Von einem, der (nicht nur) Maden isst

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Er isst Maden und Ratten, fängt Wildschweine mit der Hand, schlug sich halbnackt durch den Dschungel und überquerte den Atlantik auf einem Baumstamm: Rüdiger Nehberg (78). Der Überlebenskünstler kämpft seit 1989 gegen das Ritual der Beschneidung von Frauen. Am vergangenen Dienstag begeisterte er 200 Gäste in Tabarz – und regte zum Nachdenken an.

Sie sind angeblich 22 Mal dem Tod von der Schippe gesprungen. Wie fühlt sich Todesangst an?

Mein Freund wurde auf einer Reise von Goldsuchern erschossen. Wir wussten, diese zwölf Männer würden uns verfolgen, um uns auszuschalten. Auf der Flucht waren wir auf ein Floß angewiesen. Der Fluss wand sich durch das Gebirge. Unsere Verfolger konnten Abkürzungen nehmen, hatten einen Geländevorteil. Wir haben gepaddelt, gepaddelt, gepaddelt – gönnten uns keine Pause. Man hat Druck. Der Körper will sich entleeren. Keine Zeit. Man pinkelt und kackt in die Hose, hat eine Bärenkraft. Durch die heftige Atmung ist alles trocken, man denkt, der Gaumen platzt. So etwas habe ich öfter erlebt.

Angeblich haben Sie immer einen Revolver dabei, um sich im Ernstfall selbst das Leben zu nehmen?

Früher schon. Jetzt nicht mehr. Ich werde entweder ermordet oder es geht weiter. Aber ich habe genügend Waffen, um mein Leben selbst zu beenden, wenn alles hoffnungslos ist.

Wer so etwas erlebt hat, was reizt denjenigen an einer Wanderung durch Tabarz?

Ein solches Waldgebiet gibt es ja sonst nur noch im Dschungel. Ein Schmuckstück. Wenn man aus einer Gegend kommt, in der jeder Ast geklaut wird, der gerade aus der Erde kommt und zu Brennholz verarbeitet wird oder immer mehr Ziegen das Gras mit Wurzeln raus fressen und dadurch die Erosion fördern, ist das hier ein Paradies.

Was zeichnet denn einen schönen Wanderweg aus?

Dass ich nicht einschlafe. Vielleicht ein Fluss. Vielleicht ein bisschen klettern oder so, dass ich mich mal festhalten muss, wenn es ein bisschen ins Steinige geht. Das ist schon reizvoll. Aber an der Nordsee, halte ich es nur eine halbe Stunde aus. Da passiert ja nichts.

Sie sind jetzt 78 Jahre alt …

Halbzeit. Und dennoch habe ich mehr Pläne als Restlebenszeit.

Welche Pläne sind das denn?

Ich will die Beschneidung der Frauen beenden. Wir wollen, dass der Brauch der Beschneidung von Frauen abgeschafft wird.

Sie arbeiten mit Ihrem Verein TARGET seit vielen Jahren daran…

Aber die tolle Botschaft, dass die Beschneidung Sünde ist, hat sich leider kaum verbreitet. Wir haben sie im Goldenen Buch, einer Predigtgrundlage für alle Imame der Welt, verewigt. In diesem Buch hat sogar der Großmufti von Ägypten, der für das islamische Recht zuständig ist, ein super Vorwort geschrieben. Wir erleben, dass alle Imame das Buch gut finden, es sogar küssen, aber zu feige sind es zu predigen. Das tun bislang höchstens zehn Prozent. Jetzt wollen wir es als Homepage in möglichst vielen Sprachen ins Internet bringen. Damit jeder, der schon Internet hat, es lesen kann.

Hat es einen Vorteil, dass ein Mann gegen die Frauenbeschneidung aufbegehrt?

Ja. Frauen können das nicht ändern. Sie haben in den Kulturen zu wenig Mitspracherecht. Auch wenn es da inzwischen Frauenorganisationen gibt. Außerdem kenne ich den Islam, war in Jordanien viermal im Gefängnis. Aber auch da habe ich nur das positive des Islam kennengelernt. Als ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, hat der Gefängnisdirektor geweint und gefleht: bleibe doch noch privat mein Gast.

Sie kämpfen seit vielen Jahren für die Menschenrechte. Stört es Sie, wenn Sie auf den Überlebenskünstler reduziert werden?

Nein, das ist beides meine Welt. Dadurch bin ich ja überall hingekommen wo andere noch nie waren. Allein, nackt, mit Mundharmonika. Zu den Indianern.

Sie sind „Mr. Sir Vival“. Überwinden die schwierigsten Situationen. Haben Sie sich schon einmal blamiert?

Oft. Die größte Blamage habe ich im Urwald erlebt. Ich wollte immer mit den Indianern auf die Jagd gehen, weil das so faszinierend war, wie sie Spuren lesen und Tierstimmen imitieren. Aber die wollten mich nicht mitnehmen, weil sie sagen, die Weißen sind zu tollpatschig. Sie treten auf Äste, machen Lärm und quatschen immer.

Sie durften trotzdem mit?

Ja. Und so sind wir sechs Stunden durch den Wald geschlichen. Und plötzlich hat der Häuptling zwei Affen oben in einem Baum entdeckt. Er gab ein Zeichen. Alle blieben stehen. Dann machte er einen Pfeil fertig. Und ich dachte, das gibt ein geiles Bild. Der Affe da oben. Und unten der Indianer mit gespanntem Bogen. Und dann vielleicht noch der Affe im Fall. Aber ich bekam das Motiv nicht ins Bild, ging zwei Schritte zurück, trat auf einen Ast. Die Affen sahen nach unten und waren weg.

Sie haben die Beute verjagt…

Der Indianer war sehr aufgebracht und schickte mich nach Hause. Er hatte Angst, sie würden mit mir nie Beute machen. Aber ich wusste nicht, wie ich zurückfinden sollte. Im Urwald gibt es keine Wege. Er schimpfte, wie kann man den Weg nach Hause nicht finden, man kann doch hier nichts verwechseln oder hast du hier schon einmal zwei Bäume gesehen die völlig identisch sind. Alle sprechen mit dir. Um mich so richtig zu kränken, sagte er plötzlich zum kleinsten Jungen, mein Sohn, bring Du ihn zurück. Und der führte mich in einem wahnsinnigen Tempo zurück.