Kaiser Maximilian vor genau 500 Jahren trug, oder ein Koffer, der 1912 nicht mit der „Titanic“ unterging, aber auch der malträtierte Schädel eines Hingerichteten, wunderliche Hexenakten, Räuberpistolen und zauberhafte Exponate aus „Tausendundeiner Nacht“ sind zu sehen.

Über Jahrhunderte wurden auf Schloss Friedenstein märchenhafte Objekte aus aller Welt zusammengetragen. In der Ausstellung erzählen sie ihre berührenden Geschichten über Kaiser, Könige, Prinzessinnen, Tunichtgute, Hexen, Glückssucher und Alchimisten und erinnern so an eine Zeit, „wo das Wünschen noch geholfen hat“.

Zehn Kapitel stellen „Arm und Reich“, „Gefährliche Reisen“, „Glücksbringer und Talismane“, „Ferne Wunderwelten“, „Alchemie und Erkenntnis“ oder „Üble Gesellen“ vor. Eine eindrucksvolle Inszenierung ausgewählter Objekte lässt Kaiser und Könige, Prinzen und Prinzessinnen, Tunichtgute und Glückssucher lebendig werden. Nach dunklen Abenteuern wartet am Ende mit Schatzfund und Prinzenhochzeit das lichte Glück: „Und wenn sie nicht gestorben sind…“

Die Geschichten vom „Märchenschloss Friedenstein“ werden in der Ausstellungshalle erzählt, finden aber ihre Fortsetzung im Schlossmuseum, wo im Fliederzimmer des Westflügels das Kapitel „Märchen in Thüringen“ erzählt wird und weitere Exponate im Rundgang entdeckt werden können.

Zur Ausstellung erscheint zum Preis von 24,95 € (auf Schloss Friedenstein zum Sonderpreis von 19,95 €) ein umfangreicher Katalog (184 Seiten, zahlreiche Abbildungen) im mitteldeutschen verlag Halle, in dem neben dem umfangreichen Katalogteil Beiträge zum Thema „Märchen in Thüringen“ oder zu den Aufenthalten der Brüder Grimm in Gotha zu finden sind.

Die Märchenstruktur der Ausstellung

Man kann aus dem Vollen schöpfen, wenn man geschichts- und geschichtenträchtige Exponate aus den Beständen von Schloss Friedenstein zusammenstellen möchte. Früh schon war klar, dass der Leitfaden der Ausstellung das Märchenhafte sein würde. Und nicht nur die Ausstellungsstücke selbst lieferten Geschichten, auch die Ausstellung als Ganzes sollte sich der Erzählstruktur eines Märchens anpassen: Schlossmärchen im Märchenschloss.

Wenn man Märchen ganz allgemein betrachtet, haben sie einen weitgehend festgelegten, stereotypen Personenbestand. Abgesehen von den Protagonisten entwickeln sich die Figuren selten weiter. Hexen und Schwiegermütter sind alt und böse, Könige oder Königinnen auf Gut oder Böse festgelegt. Dieses Persönlichkeitsschema gibt den Rahmen ihrer Handlungsmöglichkeiten vor, mit dem sich die Protagonisten in ihrem märchenhaften Entwicklungsroman auseinandersetzen müssen. Ausgangspunkt ist eine geordnete Welt: Arm und Reich wissen, wo sie hingehören und wie sie sich zu verhalten haben. Nun tritt eine Veränderung ein, oftmals sehen sich junge Menschen einem Problem gegenüber. Entweder haben sie eine Aufgabe zu lösen oder sie drängen nach Erkenntnis. Dabei haben sie böse Zauber zu überwinden, wobei ihnen ihr persönlicher Mut und die guten Kräfte einer Fee oder vielleicht eines in ein Tier verwandelten Menschen weiterhelfen.

Am Ende ist das Böse überwunden, ein Schatz – auf zwei Beinen oder in klingender Münze – wartet als Belohnung. Dieser dreigliedrigen Struktur folgt die Ausstellung Märchenschloss Friedenstein: Heile Welt – Reise, Gefahren und Abenteuer – Belohnung durch Heirat oder Schatzfund.

Im Fliederzimmer des Westflügels geht das Kapitel Märchen in Thüringen auf Ludwig Bechstein, Johann Karl August Musäus und den Aufenthalt der Brüder Grimm in Gotha ein. In der Ausstellungshalle illustrieren zehn weitere Kapitel die Märchenwelt der Sammlungen von Schloss Friedenstein. Am Anfang steht die Heile Welt, in der Oben und Unten, Arm und Reich, Gut und Böse klar zugeordnet sind. Vor allem die Machtverhältnisse sind eindeutig: Fürsten auf der einen, die einfache Bevölkerung auf der anderen Seite. Dies machen die Kapitel Arme Leute und Fürstlicher Glanz deutlich. Für die Armut stehen beispielsweise schäbige Kleidung und Hungerbrötchen aus Zeiten der Not, für die Gegenwelt ein prachtvolles Gewand Kaiser Maximilians und Erinnerungsstücke an die Besuche Kaiser Napoleons in Gotha.

Den Anlass für die Geschichte im Märchen liefert eine Veränderung der Grundsituation, sei es ein Problem, eine unerwartete Gefahr, der Drang nach Erkenntnis. Die Geschichte beginnt daher mit dem Aufbruch in das Neue, der im Kapitel Gefährliche Reisen dargestellt wird. Mit den Beispielen des Schiffbruchs von Prinz Johann Wilhelm vor der schwedischen Küste im Jahre 1732 und der USA-Reise von Hans und Hanna Brier aus Gotha, die 1912 nicht auf der Titanic stattfand,
beginnt der Aufbruch ins Unbekannte. Für Abenteuer muss man gewappnet sein. Deshalb zeigt das Kapitel Glücksbringer und Gegenzauber die Welt der Talismane und der Weissagungen, die die Gefahren abwenden oder wenigstens vorhersehbar machen sollen.

Im Märchen drohen die verschiedensten Gefahren. Hexen und böser Zauber verweist auf jene Frauen, die im Märchen immer alt und böse sind. In der Wirklichkeit Thüringens waren die Hexenprozesse, die oftmals gegen der Teufelsbuhlschaft verdächtige junge Frauen und auch gegen Männer geführt wurden, schlimme Übergriffe gegen Unschuldige. Das anschließende Kapitel geht auf das Räuberwesen ein und die Maßnahmen, die von der Obrigkeit gegen Üble Gesellen getroffen wurden. Märchen spielen nicht allein in der heimischen Welt. Gerade die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht erwecken Ferne Wunderwelten zum Leben, die auf Schloss Friedenstein vor allem durch exotische Raritäten erfahrbar wurden: China, Japan, Indien und der Orient waren in Gotha wie im ganzen Abendland vor allem im 18. Jahrhundert überaus beliebt, da sie eine geheimnisvolle und erotischexotische Welt erfanden, die nur am Rande mit der Wirklichkeit übereinstimmte.

Die Abenteuer, die in einem Märchen durchlebt werden, sind Teil eines Erkenntnisweges, der zu einer höheren Wahrheit führt. Alchemie und Erkenntnis mit dem Drang nach Allheilmitteln oder dem zauberhaften Stein der Weisen gehören deshalb zum Märchen. Geheimnisumwitterte Forscher und Alchemisten, die ihre Vorbilder in Paracelsus oder Faust haben, sind längst Bestandteil der Märchentradition. Hat man die Gefahren, die Räuber oder die widrigen Kräfte überwunden, warten Kostbare Schätze, Truhen voll funkelnder Münzen oder kostbare Steine aus einem verwunschenen Berg. Ist der Prinz entzaubert oder Aschenputtel wieder aufgefunden, steht eine Hochzeit an: Das glückliche Ende eines langen und schwierigen Weges im Märchen.

Der gestiefelte Kater als zentrales Motiv

Wie keine andere Figur im Märchen ist „Der gestiefelte Kater“ der ideale Begleiter durch das Märchenschloss, weshalb er als Motiv für Plakat und Katalog ausgewählt wurde. Denn schließlich ist es der Kater, der dem Müllerburschen im Märchen zu einem Schloss verhilft.

Die Handlung in der Fassung der Brüder Grimm ist schnell erzählt. Die drei Söhne eines Müllers werden im Erbe unterschiedlich bedacht. Der jüngste scheint am schlechtesten abgeschnitten zu haben, da er nur einen Kater bekommt. Der aber erweist sich als ungewöhnlicher Glücksfall. Er kann sprechen, ist listig, dienstfertig und verhilft dem Müllerburschen nicht nur zu neuen Kleidern, zu Ländereien und einem Grafentitel, sondern letztendlich auch zu einem Schloss und einer Prinzessin. Das Schloss gewinnt der Kater von einem Zauberer, der sich zum Beweis seiner Zauberkräfte vor dem Kater in einen Elefanten, einen Löwen und schließlich in eine Maus verwandelt. Der Kater fackelt nicht lange und verschlingt die Maus, dann bereitet er die Dienerschaft vor und öffnet die Türen für seinen Herrn, den König und dessen Tochter.

Und wie der Müllerbursche dürfen sich die Besucher der Ausstellung und die Leser des Kataloges fühlen, denen beim Eintritt in die Ausstellungshalle bzw. beim Aufblättern des Kataloges ein ganzes Märchenschloss zu Füßen gelegt wird.

Umfang und Leihgeber

Die Ausstellung umfasst ca. 250 Exponate aus den Bereichen Kunst, Naturkunde, Geschichte, Volkskunde etc. Alle Ausstellungsstücke stammen aus den Sammlungen von Schloss Friedenstein. Leihgeber sind daher die Forschungsbibliothek Gotha und das Thüringische Staatsarchiv Gotha, die außergewöhnliche Stücke aus ihren Beständen für diese Ausstellung zur Verfügung gestellt haben.

Kinderrundgang

Wie bereits bei der Ausstellung „Elefantastisch! – Gotha ganz groß“ im vergangen Jahr wird es auch bei „Märchenschloss Gotha“ kleine Informationstafeln für Kinder geben, die so auf eigene Faust die Märchenwelt der Ausstellung entdecken können.

Rahmenprogramm und Begleitausstellungen

Ein umfangreiches museumspädagogisches, wissenschaftliches und kulinarisches Rahmenprogramm für Kinder, Erwachsene und Familien sowie zwei Begleitausstellungen machen die Ausstellung von Mitte Mai bis Ende Oktober zu einem wiederkehrenden Anlaufpunkt, der immer neue Attraktionen bietet.

„Märchenhafte Genüsse“ verspricht eine Kooperation mit dem Hotel am Schlosspark Gotha. An fünf „zauberhaften Abenden“ lässt sich die Welt der Märchen nicht nur mit Auge und Ohr, sondern nach einer Führung durch die Ausstellung im Hotel am Schlosspark auch mit dem Gaumen erkunden. Karten für 55 € sind im Hotel und an der Schlosskasse erhältlich. Auch das museumspädagogische Sommerferienprogramm steht ganz im Zeichen der Märchen. Veranstaltungen wie „Auf den Spuren des gestiefelten Katers“, „Die weiße Frau von Schloss Friedenstein“ oder „Tiere im Märchen“ machen neugierig.

„Höfische Festlichkeiten“, „Märchenhafte Hochzeiten“, „Burgen, Schlösser und Türme im Märchen“ oder „Märchenhafte Pflanzen und deren Gärtner“ sind die Themen der Vorträge, denen sich noch eine Lesung des Kurd Laßwitz-Stipendiaten der Stadt Gotha 2012, Reinhard Griebner, hinzugesellt.

Neben den normalen Ausstellungsführungen sind erstmals mehrere Führungen zum „Alltag im Märchenschloss“ im Angebot, bei denen es um Badekultur, Tischsitten und andere Gepflogenheiten zu herzoglichen Zeiten geht. Sie werden bei Interesse des Publikums ins Standardprogramm übernommen. Bei diesem Schlossrundgang werden einmal andere Türen geöffnet als sonst, nicht die Kunst und Architektur stehen im Vordergrund, sondern die alltäglichen Probleme einer herrschaftlichen Hofhaltung.

Auch das diesjährige Ekhof-Festival widmet sich den Märchen. An die „Erzählungen aus 1001 Nacht“ wird mit der Oper „Sardanapalus“ von Christian Ludwig Boxberg angespielt. Das im 250. Jahr seiner Uraufführung gespielte Schauspiel „Turandot“ von Carlo Gozzi aus dem Jahre 1762 zählt zu den Feenmärchen. Wie jedes Jahr sind darüber hinaus das Kinderfest Anfang Juni, das Barockfest Ende August, das Fest der Museumslöwen Mitte September und die Museumsnacht Ende Oktober im Programm. Der ganze märchenhafte Veranstaltungsreigen ist dem Faltblatt im Anhang zu entnehmen.

In der Kabinettausstellung „König, Hexe, Prinz und Fee“ (3. Juni bis 28. Oktober) werden Arbeiten von Kindern zum Thema Märchen präsentiert. Ausgewählte Fotoarbeiten aus dem Fotowettbewerb der Museumslöwen zeigt die Ausstellung „Märchenhafte Natur“ (16. September bis 28. Oktober)

Katalog „Märchenschloss Friedenstein“

Der umfangreiche Katalog wurde vom mitteldeutschen verlag in Halle produziert und gestaltet. Das Umschlagmotiv stammt von HomannGünerBlum – Visuelle Kommunikation Hannover nach einer Ursprungsidee von Lutz Grumbach. Der ausführliche und reich bebilderte Katalogteil stellt in elf Kapiteln am Leitfaden der oben dargestellten Märchenstruktur die zahlreichen Exponate vor. Ein Aufsatz von Dr. Kathrin Pöge-Alder (Universität Jena) widmet sich dem Thema „Märchen in Thüringen“. Ein einleitender Aufsatz von Dr. Roland Krischke beschreibt die Idee der Ausstellung unter dem Titel „Märchenschloss und Schlossmärchen“. Ein zweiter Aufsatz von Krischke beschreibt die wiederholten Aufenthalte der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm in Gotha zwischen 1806 bis 1813. Der 184 Seiten umfassende Katalog ist im Buchhandel für 24.95 € erhältlich. Im Rahmen der Ausstellung auf Schloss Friedenstein ist er für 19.95 € zu haben.

Informationen

Märchenschloss Friedenstein – Gotha erzählt
Eine Sonderausstellung der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha
in der Ausstellungshalle auf Schloss Friedenstein
13. Mai bis 28. Oktober 2012

Eröffnung
am Samstag, 12. Mai 2012, 14 Uhr
in der Schlosskirche auf Schloss Friedenstein Gotha

Begrüßung
Knut Kreuch
Oberbürgermeister der Stadt Gotha

Einführung
Dr. Martin Eberle
Direktor der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha

Musikalische Umrahmung
Klara vom Querenberg, Erfurt

Umfangreiches Begleitprogramm
Vgl. das Faltblatt im Anhang

Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag 10 – 17 Uhr
Montags geschlossen, an Feiertagen geöffnet

Eintritt
3 € (erm. 2 €) nur Ausstellungshalle
7 € (erm. 3 €) inkl. Ausstellungsbereiche im Schloss

Katalog
Märchenschloss Friedenstein – Gotha erzählt
Herausgegeben von Stiftung Schloss Friedenstein Gotha
Mitteldeutscher Verlag Halle 2012
176 S., zahlr. Farb- u. s/w-Abb.
ISBN 978-3-89812-940-4
24,95 Euro (in der Ausstellung 19,95 Euro)

Fotos

Der gestiefelte Kater – Signet der Ausstellung „Märchenschloss Friedenstein“
Entwurf HomannGünerBlum, Hannover
© Stiftung Schloss Friedenstein Gotha