Thomas Nitzsche (FDP)

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Wie steht es um Deutschland? Ist das Glas halbvoll oder halbleer?

Wir sind mit unserem industriellen Kern gut durch die Krise gekommen und stehen in Europa stark da. Erstmals seit Jahrzehnten keine neuen Schulden! Rekordbeschäftigung. Tiefstand bei der Jugendarbeitslosigkeit. Den Menschen geht es nicht nur gut, sondern besser als 2009. Klar, wir leben alle nicht im Rosengarten, aber unser Sozialstaat funktioniert. Und klar auch: die Krise ist noch nicht ganz ausgestanden. Aber unser Stand in Europa zeigt, dass der eingeschlagene Weg richtig ist. Deswegen: Das Glas ist halb voll, mindestens. Als Pessimist wäre ich in der Politik auch falsch.

In 600 Zeichen: Warum sollen die Bürger gerade Sie wählen?

Als Stadtrat bin und bleibe ich im Wahlkreis verwurzelt. Wer die Jenaer Kita- und Schullandschaft gut findet, dem kann ich bildungspolitisch nicht ganz ungelegen sein. Wer sich freut, dass unsere Bahnsteige nicht eingekürzt werden dürfen: viele haben das laut kritisiert, aber nur eine Stadtratsfraktion hat offiziell Beschwerde beim Eisenbahnbundesamt eingelegt, das sich meiner Argumentation dann ausdrücklich angeschlossen hat. Und: Ich bin einer, der wirtschaftlichen Erfolg nicht verteufelt, dem es egal ist, wann Sie Fleisch essen, und dem auch unsere außenpolitischen Pflichten wichtig sind.


Welche Bitte eines Bürgers im Wahlkampf hat Sie bisher am meisten bewegt?

Die Tagesmutter, der durch Verordnung des Thüringer Kultusministeriums verboten wird, mit einer befreundeten Tagesmutter in gemeinsam genutzten Räumen zu kooperieren, weil das TMBWK die Konkurrenz zum System Kita fürchtet. Hier kann ich weder kommunal noch im Bund helfen: Die Stadt darf die Verordnung nicht umgehen, der Bund ist nicht zuständig. Da ist bedauerlicherweise Abhilfe erst 2014 möglich.

Welche Entscheidung des Deutschen Bundestages der letzten Legislatur hatte aus Ihrer Sicht die größte Auswirkung auf Deutschland – im positiven oder negativen Sinn?

Positiv: Der ESM mit Parlamentsvorbehalt. Die Bewältigung der Schuldenkrise ist schwer genug, aber wenigstens gibt es keine Vergemeinschaftung der Schulden durch Eurobonds. Deutschland ist wieder ein Garant für europäische Stabilität geworden. – Negativ: Der Fukushima-Schock und die viel zu hastige Kehrtwende. Ich will einen geordneten Ausstieg aus der Kernenergie und eine Energiewende, die wir auch stemmen können. Spanien geht grad krachen, weil es sich so viel Erneuerbare gar nicht leisten kann, und sich nun in der brutalen Rückabwicklung auch noch als Investitionsstandort unmöglich macht.


Eine Kaninchenschau mit 20 Anwesenden oder eine Gesprächsrunde zur Bankenregulierung mit zehn Gästen – was macht Ihnen mehr Spaß?

Mehr Spaß bringen ganz klar die Kaninchen, schon weil man da auch gut die Kinder mitnehmen kann. Und als Kommunalpolitiker weiß man auch sehr gut um das lokale Gewicht der Vereine hinter solchen Schauen. Den Gang der Weltgeschichte werden sie aber wohl trotzdem nicht wesentlich beeinflussen. Je nachdem, welche zehn Gäste über Bankenregulierung sprechen, kann das dort anders sein. Kann, muss aber auch nicht…


„Butter bei die Fische“: Der schönste Fleck im Wahlkreis ist…?

Hand aufs Herz: am intimsten kenne ich natürlich Jena. Und da zieht es mich immer wieder auf den Landgrafen. Der Klang der turbulenten Stadt dringt entfernt und doch in Details überraschend klar ans Ohr. Das Licht erzeugt ganz unterschiedliche Stimmungen: Kristallhimmel oder wolkenverhangen, nachts orange Glut in den Straßen, bei dickem watteweißem Nebel die ganze Stadt im Ohr, aber nur die Antenne des Turms zu sehen… Oder nach einem langen, hektischen Tag die Treppen hoch joggen, um auf einer Bank mit Ausblick die Zeit zu vergessen…


Versprecher oder Versprechen? Was passiert Ihnen häufiger?

Versprecher passieren immer mal, und solange man selber drüber lachen kann, ist die Welt in Ordnung. Mein wohl schönster hatte 400 Zuhörer: unseren Bundes-Generalsekretär als Patrick Lindner zu begrüßen, hm. Aber Christian hat‘s nicht krumm genommen, und der Saal war danach richtig locker. Ist aber auch eine echte Klippe, wenn der Generalsekretär des Landes Patrick Kurth heißt und einen grad direkt anschaut…

Versprechen hingegen passieren mir nicht, die mache ich immer mit voller Absicht. Aber deswegen eben auch nur, wenn ich sicher bin, sie auch einhalten zu können.


Vorausgesetzt, Sie ziehen in den Bundestag ein: Welche Punkte aus Ihrem Wahlprogramm haben Sie am Ende der Wahlperiode definitiv abgearbeitet?

Nun, es muss schon auch wieder schwarz-gelb werden, wovon ich aber ausgehe. Daher versprochen: Der Soli ist 2017 als Belastung der Menschen in Ost wie West gefallen, so wie die Praxisgebühr in dieser Wahlperiode. Das BAföG ist eine reine Bundesleistung geworden. Dann haben die Länder 3 Mrd. Euro übrig und können sich damit in der Hochschulpolitik dem Wettbewerb untereinander stellen. Im Bundesverkehrswegeplan ist die Mitte-Deutschland-Verbindung so eingeordnet, dass Fernverkehrszüge bis 2021 zweigleisig und elektrifiziert fahren.


Angenommen, Sie stehen im nächsten Bundestag vor einer echten Gewissensfrage: Welches Buch hilft Ihnen auf die Sprünge?

Mein Gewissen würde auch ohne ein Buch funktionieren. Aber wenn es denn das eine Buch zur Entscheidung sein soll, dann wohl am ehesten Max Webers kleine Schrift „Politik als Beruf“. Der Titel kann in unserer Zeit leicht missverstanden werden, aber Webers Unterscheidung zwischen Gewissens- und Verantwortungsethik ist zeitlos.


Wenn Sie Edward Snowden, den Enthüller des US-Abhörskandals, von Angesicht zu Angesicht etwas fragen könnten: Welche Frage würden Sie stellen?

Herr Snowden, als Amerikaner mit Blick auf Ihr Land und meines, was finden Sie schlimmer: Geheimdienste, die nicht dürfen was sie tun, oder Geheimdienste, die nicht tun was sie sollen?

Welche (hier nicht genannte) Frage bringt Sie eigentlich ins Schwitzen?

Diese.